Tausende Löcher werden gebohrt, unzählige Titannieten gesetzt. Wie tonnenschweren Tragflächen an den Rumpf eines Airbus kommen.

Hamburg. Bei der "Hochzeit" nehmen es die Flugzeugbauer von Airbus sehr genau: Wenn sie die Tragflächen an den Rumpf montieren, sind die Flügel auf vier Hundertstel Millimeter genau ausgerichtet. Schließlich muss die Verbindung ein Jet-Leben lang halten - und Passagiermaschinen können 30 oder sogar mehr als 40 Jahre im Liniendienst bleiben.

+++ Teil 1: Der Beluga - Im weißen Wal nach Finkenwerder +++

Der Airbus, der hier auf der sogenannten Station 40 der Hamburger Endmontagelinie erstmals Flugzeuggestalt annimmt, trägt die Seriennummer 4976. Es ist ein A321 für die Lufthansa. "Drei Tage bleibt der Flieger auf dieser Station, in dieser Zeit arbeiten wir in drei Schichten", sagt Andreas Isler. Als Stationskoordinator, im Technikerslang kurz Stako genannt, ist der 41 Jahre alte Maschinenschlosser verantwortlich für 14 Kollegen in der Nachmittagsschicht. Einige von ihnen hantieren mit schweren, druckluftbetriebenen Bohrmaschinen.

Mithilfe von Schablonen bohren sie auf jeder Seite des Flugzeugs mehr als 1000 Löcher für die Schraubennieten aus Titan, zwischen acht und zwölf Millimeter dick und 3,5 bis fünf Zentimeter lang, mit denen man später die jeweils viereinhalb Tonnen schweren Tragflächen befestigt.

Produktionsmängel dürfen sich dabei nicht einschleichen. "Sollte jemand versuchen, einen Fehler zu vertuschen, muss er gehen", sagt Isler. Damit es dazu nicht kommt, gilt das Vier-Augen-Prinzip - sicherheitskritische Arbeiten werden immer von einem Kollegen geprüft. "Außerdem dokumentieren wir alles: Die Unterlagen darüber, wer welche Schraube eingesetzt hat, werden über die gesamte Lebensdauer des Flugzeugs aufbewahrt." Aber das ist noch nicht alles: Mitarbeiter der Qualitätssicherung in grüner Kleidung nehmen nach eigener Wahl ein Viertel der Tätigkeiten unter die Lupe. "Mehr Sicherheit fiele mir nicht ein", so Isler.

Während die Flügel aus britischer Produktion mit einem Beluga-Transportflugzeug nach Hamburg gebracht wurden und das Rumpfvorderteil mit dem Cockpit ebenfalls auf dem Luftweg aus Frankreich kam, entstanden die mittleren und hinteren Rumpfsektionen gleich nebenan. In der Halle 8 des Werks auf Finkenwerder erhalten die Rümpfe ihr technisches Innenleben - unter anderem Elektrik, Hydraulik, die Notsauerstoffanlage und ein Feuerlöschsystem.

Für diesen Teil der Fertigung hat man sich im Jahr 2005 etwas ganz neues einfallen lassen: die "Moving Line". Zehn Rümpfe nebeneinander bewegen sich auf Transportwagen, die von einer Kette gezogen werden, wie auf einem Fließband durch die Halle. Dabei stammt das Grundkonzept aus anderen Branchen: "Wir haben uns auch an Vorbildern aus der Automobilindustrie orientiert", sagt Hans-Jürgen Mewes, Leiter der Strukturmontage für die A320-Typenfamilie in Hamburg. "Derzeit legen die Montageplätze 1,16 Meter pro Stunde zurück, alle sieben Stunden verlässt ein fertig ausgestatteter Rumpf die Halle." Ungefähr jeder zweite von ihnen bleibt nicht in Hamburg, sondern geht per Beluga oder Schiff auf die Reise an die anderen Endmontagelinien der A320-Typenreihe in Toulouse und Tianjin (China).

Angesichts der starken Nachfrage nach diesen Flugzeugen stehen Mewes und seine Kollegen vor einer Herausforderung: Bis Ende 2012 soll die konzernweite Produktionsrate von Jets der A320-Familie auf 42 Maschinen im Monat zunehmen; derzeit werden 38 bis 40 Flieger gefertigt. Damit soll ein Rumpf künftig schon nach sechseinhalb Stunden komplettiert sein. Steigende Produktivität soll dabei helfen, die höhere Fertigungsrate zu bewältigen.

"Wir arbeiten kontinuierlich an der Optimierung unserer Fertigungsprozesse", sagt Günter Butschek, Produktionsvorstand des Konzerns und Chef von Airbus Deutschland. "In den vergangenen Jahren haben wir die Abläufe immer effizienter gestaltet und so den Spielraum für Kapazitätserhöhungen geschaffen." Darüber hinaus habe Airbus aber auch zusätzliche Mitarbeiter an Bord genommen: "Von den rund 1000 Einstellungen in Deutschland in diesem Jahr entfallen auch einige auf den Hochlauf der Fertigungsraten", erklärt Butschek.

Auf steigende Mitarbeiterzahlen setzt auch Jan-Marcus Hinz, Betriebsratschef von Airbus in Hamburg. Er verweist dazu auf den neuen "Zukunftstarifvertrag". Darin ist unter anderem festgelegt, dass mindestens 80 Prozent aller Arbeiten in den bestehenden Flugzeugprogrammen von fest angestellten Airbus-Beschäftigten geleistet werden müssen. Der Vertrag markiert aber nach Auffassung von Hinz vor allem den "Beginn eines Kulturwandels im Unternehmen" mit einer stärkeren Einbindung der Belegschaft in Veränderungen der Arbeitsorganisation. Denn, so argumentiert Hinz: "Keiner kann besser optimieren als die Mitarbeiter selbst." Dies habe man inzwischen auch im Management erkannt.

Was neue Konzepte bringen können, zeigt das Beispiel der "Moving Line": Vor Beginn der Fließfertigung dauerte es neun Tage, einen Rumpf auszustatten, heute sind es nur noch fünfeinhalb Tage. Als "grüne Zigarre", wegen des blassgrünen Korrosionsschutzanstrichs, wird der Rumpf anschließend mit einem mächtigen Kran auf ein Luftkissenfahrzeug gehoben und zur Station 40 befördert. Außer den Tragflächen baut das Team von Andreas Isler unter anderem auch das Fahrwerk an.

Nun fehlen dem künftigen Lufthansa-Jet nur noch das Leitwerk und die Triebwerke, um von außen wie ein "richtiges" Flugzeug auszusehen. So kann er auf eigenen Rädern auf den nächsten Bauplatz in der Endmontagehalle, die Station 35, rollen. Die Bezeichnungen dieser Stationen stammen aus der Historie: Einst dauerte es von diesem Platz an noch 35 Tage bis zur Auslieferung. Heute beträgt die komplette Durchlaufzeit in der Hamburger Endmontage weniger als 23 Tage.

Solche Fortschritte beruhen nicht zuletzt auf modernen Produktionsmethoden. So schweißt man heute mit Laserstrahlen, computergesteuerte Automaten übernehmen wie in den Automobilkonzernen immer mehr Aufgaben. Doch noch immer ist der Flugzeugbau eine Mischung aus Hightech und traditionellem Handwerk.

Ein Beispiel dafür ist die Montage der sogenannten Kofferecken. Dies sind Verstärkungen am Übergang vom Rumpf zum Flügel, die extrem eng anliegen müssen. Es gibt zwei Verfahren dafür, sie anzupassen. So kann man ein dreidimensionales Foto von der Stelle, an der das komplex geformte Metallteil sitzen muss, aufnehmen. Die digitalen Bilddaten steuern eine Maschine, die das Teil mit einer Präzision von einem vierhundertstel Millimeter fräst und Nacharbeit damit in den meisten Fällen überflüssig macht.

Doch an manchen schwer zugänglichen Winkeln im Flugzeug wendet Islers Team eine andere, technisch sehr viel simplere Methode an: Man bestreicht die Stelle, an der die Kofferecke eingebaut werden soll, mit blauer Farbe, drückt anschließend das Bauteil an und nimmt es wieder ab. Wo sich die blaue Farbe nicht übertragen hat, liegt die Oberfläche der Verstärkungsklammer noch nicht nah genug an. "Dann muss man mit der Flex ran", sagt Isler. Er kennt diese Arbeit sehr gut - neun Jahre lang hat er sie selbst getan, bis er 2008 zum Stationskoordinator aufstieg. "Man muss schon ein Händchen dafür haben", so Isler, "aber irgendwann geht das wie das Frühstücken."