Brüssel/Berlin. Berufsverbot für viele deutsche Winzer? Warum die EU-Pläne zum Pflanzenschutz so umstritten sind – und welche Rolle Özdemir spielt.

Bei den deutschen Winzern ist die Stimmung aktuell so durchwachsen wie das Augustwetter. Der neue Weinjahrgang, für den die Hauptlese Anfang September beginnt, verspricht gute Qualität, sofern die Sonne in den nächsten Wochen mitspielt, heißt es beim Deutschen Weininstitut.

Aber blicken die Winzer weiter in die Zukunft, sind die Aussichten vielerorts düster: Seit 14 Monaten hängt das Damoklesschwert einer geplanten EU-Pflanzenschutzverordnung über vielen Betrieben – rigide Verbote zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln könnten die Existenz der Winzer bedrohen. Der EU-Plan käme einer „Stilllegung“ von einem Drittel der Rebfläche in Deutschland gleich, warnt der Deutsche Weinbauverband.

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Die betroffenen Winzer müssten ohne Pflanzenschutz komplette Ernteausfälle befürchten und würden die Weinberge daher aufgeben. Verbandspräsident Klaus Schneider erwartet ein „Betriebssterben sondergleichen“. Vom Kahlschlag besonders bedroht wäre das weltberühmte Anbaugebiet Mosel, wo der Weinbau um 90 Prozent zurückgehen würde, in den Anbaugebieten Baden und Württemberg wäre ein Drittel der Flächen betroffen, etwa rund um den Kaiserstuhl oder im Remstal, so der Verband.

Kritik an der EU: Die Pläne „schießen weit übers Ziel hinaus“

Ähnliche Zahlen melden die Pfalz und Rheinhessen. Die EU-Pläne „schießen weit übers Ziel hinaus“, kritisiert deshalb auch der Fraktionsvize der Union im Bundestag, Steffen Bilger (CDU): „Ein Totalverbot von Pflanzenschutzmitteln auf 30 Prozent der Rebflächen kommt einem Berufsverbot für viele Winzer gleich“, sagte Bilger unserer Redaktion.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir will zwischen Brüssel und den deutschen Weinbauern vermitteln.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir will zwischen Brüssel und den deutschen Weinbauern vermitteln. © dpa | Soeren Stache

Der Protest gilt einem Plan der EU-Kommission, den Pflanzenschutzmitteleinsatz in der Europäischen Union bis 2030 um 50 Prozent reduzieren will. Ein Baustein wäre das weitgehende Verbot solcher Mittel auf bestimmten Flächen: Öffentliche Gärten, Parks, Spielplätze, Freizeit- oder Sportstätten zählen dazu – aber, und da wird es heikel, auch „ökologisch empfindliche Gebiete“.

Darunter will die EU-Behörde nicht nur zum Beispiel Natur- oder Vogelschutzgebiete verstanden wissen. In Deutschland würden auch Landschaftsschutzgebiete unter das Pestizid-Verbot fallen – eine Kategorie, die andere EU-Staaten oft gar nicht kennen, die hierzulande aber ein Viertel der Gesamtfläche ausmacht.

Was die Brüsseler EU-Beamten unter Ursula von der Leyen bei ihrem Vorschlag im Juni 2022 ignorierten: Etwa ein Drittel der hiesigen Rebflächen liegt in Landschaftsschutzgebieten – fast das gesamte Moseltal, aber auch zum Beispiel zwei Drittel der Weinberge rund um die berühmte Pfälzer Wein-Kapitale Bad Dürkheim. Auch in den Landschaftsschutzgebieten dürfte gar nicht mehr gespritzt werden. Das Verbot soll alle Pflanzenschutzmittel umfassen, auch ökologische – der auch unter Spitzenwinzern zunehmende Bio-Weinbau wäre genauso betroffen wie der konventionelle. „Dies konterkariert das Ziel der EU, den Anteil der Biolandwirtschaft zu erhöhen“, klagt der Weinbauverband.

Weinbau: 2023 machte vor allem der Echte Mehltau wieder Probleme

Klar ist: Der größte Teil des Weinbaus in Deutschland braucht zum Schutz gegen Rebkrankheiten Pflanzenschutzmittel, in diesem Jahr machte vor allem der Echte Mehltau wieder Probleme. Aber Pestizide sind Gift, sie töten Insekten, verringern die Biodiversität, belasten das Grundwasser und den Boden. Strenge Standards schützen zwar den Weinkonsumenten vor schädlichen Rückständen im Glas, aber nicht unbedingt die Winzer bei der Arbeit im Weinberg.

In Neustadt an der Weinstraße schüttet ein Mann einen Eimer mit Trauben der Sorte Solaris in einen Sammelbehälter. Die Weinlese hat in einigen deutschen Wein-Anbaugebieten bereits begonnen, zunächst mit Trauben für den Federweißen.
In Neustadt an der Weinstraße schüttet ein Mann einen Eimer mit Trauben der Sorte Solaris in einen Sammelbehälter. Die Weinlese hat in einigen deutschen Wein-Anbaugebieten bereits begonnen, zunächst mit Trauben für den Federweißen. © dpa | Uwe Anspach

Dort werden nach Studien der Agrarforscher des Julius-Kühn-Instituts jährlich bis zu zwanzigmal Pestizide verspritzt. In der Branche wird längst diskutiert, ob die aktuelle Praxis zukunftsfähig ist. Viele Betriebe bemühen sich, den – durchaus kostspieligen – Gifteinsatz zu verringern. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) versucht deshalb den Spagat: Die strengen Reduktionsziele der EU unterstützt er – doch forderte er kürzlich in Brüssel erneut Nachbesserungen, um deutsche Landwirte und Winzer vor Nachteilen zu schützen. Schon vor einem Jahr versprach Özdemir seinen Einsatz dafür, dass die Landschaftsschutzgebiete vom Spritzverbot ausgeklammert werden.

EU-Pläne zum Pflanzenschutz: Union kritisiert „doppeltes Spiel“

Doch Unionsmann Bilger sieht inzwischen ein „doppeltes Spiel“ der Bundesregierung: „Vordergründig zeigen die grünen Bundesminister Özdemir und Lemke Verständnis für die Existenzängste der deutschen Weinbauern – und gleichzeitig treiben sie die EU-Gesetzgebung mit voran, ohne maßgebliche Entschärfungen zu erreichen“, sagt Bilger. „Die Bundesregierung sollte sich endlich klar zum Weinbauland Deutschland bekennen und entsprechend offensiv in Brüssel verhandeln.“

Tatsächlich hat sich auf EU-Ebene längst massiver Widerstand formiert, der Vorschlag in der ursprünglichen Form scheint nicht mehr durchsetzbar: Viele Mitgliedstaaten wollen die Pläne entschärfen, sie spielen auf Zeit und fordern von der Kommission erst noch eine Studie über die Folgewirkungen ihrer Vorschläge. Das kann dauern. Es ist zunehmend unwahrscheinlich, dass neue Pflanzenschutz-Regeln überhaupt noch vor der Europawahl im Juni 2024 beschlossen werden, die Beratungen zwischen Rat und Parlament haben noch nicht mal begonnen.

Selbst den Abgeordneten im EU-Parlament, die sonst gern noch einen drauflegen, gehen diese Vorschläge zu weit. Es sei völlig klar, dass die Vorlage geändert werden müsse, sagt die Vizepräsidentin des Parlaments, Katarina Barley (SPD), die in der Moselgemeinde Schweich zuhause ist. Eine Kulturlandschaft wie das Moseltal sei nicht mit einem Naturschutzgebiet gleichzusetzen.