Ein Kilometer vor dem Hauptbahnhof - Kurzschluss legt ICE lahm. 50 Passagiere müssen nachts 1,5 Stunden im kalten Zug ausharren.

Hamburg. Der ICE 782 hatte die Schwellen der Elbbrücken bereits passiert. Die Passagiere hatten den Blick über den eisigen Elbstrom bis hin zur Elbphilharmonie genossen, als durch den Intercity-Express ein Ruck ging. Wenige Meter vor der Oberhafenbrücke erlosch die Beleuchtung der Abteile, die Klimaanlage hörte auf zu brummen, der Zug kam zum Stehen.

Aus München kommend hatte der ICE "Herrenchiemsee" auf seiner knapp sechsstündigen Fahrt bereits eine halbe Stunde Verspätung angesammelt, und seine Fahrgäste erwarteten sehnsüchtig die Ankunft im Hamburger Hauptbahnhof. Doch was sie nicht ahnen konnten: Obwohl nur knapp einen Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt, werden sie noch lange Zeit in der kalten Nacht wegen eines Stromausfalls auf freier Strecke verharren müssen.

Eineinhalb Stunden dauerte das Warten der eingeschlossenen Reisenden, nachdem ein Kurzschluss im nahen Umspannwerk die 15 000 Volt starke Oberleitung außer Kraft gesetzt und die Sicherungen des Hochgeschwindigkeitszugs beschädigt hatte. Der Grund für den Kurzschluss ist noch unklar, sei aber nicht in den eisigen Temperaturen und dem anhaltenden Schneefall zu suchen, gab die Bahn gestern bekannt. Neben der Oberleitung der Pfeilerbahn, auf der der ICE stehen blieb, waren auch die Abstellgleise am Högerdamm von dem Stromausfall betroffen, erklärte Bahnsprecher Egbert Meyer-Lovis.

Dafür sorgten die Minusgrade dafür, dass die Fahrgäste nicht schneller befreit wurden: Ein ICE, kurz zuvor aus Leipzig am Hauptbahnhof eingetroffen, sollte, nachdem es wieder Strom gab, den ausgebremsten Zug ankoppeln und abschleppen. Doch dann ließen sich die vereisten Bugklappen der Kupplung nicht öffnen. Erst gegen zwei Uhr war eine Lösung in Sicht: Während die zum Teil aufgebrachten Passagiere bei Notbeleuchtung und Notbeheizung die Zeit totschlugen - immerhin von den drei Zugbegleitern kostenfrei mit Getränken und Süßigkeiten versorgt -, wechselte der ICE aus Leipzig das Gleis, wurde neben dem "Herrenchiemsee" auf dem Nachbargleis platziert.

Über eine schmale, ausklappbare Alubrücke, die in jedem ICE standardmäßig mitgeführt wird, mussten die 50 Fahrgäste samt dem schweren Gepäck den Zug wechseln. Der Ersatzzug brachte sie dann gegen 2.45 Uhr zur Endhaltestelle Altona.

Nach den neuen Fahrgastrechten erhalten die Fahrgäste eine Entschädigung, müssen diese aber beantragen. Taxikosten bis zu 80 Euro werden erstattet, wenn der Zug laut Fahrplan zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens ankommen sollte, aber mindestens 60 Minuten verspätet ist. Wenn die Fortsetzung der Fahrt am selben Tag nicht zumutbar ist, werden auch "angemessene Übernachtungskosten" erstattet.

Nach den wetterbedingten Zugausfällen und nachdem erst vor knapp einem Monat ein ICE vor dem Dammtor-Bahnhof evakuiert werden musste, schlägt der Bahn scharfe Kritik entgegen. "Es ist erschreckend, dass es bei einem Weltunternehmen wie der Bahn immer wieder zu solchen Vorfällen kommt", sagte SPD-Verkehrsexpertin Martina Koeppen. Es sei nicht im Sinne der Fahrgäste, dass sie mitten in Hamburg 90 Minuten in der Nacht im Zug ausharren müssten, bis sie aus ihrer misslichen Lage befreit werden.

"Die Pannenserie bei der Bahn reißt in diesem Winter nicht ab. Das ist für die Fahrgäste eine Zumutung", kritisiert auch CDU-Verkehrsexperte Klaus-Peter Hesse. Der erneute Vorfall zeige, dass das Krisenmanagement bei der Bahn verbesserungswürdig sei. Birger Wolter vom Fahrgastverband Pro Bahn erklärte: "Die Bahn hätte den Zug schneller evakuieren müssen. Das sollte innerhalb von einer Stunde zu schaffen sein, direkt vor dem Hauptbahnhof."