Matthias Iken, stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, kommentiert den Streit um die Harley Days.

Hamburg. Vor knapp 50 Jahren hielt der damalige Innensenator Helmut Schmidt seiner Heimatstadt den Spiegel vor: Hamburg "schläft, meine Schöne, sie träumt. Sie ist eitel mit ihren Tugenden, ohne sie recht zu nutzen; sie genießt den heutigen Tag und scheint den morgigen für selbstverständlich zu halten."

In den vergangenen Jahren schien Schmidt endlich erhört worden zu sein. Als "wachsende Stadt" profilierte sich Hamburg als wache Metropole - sie setzte sich ambitionierte Ziele und galt bundesweit als Trendsetter. Ausgehend von der Olympiabewerbung wucherte die Stadt mit ihren Pfunden und präsentierte sich als moderne Stadt der Ereignisse, als interessantes Ziel für den Fremdenverkehr.

Vorbei. Nun drängt sich der Eindruck auf, Hamburg wähle den Weg weg von der pulsierenden Metropole, hin zur politisch korrekten Kommune. Die Harley Days, die Hunderttausende nach Hamburg lockte? Zu laut! Zu schmutzig! Zu unökologisch. Das Fanf-Fest auf dem Heiligengeistfeld? Zu laut! Zu teuer! Zu unsicher. Die Fans werden jetzt an die Müllverbrennungsanlage in Stellingen geladen, um zukünftig in der Arena mit den wechselnden Namen die WM zu schauen.

Seit klar ist, dass sich die Hansestadt 2011 "Europäische Umwelthauptstadt" (Green Capital) nennen darf, muss sich offenbar vieles unterordnen. So richtig und wichtig der Titel für Hamburg ist, so birgt er die Gefahr, über das Ziel hinauszuschießen.

Wenn zukünftig jede Veranstaltung unter dem Nachhaltigkeitsvorbehalt steht, sprich CO2 -und ressourcenneutral sein muss, wird es ruhiger in Hamburg, als selbst notorisch klagenden Anwohnern lieb sein dürfte. Die Cruise Days, die etliche Dreckschleudern zur See auf der Elbe versammelt, gehörten dann genauso auf den Prüfstand wie der Motorradgottesdienst, der Dom oder gar die Bundesliga. Das alles mag übertrieben klingen, aber es zeigt, wohin die Reise gehen könnte.

Dabei hatte die Hansestadt zuletzt ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen Jubel, Trubel und Heiterkeit gefunden. Zu Beginn der Amtszeit von Ole von Beust stand die Erkenntnis, dass Hamburg zu wenige Veranstaltungen von nationalem und internationalem Rang hat. Die Wirtschaftsbehörde formulierte es so: "Hamburg ist offen für alles und bietet jedem eine Präsentationsplattform." Selbst Schampus-Partys wie der "Bambi" oder seltsame Preisverleihungen wie die "World Awards" wurden mit Subventionen an die Elbe gelockt - zwischenzeitlich musste man gar fürchten, der Jungfernstieg werde zur Partymeile, die Innenstadt zum Rummelplatz. Kein Autorennen, kein Umzug, keine Party, die damals nicht als "Chance für Hamburg" missverstanden wurde. Sogar die Love Parade hätten einige Hinterbänkler noch gern nach Hamburg geholt.

Nun droht die Stadt ins andere Extrem zu verfallen. Seitdem man nicht mehr "wachsende Stadt" sein will, sondern das Wachsen "mit Weitsicht" unter Vorbehalt stellt, drohen die Bedenkenträger die Oberhand zu gewinnen. Die Harley Days, einst vom CDU-Senat politisch durchgedrückt, mögen laut und unökologisch sein - aber was ist gewonnen, wenn sich die Biker in Pinneberg treffen? Den Kiez werden sie trotzdem hinunterknattern. Derlei Verbote helfen sicher nicht, die Akzeptanz des großen Ziels "Umwelthauptstadt" zu vergrößern.

Und wem hilft die Verlegung des Fan-Festes wirklich? Hier kamen 2006 und 2008 Zehntausende zusammen, um Fußball zu feiern und danach die Innenstadt zu beleben. Das war eine durch und durch schichtenübergreifende Party des Volkes, das war große Oper für den kleinen Fan. Selbst Ole von Beust sah sich das Endspiel 2008 auf dem Heiligengeistfeld an.

Noch gilt die Verlegung des Fan-Fests im Senat nicht als ausgemachte Sache. Hier könnte die Politik beweisen, dass Hamburg keine wegnickende Schöne werden soll, sondern eine pulsierende Metropole bleibt.

Matthias Iken ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts