Berlin. Germania-Chef Karsten Balke wirft der Regierung Wettbewerbsverzerrung vor. Die Fluggesellschaft stärkt jetzt den Standort Berlin-Tegel.

Im Norden Berlins, einige Fahrtminuten vom Flughafen Tegel entfernt, spielt sich derzeit ein Lehrstück deutscher Wirtschaftsgeschichte ab. Dort, am zugigen Riedermannweg, in einem Gebäudekomplex aus Backstein, haben die Pleiteairline Air Berlin und die Berliner Fluggesellschaft Germania ihren Firmensitz.

Doch während in einem Teil der Anlage Air-Berlin-Mitarbeiter auf der eigens organisierten Jobmesse Personalvertretern von Motel One und American Express ihren Lebenslauf in die Hand drücken oder sich bereits auf eine Zukunft bei der Lufthansa vorbereiten, sitzt im anderen Teil Germania-Chef Karsten Balke und ärgert sich.

Kritik am Kredit für Air Berlin

Lange betraf das Geschäftsgebaren des Nachbarn die kleine Fluggesellschaft Germania mit ihren knapp 30 Flugzeugen kaum. Mit der Insolvenz von Air Berlin allerdings hat sich das schlagartig geändert. Durch den von der Bundesregierung gewährten Überbrückungskredit und den Verkauf großer Air-Berlin-Teile an Lufthansa fühlt sich Balke um die Kräfte des freien Marktes gebracht. Der Deal, ist sich Balke sicher, ist zuungunsten der Konkurrenten und Passagiere gelaufen.

„Die Bundesregierung hat die Soziale Marktwirtschaft in ihr Gegenteil verkehrt und ein Monopol geschaffen“, sagte Balke dieser Zeitung. Der Kredit in Höhe von 150 Millionen Euro habe dies deutlich unterstützt. Balke hegt den Verdacht, dass das Darlehen gezielt gewährt wurde, damit die für die Lufthansa und ihre Tochter Eurowings interessanten Strecken weiter bedient werden.

Zuletzt sind die Ticketpreise um 39 Prozent gestiegen

Denn nur so bleiben die wertvollen Start- und Landerechte erhalten. Wäre Air Berlin schon früher zahlungs- und damit flugunfähig gewesen, wären die sogenannten Slots an den Luftfahrtkoordinator zurückgegangen – auch Germania hätte dann möglicherweise den Zuschlag erhalten. So aber kann die Lufthansa ihre Dominanz auf den innerdeutschen Strecken ausbauen.

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    Balke macht deshalb nun die Bundesregierung für die steigenden Ticketpreise verantwortlich, denn sie habe die Rahmenbedingungen dafür gesetzt. „Wenn man die Nummer eins unter den deutschen Airlines weiter unterstützt, dann führt das eben zu einer Marktverzerrung“, empört sich der Germania-Manager. Internetportale wie Mydealz hatten diese Woche berechnet, dass seit dem Ausscheiden von Air Berlin auf manchen Kurzstrecken die Preise um bis zu 39 Prozent gestiegen seien.

    Richter wiesen Eilantrag von Germania ab

    Dem Konkurrenten Lufthansa wirft Balke zudem vor, die Macht gezielt auszunutzen. Auf einigen innerdeutschen Strecken, treibe sie die „Ticketpreise in die Höhe“. „Da wird die Schmerzgrenze eines jeden Passagiers ausgetestet“, schließt Balke.

    Ende August hatte seine Fluggesellschaft versucht, den Überbrückungskredit für Air Berlin noch per Klage am Landgericht Berlin zu stoppen. Doch die Richter wiesen den Eilantrag ab. Zudem legte Jurist Balke eine Beihilfebeschwerde gegen die Bundesregierung bei der EU ein. Zum Stand des Verfahrens will sich das Unternehmen nicht äußern. Die EU-Kommission muss ohnehin noch dem Verkauf einzelner Air-Berlin-Teile an Lufthansa und Easy Jet zustimmen.

    Neue Chance für die Airline

    Trotz der starken Konkurrenz: „Für Germania ergeben sich aus dem Zusammenbruch der Air Berlin ohne Zweifel neue Chancen“, sagt der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. So fliegt Germania wieder ab Tegel. Weil Air Berlin bislang den Flughafen dominiert hat, hatte sich Germania vor einigen Jahren nach Schönefeld zurückgezogen. Im nächsten Sommer sollen jedoch wieder 13 Ziele von Tegel aus angeflogen werden. Auch die Standorte Düsseldorf und Zürich will Germania ausbauen.

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      Seit ihrer Gründung vor rund 30 Jahren verfolgt die Fluglinie ein ungewöhnliches Geschäftsmodell. Der Verkauf von Einzelplätzen macht nur einen Teil des Umsatzes aus. Germania fliegt zudem für Reiseveranstalter und vermietet Flugzeuge samt Besatzung an andere Fluggesellschaften. Großbongardt nennt das eine „interessante und durchaus erfolgreiche Nischenstrategie.“

      Verluste durch Flottenerneuerung

      Zudem bedient die Fluggesellschaft mit dem „Family-and-Friends-Geschäft“ (Familie und Freunde) vor allem Ziele jenseits der touristischen Pfade, etwa Kosovo oder Beirut. Die Strecken werden vor allem von Migranten nachgefragt, die ihre Familien in den Heimatländern besuchen. Unter dem Strich flog Germania in den vergangenen Jahren dennoch Verlust ein. Balke begründet das mit Großinvestitionen in den vergangenen Jahren.

      So muss die Fluggesellschaft ihre in die Jahre gekommenen Flotte erneuern. Im vergangenen Jahr hat sie deshalb in 25 Flugzeugen des Typs Airbus A320 neo investiert. Balke hofft, dass sich die Airline in diesem und im kommenden Jahr wieder der Gewinnzone annähern wird. Er bemühe sich um „Strecken, die in unser Portfolio passen“, sagt der Germania-Chef und fügt hinzu: „Ob uns das gestattet wird, muss man sehen.“