Das Erdbeben in Japan kostet mehr als 200 Milliarden Euro. Die Katastrophe bremst die japanische Wirtschaft. Doch die Baukonzerne profitieren.

Hamburg. Wegen der Atomkatastrophe in Japan steuern große deutsche Reedereien unter anderem den Hafen in Tokio vorerst nicht mehr an. Diesen Schritt hätten die Schifffahrtsgesellschaften Hapag-Lloyd, Claus-Peter Offen und Hamburg Süd bis auf weiteres beschlossen, bestätigte ein Sprecher des Branchenverbandes VDR am Donnerstag. Betroffen sei mitunter auch der Hafen von Yokohama, der sich ebenfalls an der Ostküste des Landes befindet.

Mit der Entscheidung gingen die Reeder deutlich über die Empfehlung der Bundesregierung hinaus, sagte der Verbandssprecher. Diese habe lediglich empfohlen, ein Gebiet im Umkreis von 100 Kilometern um das havarierte Atomkraftwerk Fukushima zu meiden. Der Hafen von Tokio ist der viertgrößte des Landes und befindet sich etwa 250 Kilometer südlich des AKW.

Immense Kosten der Naturkatastrophe

Das Leid der betroffenen Menschen macht jedes Katastrophenereignis einzigartig und unvergleichbar. Doch rein ökonomisch gesehen ist das Erdbeben in Japan in Verbindung mit dem dadurch ausgelösten Tsunami bislang die Naturkatastrophe mit der weltweit höchsten Schadenssumme. Nach Schätzungen der Regierung in Tokio könnten die Kosten über die nächsten drei Jahre 16 Billionen bis 25 Billionen Yen (218 Milliarden Euro) erreichen. Dieser Betrag sei voraussichtlich notwendig, um Häuser, Fabriken, Straßen und Brücken in den betroffenen Regionen wiederherzustellen, teilte das Kabinettsbüro mit. Noch nicht berücksichtigt seien indirekte Schäden etwa durch Stromausfälle in der Region Tokio.

Gemessen an der Obergrenze der prognostizierten Bandbreite wären die finanziellen Folgen des Erdbebens etwa doppelt so gravierend wie die des Bebens in Kobe im Jahr 1995 und mehr als dreimal so umfangreich wie des Hurrikans "Katrina", der im Jahr 2005 im Südosten der USA wütete. Dabei liegen die von der japanischen Regierung gestern genannten Zahlen über den vorherigen Schätzungen der Weltbank und der Investmentbank Goldman Sachs (umgerechnet 166 Milliarden beziehungsweise 141 Milliarden Euro).

Japans Wirtschaftsleistung wird nach Angaben des Kabinettsbüros in diesem Jahr durch die Katastrophe um 0,5 Prozentpunkte geschmälert. "Im ersten und zweiten Quartal dürfte das japanische Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfen", erwartet Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Haspa. "Weil aber der Wiederaufbau spätestens im Sommer anlaufen wird, ist im Gesamtjahr 2011 ein kleines Plus möglich." Denn aus Sicht der Volkswirtschaft, die keine Abschreibungen kenne, wirke jede Naturkatastrophe wie ein Konjunkturprogramm. So geht die Weltbank davon aus, dass der Wiederaufbau 2,5 bis vier Prozent des BIP ausmachen und fünf Jahre andauern wird.

Zwar werde Japans Staatsschuldenstand, der ohnehin schon bei mehr als 200 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt - und damit höher als in Griechenland (140 Prozent) -, weiter steigen, so Commerzbank-Experte Wolfgang Leim. Doch verfüge die Nation gleichzeitig über die zweithöchsten Devisenreserven der Welt: "Japan ist ein reiches Land. Der Wiederaufbau wird nicht an den Finanzen scheitern."

Allerdings sieht Intelmann noch immer einen erheblichen Unsicherheitsfaktor, der sämtliche Prognosen über den Haufen werfen könne: "Sollte der Großraum Tokio mit 37 Millionen Einwohnern wegen radioaktiver Belastung unbewohnbar werden, wären die Auswirkungen unabsehbar." Dies sei die kaufkraftstärkste Region der Welt.

Doch nicht nur angesichts solcher Ungewissheiten sind die Folgen des Erdbebens für die globale Wirtschaft schwer abschätzbar. "Wenn das schlimmstmögliche Szenario nicht eintritt, wird der Einfluss voraussichtlich überschaubar bleiben", so Intelmann. "Japan ist zwar die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, dennoch beträgt sein Anteil am Welthandel lediglich rund fünf Prozent", erklärt Leim.

"Die deutsche Wirtschaft dürfte auch kurzfristig eher gering betroffen sein", meinen die Experten von UniCredit. Weniger als 1,5 Prozent der deutschen Ausfuhren gehen nach Japan. Dagegen sei im asiatischen Raum eine kurzzeitige Stimmungseintrübung bei Konsumenten und Unternehmen denkbar, was Rückwirkungen auf deutsche Firmen haben könnte.

Ebenfalls schwer einschätzbar sind die indirekten Auswirkungen durch ausbleibende Zulieferteile aus Japan. "Wenn Parksensoren im Wert von 50 Euro fehlen, kann ein komplettes Auto nicht produziert werden", gibt Bernd Schimmer, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Haspa, zu bedenken. Die meisten Experten erwarten jedoch, dass solche Lieferprobleme nur kurzfristig spürbar werden.

Auf längere Sicht werden infolge des Wiederaufbaus die Preise von Rohstoffen steigen, außerdem sei Japan nun stärker auf Öl, Kohle und Gas angewiesen, um den verlorenen Anteil der Kernenergie auszugleichen, heißt es von den Analysten bei Credit Suisse.

An der Börse könnten außer den Wind- und Solarenergiefirmen auch Gaskraftwerkbauer wie Siemens und ABB von den Ereignissen in Japan profitieren, sagte Intelmann. Als potenzielle Gewinner gelten zudem Baukonzerne und Baustoffanbieter wie HeidelbergCement. Eindeutige Verlierer, zumindest kurzfristig, sind die Rückversicherer: Die Münchener Rück hat die Japan-Belastung auf 1,5 Milliarden Euro beziffert, Swiss Re nannte knapp 850 Millionen Euro und die Hannover Rück erwartet rund 250 Millionen Euro.