Wenn es Streit um die Kinder gibt, ziehen Trennungsväter oft den Kürzeren. Vielen Vätern bleibt nur die Möglichkeit, vor Gericht zu ziehen.

Hamburg. Die Schaukel hängt noch im Garten. Langsam schwingt sie im Wind. Die Jahreszeiten haben die Farbe aus dem Holz gezogen. Schon lange hat dort kein Kind mehr Platz genommen. Und doch ist das Bild so präsent wie vor fünf Jahren. Ist jeder Moment unter den alten Bäumen tief eingegraben in den Erinnerungen von Peter Witkowski. Wenn der Lüneburger in den Garten schaut, sind die Bilder plötzlich wieder da. Er sieht seine fünf Jahre alte Tochter, wie sie auf die Schaukel klettert, wie sie laut lachend die Rutsche herunterrutscht, hinein in Papis Arme. "Ich habe sie immer aufgefangen", sagt Peter Witkowski "Sofia war mein größtes Glück."

Der Vater von Sofia (Name geändert) spricht in der Vergangenheit, wenn er von seiner Tochter erzählt. So lebendig Sofia auf dieser Welt ist, so tot ist die Beziehung zu ihr. Beerdigt, weil die Eltern sich nicht über die gemeinsame Sorge einigen können. Sofias Mutter möchte nicht, dass ihre Tochter Kontakt zu ihrem Vater hat. Sie verweigert den Umgang, hetzt das Kind gegen ihren Vater auf. Nur 13 Kilometer liegen zwischen dem Reihenhaus von Peter Witkowski und der Straße, in der Sofia zu Hause ist. Eine kurze Distanz, die unüberwindbar scheint. 21 Stunden in vier Jahren, hat er ausgerechnet, durfte seine Tochter bei ihm sein.

Im Jahr 2008 wurden in Deutschland mehr als 191.000 Ehen geschieden, die Zahl der Trennungen wird deutlich höher geschätzt. Etwa die Hälfte der geschiedenen Paare hatte Kinder unter 18 Jahren. Die Zahl der von Scheidung betroffenen minderjährigen Kinder lag damit bei 150.200. Rund 50.000 Kinder leiden darunter, dass sich ihre Eltern über die Umgangs- und Besuchsregelungen streiten. Nach Schätzungen des Vereins Väteraufbruch für Kinder sind bundesweit etwa 25.000 Mütter und Väter betroffen. Die Initiative hat berechnet, dass jedes vierte Trennungskind vom Verlust eines Elternteils bedroht ist.

Vielen Vätern bleibt nur die Möglichkeit, vor Gericht zu ziehen. Peter Witkowski tut dies seit fünf Jahren. Seitdem seine ehemalige Freundin einen anderen Mann kennengelernt und geheiratet hat, braucht sie Peter nicht mehr als Vaterfigur für Sofia. Er stört nur. "Es läuft fast immer gleich. Verabredungen werden abgesagt, Termine verschoben, das Kind wird gegen den Vater aufgehetzt", sagt Detlef Naumann. Naumann engagiert sich seit Jahren im Verein Väteraufbruch für Kinder. Er kämpft für Väter und ihre Rechte. Und er kämpft für sich selbst. Naumann, 50 Jahre alt, Betriebswirt, hat eine Tochter: Emma (Name geändert). Sie ist heute elf Jahre alt. Seit zehn Jahren streiten sich ihre Eltern um eine Umgangsregelung. Naumann möchte seine Tochter regelmäßig sehen, ihr ein guter Vater sein, mit ihr die Welt entdecken, Eis essen, in den Tierpark gehen. Die Mutter möchte, dass der Vater keinen Kontakt zu Emma hat: "Mein Kind braucht seine Ruhe."

Dabei fing alles so vielversprechend an, im November 1997. Naumann, 1,80 Meter groß, schlank, Dreitagebart, leidenschaftlicher Segler, damals 37 Jahre alt, möchte nicht länger allein leben. Er schaltet eine Kontaktanzeige. Es meldet sich Melanie (Name geändert), 1,75 Meter groß, dunkelhaarig. Eine Frau mit wunderschönen blauen Augen, erfolgreiche Bilanzbuchhalterin, unabhängig und emanzipiert. Die beiden verstehen sich gut. Sie machen lange Spaziergänge an der Elbe, reden über Gott und die Welt, lachen zusammen. Sie sind sich einig. Sie planen eine gemeinsame Zukunft. Wenige Monate nach dem ersten Treffen ist Melanie schwanger. "Natürlich gab es auch mal Irritationen", erinnert sich Detlef Naumann. "Es ging ja auch alles sehr schnell. Aber im Grunde wollten wir beide dieses Kind."

Detlef Naumann und Melanie A. ahnen nicht, dass ihre Tochter zum Streitfaktor werden wird. Ein Streit, den vor Gericht zumeist die Mütter gewinnen. Trennungsväter, die im Streit mit ihrer Ex-Frau oder -Freundin leben, haben nach Angaben des Statistischen Bundesamts nur selten das Sorgerecht für ihre Kinder, selbst wenn sie verheiratet waren. In jedem zweiten strittigen Fall, der vor Gericht landet, wird der Frau das alleinige Sorgerecht zugesprochen. Geschiedene Väter bekommen das alleinige Sorgerecht hingegen nur in jedem siebten bis achten Fall. Dem Mann bleibt meist nur ein Vatersein auf Stundenbasis.

Als im Februar 1999 die kleine Emma im Amalie-Sieveking-Krankenhaus auf die Welt kommt, ahnt Detlef Naumann noch nicht, wie schwer es für ihn werden wird, seine Tochter kennenzulernen. "Ich bin davon ausgegangen, dass wir ein ganz normales Familienleben führen werden." Während sich Mutter und Kind von der Geburt erholen, bereitet der Vater alles für die Heimkehr der beiden vor. Er baut eine Wickelkommode, eine Wiege, kauft Spielsachen, Windeln, ein Kuscheltier. Er will, dass sich seine Tochter in ihrem neuen Zuhause wohlfühlt. Er will das Beste für sein Kind. An zwei Händen kann er die Treffen heute abzählen. Die wenigen Stunden, die er seine Tochter sehen durfte. Oder wie es im Amtsdeutsch heißt: ihm der "Umgang" erlaubt war.

Der Tag, an dem bei Detlef und Melanie aus einem Elternpaar zwei Teile werden, ist ein grauer, kalter Tag Ende Januar 2000. Detlef Naumann kehrt von einem Seminar aus Boltenhagen zurück. Er freut sich auf seine Tochter. Doch schon im Treppenhaus merkt er, dass etwas anders ist als sonst. "Ich hatte das Gefühl, hier fehlt etwas", sagt er. Es waren die Schuhe seiner Freundin. Beim Betreten der Wohnung kommt die Gewissheit. Melanie und Emma sind ausgezogen. Naumann ruft bei Melanies Eltern an. Dorthin hat sich die junge Frau mit ihrem Baby zurückgezogen. "Ich habe gesagt, dass ich meine Tochter sehen möchte", erinnert sich der Vater. "Meine Freundin sagte nur: Aber deine Tochter will dich nicht sehen." Da war Emma elf Monate alt.

Melanie A. sitzt von Anfang an am längeren Hebel. Wie die meisten Mütter. Denn in 80 Prozent der Fälle leben die Kinder in ihrem Haushalt. Es gibt ein Ungleichgewicht der Machtverhältnisse, das durch das im August gefällte Urteil des Bundesverfassungsgericht ins Gleichgewicht gerückt werden soll. In ihrem Urteil verwarfen die Karlsruher Richter die bisherige automatische Bevorzugung unverheirateter Mütter gegenüber den Vätern und stärkten damit das Sorgerecht lediger Väter. Im Streitfall muss künftig ein Gericht feststellen, ob ein beantragtes alleiniges oder teilweises Sorgerecht der Väter nicht im Interesse des Kindes ist.

Detlef Naumann geht es weniger um die gemeinsame Sorge als um regelmäßige Treffen mit seiner Tochter. Als seine Ex-Freundin vereinbarte Besuchstermine verstreichen lässt, schaltet er einen Anwalt ein. "Er hat mir nur gesagt: Seien Sie froh, wenn Sie wenigstens ein Foto von Ihrer Tochter sehen dürfen", sagt Naumann. Doch dieser gibt nicht auf, erwirkt vor Gericht, dass er Emma einmal in der Woche von der Mutter abholen darf. Jeden Mittwochnachmittag gehen sie auf den Spielplatz, im Stadtpark spazieren, schwimmen. Sie spielen, toben, lachen. Dem Vater reicht das nicht. Er möchte seine Tochter öfter sehen, beantragt vor Gericht hälftige Betreuung mit der Mutter. 2003 beschließt das Familiengericht ein 14-tägiges Besuchsrecht.

Naumann zieht erneut vor Gericht. Es wird eine Gutachterin eingeschaltet, die prüfen soll, wie der Umgang zwischen Vater und Tochter aussehen könnte. Es werden Anträge gestellt, es werden Termine gemacht und verschoben. Es vergehen Monate, es vergehen Jahre. Aus dem Säugling Emma wird ein Kleinkind. Aus dem Kleinkind wird ein Schulkind. Emma geht inzwischen aufs Gymnasium.

Auch Peter Witkowski hat seine Tochter viel zu lange nicht gesehen. Das letzte richtige Treffen liegt fünf Jahre zurück. "Oft besteht zwölf bis 24 Monate kein Kontakt mehr zwischen einem Elternteil und dem Kind, obwohl es eine klare Reglung gibt. Die Gerichte wissen nicht, wie sie mit dem Umgangsboykott umgehen sollen, holen Sachverständige herbei, und bisweilen dauert so ein Verfahren durch alle Instanzen sieben bis acht Jahre", sagt ein Familienrichter. Zeit, die alle und alles kaputtmacht.

Detlef Naumann ist das lebende Beispiel dafür. Er kündigt seinen Job, hört einfach auf zu funktionieren. Aus Verzweiflung stellt er die Unterhaltszahlungen ein. Er geht an die Öffentlichkeit, erstellt im Internet eine Website mit vielen Dokumenten. Er nennt den Namen seiner Tochter, was ihm verboten ist. Auf Antrag der Mutter wird Naumann zu 20 Tagen à 50 Euro verurteilt. Er beschließt, für seine Tochter ins Gefängnis zu gehen.

Am 7. Mai 2010 tritt er die Haft an. Drei Monate vorher sieht er seine Tochter ein letztes Mal. In den Quäker-Häusern in Buchholz wird ein Treffen vereinbart - in Anwesenheit einer Gutachterin. Detlef Naumann bereitet sich akribisch auf diesen Termin vor. Er bringt Bastelvorlagen für Ostern mit, einen Prinzessinnen-Zauberstab, er will mit Emma Papierschiffe bauen und Bilder malen. Emma lässt sich auf ihren Vater ein. Sie winkt beim Abschied.

Peter Witkowski weiß, wie sich so ein Abschied anfühlt. Für beide Seiten. Er ist sich sicher, dass auch seine Tochter unter der Trennung leidet. Und dass die Mutter ihr einredet, der Papi habe sie nicht lieb. Im Jahr 2006 beantragt die Mutter einen Umgangsausschluss, will dem Vater den Kontakt zu seiner Tochter gerichtlich verbieten lassen. Ein Psychologe wird hinzugezogen. Der urteilt in seinem Gutachten: "Sofia wurde hochgradig instrumentalisiert, indem die Mutter ihr ein radikal negatives, monströses und feindseliges Bild ihres Vaters vermittelte." Dass der Experte die Verantwortung für die Entfremdung bei der Mutter sieht, ändert aber nichts an der Entscheidung des Gerichts: Peter Witkowski erhält ein Umgangsverbot.

"Das Verhalten der Mutter läuft dem Kindeswohl eklatant entgegen", sagt der 42-Jährige. "Sofia war immer gern mit mir zusammen." Und sie braucht ihren Vater. Wie wichtig beide Elternteile für die Entwicklung eines Kindes sind, weiß Diplom-Psychologin Barbara Keitel. "Die kindliche Identität ist zur Hälfte Vater und zur Hälfte Mutter. Das Kind braucht also zur Identitätsentwicklung beide Elternteile." Die Mütter dürften ihren Kindern den Vater nicht grundlos vorenthalten.

Und doch tun sie es. Immer wieder. Peter Witkowski hat seine Sofia am 16. Juni 2005 das letzte Mal einen ganzen Tag lang sehen dürfen. "Wir hatten acht gemeinsame Stunden", sagt der Vater. Sie gehen in die Stadt, essen Eis, kaufen ein Schmink-Set. Damit Sofia etwas hat, das sie an diesen Tag - und an ihren Vater - erinnert.

Das kleine Mädchen strahlt. Es lacht noch, als der Vater das Kind auf einem Parkplatz an die Mutter übergibt. Diese nimmt ihrer Tochter wortlos das Geschenk aus der Hand und wirft es in einen Papierkorb. Peter Witkowski versucht stark zu sein. Schließlich hat er seine Kleine doch immer aufgefangen. Er winkt seiner Tochter zu. Und lächelt, obwohl er heulen könnte.