Berlin. Nach dem Warnstreik der Gewerkschaft EVG hat die Deutsche Bahn keine Wahl. Der Staatskonzern muss einen weiteren großen Schritt gehen.

Erinnern Sie sich an das Jahr 2015? Bahnkunden litten ständig unter den Folgen des erbitterten Tarifkonflikts zwischen der Deutschen Bahn und der kampfeslustigen Lokführergewerkschaft GDL.

Gewerkschaftschef Claus Weselsky rief seine 20.000 Mitglieder bei der Bahn zu insgesamt 420 Stunden Streik auf, bis es endlich zu einer Einigung kam. Züge standen immer wieder still. Für Pendler wurde der Arbeitskampf fast zur Routine: Warten, bis wieder ein Zug fährt, Fahrgemeinschaften bilden oder gleich ins Auto steigen.

Nur vier Stunden Streik führten zum Chaos

Damals ging es „nur“ um die Interessen des Zugpersonals, das sich an einer Schlüsselstelle des Bahnbetriebs sah. Was passiert, wenn die ungleich größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG bei den Tarifverhandlungen für rund 160.000 Beschäftige für nur vier Stunden zum Sturm bläst, das hat Deutschland an diesem Montag eindrucksvoll erlebt.

Chaos im Berufsverkehr

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    Alle Fernzüge standen still, nachdem zunächst nur regionale Einschränkungen erwartet wurden. In manchen Bundesländern ging auf den Schienen gar nichts mehr. Das Chaos war perfekt.

    Diese Rechte haben Reisende bei Bahnstreiks.

    Auch Privatbahnen konnten nicht fahren

    Die EVG, die anders als die konkurrierende Lokführergewerkschaft bislang wenig kämpferisch in der Öffentlichkeit auftrat, hat der Deutschen Bahn ihre Macht demonstriert. Ihre Mitglieder legten zeitgleich alles lahm: Kein Service am Bahnsteig und in Reisezentren, Streik in Stellwerken sowie Werkstätten, und auch ein Teil des Zugpersonals ist in der EVG organisiert. So kamen Züge teilweise erst gar nicht aus den Werkstätten.

    Selbst bei Privatbahnen, bei denen Lokführer und Zugbegleiter pünktlich zum Dienst erschienen, scheiterte die Fahrt an roten Signalen. Verärgerte Kunden konnten keine Informationen am Bahnhof bekommen, wie sie ans Ziel kommen, auch konnte die Bahn ihre digitalen Systeme nicht füttern, weil kein Personal da war – alles Folgen des Streiks der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft.

    Nach Bahn-Chaos kein weiterer Streik

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      Bahnmitarbeiter arbeiten an der Belastungsgrenze

      Von der Wucht des Warnstreiks zeigte sich die Führung der Gewerkschaft, die seit Jahren mit Mitgliederschwund kämpft, offiziell wenig überrascht. Sie verwies darauf, dass die Mitglieder die Aktionen weitgehend selbst gesteuert hätten. Dabei dürfte die große Bereitschaft unter den Eisenbahnern zur Teilnahme am Warnstreik noch einen anderen Grund haben, als ihrem Arbeitgeber ein starkes Signal im Tarifkonflikt zu senden.

      Die Eisenbahner arbeiten wegen chronischen Personalmangels und jahrelanger Sparpolitik an der Belastungsgrenze. Sie ertragen den Ärger von Kunden über zunehmende Verspätungen. Und Besserung ist nicht in Sicht. Ein schlüssiges Konzept hat die Bahn nicht, geschweige denn das Geld für massive Investitionen: Der Schuldenberg von 20 Milliarden Euro lähmt den Staatskonzern. Der Frust bei den Mitarbeitern sitzt mindestens genau so tief wie bei den Kunden.

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      EVG und Bahn eigentlich weitgehend einig

      Anders sieht es bei den konkreten Tarifverhandlungen aus. In 34 von 37 Punkten sieht sich die EVG mit der Bahn einig. Sehr nah dran also an einer Einigung. 5,1 Prozent mehr Geld in etwas mehr als zwei Jahren oder mehr Freizeit bietet die Bahn: Das ist ein gutes Verhandlungsergebnis und überhaupt kein Grund, den Bahnverkehr lahmzulegen. Der Konzern spricht von einer „völlig überflüssigen Eskalation“ – und hat damit Recht. Selbst die rivalisierende GDL, die parallel verhandelt, hält den Ball flach.

      Der Bahn wird in ihrer angespannten Lage jedoch kaum eine andere Möglichkeit bleiben, als sich der Gewerkschaft mit einem weiteren großen Schritt zu nähern. Ohne ein teures Zugeständnis riskiert sie eine weitere Eskalation mitten in der Weihnachtszeit.