Studie warnt vor Arbeitskräftemangel. Ingenieure, Wirtschaftswissenschaftler und Pflegekräfte werden gesucht. Zeitarbeit boomt.

Hamburg. Trotz der zunehmenden Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland dürfte es künftig immer mehr offene Stellen hierzulande geben. Denn bis zum Jahr 2020 wird die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze bundesweit um 1,7 Millionen (im Vergleich zu 2003) steigen, wie aus einer Studie der renommierten Bertelsmann-Stiftung hervorgeht. Darüber hinaus sagen die Experten 820 000 zusätzliche Stellen für geringfügig Beschäftigte voraus - somit entstünden insgesamt 2,5 Millionen neue Jobs bis zum Jahr 2020. "Doch wegen des Geburtenrückgangs und fehlender Qualifizierung droht ein Arbeitskräftemangel", sagt der Leiter der Studie, Eric Thode, dem Abendblatt.

Hochqualifizierte in boomenden Branchen wie der Informationstechnologie haben in den nächsten zehn Jahren besonders gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Aber auch angelernte Arbeitskräfte im Dienstleistungsbereich dürften leichter als bisher einen Job finden. Für Unternehmen wird es dagegen immer komplizierter, geeignetes Personal zu bekommen. "Politik und Wirtschaft müssen rechtzeitig gegensteuern", fordert Thode.

Der Wissenschaftler spricht sich für eine Doppelstrategie aus, um dem Mangel an Arbeitskräften zu begegnen. Zum einen müssten die Firmen die Zahl der Frauen, die höher qualifizierte Tätigkeiten ausüben, deutlich steigern. Dabei komme es vor allem darauf an, Müttern den Wiedereinstieg in das Berufsleben zu erleichtern. Derzeit würden zu viele Frauen nach der Geburt eines Kindes lediglich einen Teilzeitjob annehmen, weil sie die Betreuung des Nachwuchses nicht organisieren könnten. Hier fordert Thode bessere Angebote von Unternehmen und Kommunen. Zum anderen müssten ältere Beschäftigte in hoch qualifizierten Berufen gehalten werden. "Häufig bieten Unternehmen nur ihren jüngeren Arbeitnehmern Weiterbildungsmaßnahmen an - das ist zu kurz gedacht", so Thode. Zusatzqualifikationen für ältere Beschäftigte seien gerade mit Blick auf die demografische Entwicklung hierzulande immens wichtig.

Immer mehr einfache Tätigkeiten werden ins Ausland verlagert

Als ein gravierendes Problem haben die Wissenschaftler der Bertelsmann-Stiftung die zum Teil mangelhafte Bildung junger Menschen ausgemacht. Die Jugendlichen müssten besser auf das Berufsleben vorbereitet werden, sagt Thode. Seine Forderung: "Weniger Theorie, mehr Praxis." Jungen Menschen empfiehlt der Wissenschaftler entweder ein Studium mit Zukunftsperspektive, wie zum Beispiel Informatik, oder eine Ausbildung in einer "personennahen Dienstleistung". Dazu zählen unter anderem Alten- und Krankenpflege. Dagegen rät Thode von derzeit besonders beliebten Ausbildungsberufen wie Kfz-Mechaniker und Friseurin ab. "Hier ist die Nachfrage der Jugendlichen schon sehr hoch, das Arbeitsplatzangebot dagegen vergleichsweise gering."

Immer weniger Perspektiven haben zudem Berufe in Produktionsbetrieben, bei denen es sich um monotone Tätigkeiten handelt. Diese Arbeitsplätze sind bereits in den vergangenen Jahren aus Kostengründen im großen Stil ins Ausland verlagert worden - und dieser Trend dürfte sich laut Studie fortsetzen. Besonders gefragt werden in zehn Jahren Akademiker sein: Ihr Bedarf steigt bis 2020 um rund 800 000 Universitäts- und 1,2 Millionen Fachhochschulabsolventen. Die besten Aussichten haben Studenten der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Ingenieure, Erziehungswissenschaftler, Mathematiker, Juristen, Maschinenbauer und Naturwissenschaftler. Dringend gesucht werden darüber hinaus Meister, Techniker und Fachschüler. Für sie steigt das Arbeitsplatzangebot um mehr als eine halbe Million.

Gezieltes Anwerben ausländischer Fachkräfte als Lösung

Auch Hamburg wird in Zukunft verstärkt mit dem Problem des Fachkräftemangels zu kämpfen haben. Da die Bevölkerung in der Hansestadt nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes aber bis 2020 im Gegensatz zum Bund noch zunehmen wird, dürfte die Suche nach geeignetem Personal erst danach in Hamburg komplizierter werden. Das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) empfiehlt, über eine "gezielte Anwerbung von ausländischen Fachkräften" nachzudenken. Zudem sollte der Staat älteren Beschäftigten die Chance geben, nach Erreichen des gesetzlichen Rentenalters ihre Tätigkeit ohne finanzielle und andere Nachteile fortzuführen.

Dass es für Arbeitnehmer in den kommenden Jahren schwieriger wird, einen langfristigen Arbeitsvertrag zu bekommen, zeigt derweil der Boom bei Leiharbeitsfirmen. Bereits für mehr als jede dritte neue Stelle suchten die Betriebe hierzulande im Juni einen Leiharbeiter. Experten führen dies vor allem auf den Wunsch der Firmen nach großer Flexibilität zurück. "Und diese Entwicklung wird eher noch zunehmen", sagt Wissenschaftler Thode voraus.