Nach Griechenland wird Irland wohl noch diese Woche um die EU-Milliarden bitten. Mit Portugal steht auch schon der nächste Kandidat an.

Europa stehe bereit, Irland zu helfen, bekräftigte gestern Vitor Constancio, Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, auf einer Konferenz in Wien. Darüber gebe es Gespräche, wenn auch "bisher kein formelles Hilfsgesuch".

Nur gut ein halbes Jahr nach der Rettung Griechenlands durch die EU und Internationalen Währungsfonds (IWF) steht offenbar die nächste finanzielle Kapitulation eines Euro-Landes an. Schon heute oder morgen könnte der irische Finanzminister Brian Lenihan seine Kollegen beim Treffen der europäischen Finanzminister bitten, Irland mit einem milliardenschweren Rettungspaket aus dem Euro-Schutzschirm aus der Patsche zu helfen. Schätzungen gehen von bis zu 80 Milliarden Euro Hilfskrediten aus: Das entspräche mehr als der Hälfte einer Jahreswirtschaftsleistung der Grünen Insel.

Die Schuldenkrise in Europa kehrt nicht nur durch die Zuspitzung in Irland mit Macht auf die Tagesordnung zurück. Auch der Außenminister Portugals mahnte am Wochenende, wenn das Land seine Finanzen nicht saniere, stehe es "einem Szenario des Austritts aus der Euro-Zone" gegenüber. Spanien kämpft mit steigenden Schulden bei einer Arbeitslosigkeit von offiziell 20 Prozent, das noch viel höher verschuldete Italien mit einer neuen Regierungskrise um Skandalpremier Silvio Berlusconi.

Wie im Falle Griechenlands - dessen Offizielle Anfang des Jahres monatelang beteuerten, Athen brauche keine Rettung - sieht es auch im Falle Irlands nach einer Kapitulation auf Raten aus. Offenbar will Dublins Kassenwart zur Gesichtswahrung zunächst nicht um Kredite für die Regierung bitten, sondern für seine Banken. "Der irische Staat braucht das Geld nicht. Es gibt dazu keine Verhandlungen. Das Problem sind die Banken. Sie haben Schwierigkeiten, Geld zu bekommen", urteilte eine Regierungsquelle im "Irish Independent" vorauseilend.

Doch die Trennung zwischen Staat und Banken ist in Irland hinfällig - jedenfalls seitdem die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 auch das jahrelang blühende Irland erreichte. Da zeigte sich, dass Irland einen erheblichen Teil seines Wirtschaftswunders des vergangenen Jahrzehnts nicht nur steigender Produktivität und niedrigen Unternehmenssteuern verdankte, sondern vor allem auch einem auf billigem Kredit basierenden Bauboom. Dann platzte die Blase: Die irische Wirtschaft geriet in die Rezession, viele Iren verloren ihren Job, die Immobilienpreise fielen, die Zahl fauler Kredite stieg.

Doch die irische Regierung hielt das Problem für beherrschbar - und sprach im Herbst 2008 eine Regierungsgarantie für alle irischen Banken und ihre Schulden aus. Es sei, brüstete sich Finanzminister Lenihan im Oktober 2008, das bisher "weltweit billigste Herauskaufen" des Bankensektors. Ein gewaltiger Irrtum, der nun als Mühlstein um den Nacken des Finanzministers hängt und Irland finanziell das Genick bricht - obwohl es, anders als Griechenland, lange gut gewirtschaftet, nicht über seine Finanzen gelogen und eine konkurrenzfähige Wirtschaft aufgebaut hat.

Noch Ende Dezember 2008 plante Dublin mit einer Finanzspritze von nur 1,5 Milliarden Euro für die Anglo Irish Bank (AIB), das angeschlagenste irische Geldhaus. Seitdem musste die Regierung den Bedarf der Bank bereits sechsmal nach oben korrigieren, stellte das "Wall Street Journal" in einer Rekonstruktion der irischen Malaise fest. Statt 1,5 Milliarden steckte die Regierung bisher knapp 23 Milliarden Euro nur in die Rettung der AIB. Insgesamt, fassten die Finanzexperten und Bankiers in einem Krisenszenario für die Regierung zusammen, werde die Bankenrettung Irland gut 50 Milliarden Euro kosten. Das entspricht den gesamten Staatsausgaben eines Jahres. Es ist diese Bankenrettung, die das irische Haushaltsdefizit in diesem Jahr auf voraussichtlich 32 Prozent der Wirtschaftsleistung emporschnellen lässt - ohne Bankenrettung wären es allerdings auch immerhin zwölf Prozent.

Die Europäische Zentralbank (EZB) soll an Irlands Banken mittlerweile 100 Milliarden Euro ausgegeben haben und dem Wirtschaftsdienst Bloomberg zufolge eine zentrale Rolle beim Versuch spielen, Dublin zum Ersuchen milliardenschwerer Hilfe aus dem Europäischen Stabilitätsfonds zu drängen. Ob eine solche Hilfe nun direkt der irischen Regierung oder Irlands Banken geleistet würde, ist angesichts der Regierungsgarantie für das Bankensystem unwichtig. "Der irische Staat ist bis ins nächste Jahr finanziert, aber es ist auch ein Problem der Banken, die im Zentrum der Probleme in Irland stehen und in die Überlegungen einbezogen werden müssen", sekundierte EZB-Vize Constancio in Wien.

Anders als das noch über Reserven verfügende Dublin hängt Griechenland vollends am Tropf der Hilfsmilliarden aus Brüssel und Washington. Ende dieses Monats stehen die nächsten neun Milliarden Euro Kredite von Euro-Ländern und Währungsfonds zur Überweisung an: Athen hätte im laufenden Jahr dann bereits 38 der 110 Milliarden Euro erhalten. Die Auszahlung ist freilich daran gebunden, dass Athen die in Dreimonatsetappen vereinbarten Ziele zur Haushaltssanierung erreicht. Schon jetzt ist klar, dass Griechenland das mit Brüssel und Washington vereinbarte Ziel in diesem Jahr verfehlt.

Die Staatseinnahmen, die vor allem durch die Bekämpfung der Steuerhinterziehung steigen sollten, kletterten nicht wie geplant um knapp neun, sondern nur um 3,7 Prozent. Dazu jagen sich die Notstandsmeldungen aus der griechischen Wirtschaft. Die Wirtschaft ist von Juli bis September um weitere 4,5 Prozent eingebrochen. Die Arbeitslosigkeit lag trotz Tourismussaison bei über zwölf Prozent, Tendenz steigend. Dem griechischen Handelskammerverband ESEE zufolge soll ein Fünftel aller Unternehmen und Geschäfte schon geschlossen haben. Besonders alarmierend: Über 1500 mittlere und größere Unternehmen hätten Griechenland in diesem Jahr verlassen und ihre Produktion in andere Länder verlagert, so der Handelskammerverband. Und im aktuellen Konkurrenzranking der Weltbank "Doing Business 2011" fiel Griechenland nochmals zwölf Plätze zurück - auf Platz 109 unter 183 Ländern.

Die Summe der Negativnachrichten lässt eine schnelle, gründliche wirtschaftliche Erholung Griechenlands immer unwahrscheinlicher werden. Die aber ist unverzichtbar, wenn Athen seine alten und neuen Schulden zurückzahlen und sich vom Tropf der Hilfskredite aus Brüssel und Washington lösen will. Carl Weinberg vom einflussreichen Fachdienst "High Frequency Economics" plädiert vor dem Hintergrund der zunehmenden Hiobsbotschaften aus der griechischen Wirtschaft für eine Umschuldung aller Verbindlichkeiten des Landes und das Auflegen einer 30-Jahres-Anleihe.

Noch am Freitag erklärten die Finanzminister Deutschlands, Frankreichs, Englands, Italiens und Spaniens daraufhin, die Bedingungen bestehender Anleihen würden nicht verändert - jedenfalls nicht bis einschließlich 2013, dem nach heutigem Stand letzten Jahr des Euro-Rettungsschirms. Schon drängt Griechenlands Regierungschef Giorgos Papandreou auf eine Verlängerung des Beistandes von Euro-Ländern und IWF - auch über 2013 hinaus.

Vitor Constancio, Vizepräsident der Europäischen Zentralbank: "Der irische Staat ist bis ins nächste Jahr finanziert, aber es ist auch ein Problem der Banken, die im Zentrum der Probleme in Irland stehen."

Fernando Teixeira dos Santos, Finanzminister von Portugal: "Es sind die Probleme von Griechenland, Portugal und Irland. Es ist nicht ein Problem nur unseres Landes."

Giorgos Papandreou, Griechenlands Premierminister: "Einige, wie die deutsche Regierung, haben vorgeschlagen, dass die Banken bereit sein müssen, bei Zahlungsunfähigkeit die Kosten zu übernehmen. Das hat eine Spirale von steigenden Zinsen in Gang gesetzt."