Auf dem Rückflug von Mallorca erwischte Abendblatt-Redakteur Christian Pletz die Krankheit. Wie ein Kranker zum Ausgestoßenen wird.

Hamburg. Es sind ein paar Minuten, in denen aus Mitreisenden Aussätzige werden. Sonnabend, kurz vor 14 Uhr auf dem Tuifly-Flug 2153 von Palma de Mallorca nach Hamburg-Fuhlsbüttel: das Ende eines viertägigen Junggesellenabschied- Revivals in El Arenal. Zwei aus unserer sechsköpfigen Reisegruppe fühlen sich unwohl. Noch denken wir, das wird eine Folge der Sonnenbelastung sein. Gegen Ende des Fluges hat sich die Lage verändert. Meine Augen brennen, mir ist kalt, mein ebenfalls angeschlagener Sitznachbar erklärt der Stewardess die Symptome, er muss heftig husten. Die Flugbegleiterin misst seine Temperatur und zieht die Augenbrauen hoch: "38,6 Grad - typisch für die Schweinegrippe."

Während der Flughafen Hamburg informiert wird, beginnen über den Wolken Sofortmaßnahmen. Unsere Reisegruppe wird mit Mundschutz ausgestattet, die anderen Fluggäste erhalten auf Wunsch ebenfalls Masken. Der Ansage des Piloten, dass es im Flugzeug Personen mit Symptomen der Schweinegrippe gäbe und es dadurch nach der Landung zu Verzögerungen kommen wird, folgen Diskussionen - eine Mixtur aus Sorge, Verärgerung, Wut und Ratlosigkeit. Ängstliche oder verächtliche Blicke wandern zu uns in die letzte Sitzreihe. Der Co-Pilot lässt im Vorbeigehen eine Bemerkung fallen ("... sehr verantwortungsbewusst, sich erst kurz vor der Landung zu melden ..."), nimmt sie später zurück.

Landung in Fuhlsbüttel. Zehn Minuten müssen alle Fluggäste in der Maschine warten. Dann dürfen sie von Bord - außer uns. Der Pilot sagt noch: "Falls sich der Verdacht bei einem der Reisenden bestätigen sollte, werden Sie von der Fluggesellschaft informiert." Wir bleiben noch fünf Minuten sitzen, geben unsere Personalien an und werden per Rot-Kreuz-Bus in die isolierte Notfallstation des Flughafens gebracht. Ein älteres Paar versucht, unsere Namen herauszufinden. "Wenn wir krank werden, wollen wir uns juristische Schritte vorbehalten", sagt der Mann.

Eine Sanitäterin des Roten Kreuzes untersucht uns. Mein Blutdruck ist normal, die Temperatur von 39 Grad entspricht meinem Befinden. Der Flughafenarzt wird telefonisch über Lautsprecher zugeschaltet. Er fragt nach Symptomen, dem Alter, Familiensituation und Beruf. Die Schweinegrippe, die er für wahrscheinlich hält, sei aber harmloser als eine gewöhnliche. Schnelltests würden nicht mehr gemacht, weil sie fehlerhaft seien. Und ein Abstrich lohne sich nicht wirklich, zumal an Patienten wie uns keine Medikamente ausgegeben würden, sagt er. Junge, gesunde Körper wie unsere müssten diese Grippe, eine der schwächsten Europas, nur auskurieren. Am wichtigsten sei jetzt absolute Isolation. Sollten wir keine Chance haben, uns von der Familie fernzuhalten, würde er eine Einweisung in die Influenza-Station des UKE vorschlagen. Wir aber ziehen die Isolierstation in den eigenen vier Wänden vor. Wir lassen uns von einem Freund nach Hause bringen.

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Zeit zum Nachdenken: Wie haben wir uns angesteckt? Wir waren im Zentrum von El Arenal, sind zwischen Ballermann 6, Strand und dem Partylokal "Bierkönig" gependelt. Trotz der Menschenmassen haben wir Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Wir haben unsere Getränke nicht mit anderen geteilt, haben regelmäßig die Hände gewaschen und immer wieder Desinfektionsmittel benutzt. Wir haben Karten gespielt, gewettet, waren Baden und haben gefeiert. Ich trinke keinen Alkohol, habe auch selten Gläser benutzt, sondern aus Flaschen getrunken. Mehr als 90 Prozent der jungen Partygäste auf Mallorca, so meine Beobachtung, handhaben das völlig anders. Mit Strohhalmen fischen sie in fremden Gläsern nach Getränken, Hygienetipps streichen sie aus den Gedanken - viele Männer und Frauen im Alter zwischen 17 und 25 betreiben einen regen Austausch von Körperflüssigkeiten mit Partnertausch im Tagesrhythmus. Keine Warnhinweise.

Der Rest des Sonnabends wird zum Albtraum. Fieber und Unwohlsein steigen im Einklang, der Hals kratzt. Trotz Paracetamol und Aspirin hält sich meine Temperatur gegen 23 Uhr bei 40,3 Grad. Die Nacht wälze ich mich unruhig im durchgeschwitzten Bett. Da ich im kranken Zustand keinen Appetit habe und mein Hals dauerhaft kribbelt, ernähre ich mich von kühlen Fruchtsäften und Wassereis. Beides hat mir mein Vater nach Hause gebracht - wie vom Arzt empfohlen: Er hat die Tüten vor die Tür gestellt, geklingelt und ist dann gegangen, Mindestabstand: zwei Meter.

Der Sonntag ist noch schlimmer. Das Fieber hält sich bei 40 Grad. Mein Sitznachbar aus dem Flugzeug ist ins Albertinen-Krankenhaus gefahren. Die Ärzte erhärten den Verdacht des H1N1-Virus. Sie geben ihm Tamiflu zur Bekämpfung.

Mein Hotelzimmer-Nachbar und ich entscheiden uns wegen des dauerhaften Fiebers, der starken Gliederschmerzen und des kraftraubenden Hustens in den Abendstunden zur Fahrt ins UKE. Der für die Schweinegrippe reservierte Bereich ist sonntags geschlossen. In der Notaufnahme wird uns die Praxisgebühr abgenommen, dann müssen wir trotz unseres Hinweises auf hohes Fieber zweieinhalb Stunden unbeaufsichtigt in unserem Auto warten. Anschließend werden wir per Anruf zu einem Nebeneingang gelotst, wo wir noch einmal 20 Minuten auf Einlass warten. Eine Ärztin belehrt uns über alle Sofortmaßnahmen, weist auf die extreme Ansteckungsgefahr hin und rät zur totalen Isolation. Meine Familie, die noch im Urlaub ist, solle möglichst umgehend nach ihrer Rückkehr ausquartiert werden. Maximale Hygiene und null Kontakt zur Außenwelt - so lautet das Anti-Viren-Motto. Eine Krankschreibung dürfe nur der Hausarzt ausstellen, sagt die UKE-Ärztin, die trotz Mundschutzes zwei Meter Sicherheitsabstand hält. Nach dem Abstrich geht es nach Hause. Eine weitere fiebrige Nacht ohne Medikamente folgt - mit Hustenreiz und Schmerzen.

Montagmorgen, 11.34 Uhr: Das Gesundheitsamt des Kreises Pinneberg meldet sich und erläutert noch einmal detailliert alle Isolationsmaßnahmen. Sieben Tage lang herrsche akute Ansteckungsgefahr, noch sicherer seien zehn Tage abgeschirmte Unterbringung. Von den sechs Reisenden geht es mittlerweile allen schlecht. Alle waren im Krankenhaus oder beim Arzt und warten auf die Testergebnisse. Seit dem Rückflug habe ich 4,8 Kilogramm abgenommen. Als neues Symptom habe ich nun auch noch heftiges Nasenbluten - dafür sinkt wenigstens das Fieber.

Nachmittags nehme ich wegen der Krankschreibung Kontakt zu einer Arztpraxis in der Nähe auf. Als das Wort Schweinegrippe fällt, versucht mich die Helferin an das Krankenhaus Pinneberg zu verweisen. Auf den Hinweis, dass die Krankenhäuser keine gelben Scheine erstellen dürfen, entgegnet sie: "Sind sie schon Patient bei uns?" - "Nein!" - "Wer ist denn bislang ihr Hausarzt gewesen?" - "Unterschiedliche in Hamburg." - "Gut, dann warten wir die Testergebnisse ab. Wenn sie positiv sind, rufen Sie noch mal an, dann überlegen wir uns was ..."

Um 17.02 Uhr ruft das UKE an. Das Ergebnis ist wenig überraschend: positiv. Damit sind die drei von uns, die im Kreis Pinneberg wohnen, die positiven H1N1-Fälle 33 bis 35. Die Ärztin wiederholt noch einmal alle Isolationsvorschriften und Hygienemaßnahmen. Dass meine Frau und Kinder, die selbst in einer abgelegenen Gegend auf Mallorca urlauben, vergeblich versucht haben, Mundschutz für den Rückflug zu bekommen, verwundert die Ärztin offenbar nicht. "Wir rechnen noch 16 Wochen lang mit einer Welle von Fällen", sagt sie.