Wie Airbus in Hamburg-Finkenwerder seine Flugzeuge baut. Abendblatt-Serie. Teil 1: Als Beluga-Pilot unterwegs - ein anspruchsvoller Job.

Hamburg. Den meisten Hamburgern ist der Beluga schon am Himmel über der Hansestadt aufgefallen: Ein Flugzeug mit einem grotesk aufgeblähten Rumpf in der Form eines weißen Wals und mit flossenartigen Endscheiben am Höhenleitwerk. Dabei ist dieser seltsame Flieger äußerst rar, nur fünf Exemplare des auf Basis einer Airbus A300-Passagiermaschine umgebauten Spezialtransporters wurden produziert. Rolf Hannak ist einer der Männer, die in ihren Cockpits sitzen. Es ist ein begehrter Arbeitsplatz: "Piloten wollen immer das größte oder das seltenste Flugzeug fliegen", sagt Hannak.

Doch die Ansprüche an die Besatzungen sind hoch. Mindestens 5000 Flugstunden muss man absolviert haben, um in den exklusiven Kreis aufgenommen zu werden; die jüngsten der rund 40 Beluga-Piloten sind 40 Jahre alt. Zwar verhalte sich der übergewichtig wirkende Jet in der Luft nicht grundsätzlich anders als ein "normales" Verkehrsflugzeug, sagt Hannak. "Aber wenn es windig ist, haben wir schon etwas mehr zu tun."

600-mal landet in diesem Jahr einer der Jets mit der offiziellen Bezeichnung A300-600ST auf dem Airbus-Werksflugplatz Finkenwerder, zwei bis drei sind es pro Arbeitstag. Für die Produktion von Airbus spielt der Lufttransport eine entscheidende Rolle, denn der Konzern baut seine Flugzeuge in einem europäischen Werksverbund (siehe Grafik). Im Rahmen dieses Netzwerks ist Hamburg für die Fertigung der mittleren und hinteren Rumpfsektionen sowie für die Entwicklung und den Einbau von Kabinenausstattungen verantwortlich, hinzu kommt die Endmontage von Kurz- und Mittelstreckenjets der Typen A319 und A321.

An einem Mittag im November schwebt der vierte der fünf Belugas durch die Reste von Nebelschwaden über Finkenwerder ein. Gestartet ist er auf dem Flughafen Hawarden in der Nähe von Chester im Norden von Wales. An Bord sind die Tragflächen für einen A321 mit der Seriennummer 4976. Noch vor Weihnachten will ihn die Lufthansa in Hamburg abholen.

Bereits drei Tage früher als die Flügel sei der vordere Rumpf mit dem Cockpit aus St. Nazaire an der französischen Atlantikküste eingetroffen, sagt Friedrich-Wilhelm Preuss, Leiter Transportlogistik für Großbauteile. "Schon angebaut ist ein Rumpfsegment, das von einem italienischen Zulieferer stammt." Das Höhenleitwerk kommt mit dem Beluga aus Spanien, das Seitenleitwerk per Lkw aus Stade.

Den weitesten Weg haben Rumpfschalen aus Korea; sie bilden eine "Verlängerung" speziell für den gegenüber den kleineren Mitgliedern der A320-Familie gestreckten A321. "Diese Rumpfteile treffen mit Containerschiffen im Hafen ein, wir holen sie dann mit einer Schute ab", erklärt Preuss.

"Airbus ist heute ein global agierendes Unternehmen - wir haben Kunden in aller Welt und beziehen Bauteile von fast allen Kontinenten", sagt dazu Günter Butschek, Produktionsvorstand des Konzerns sowie Chef von Airbus Deutschland. "Und seit der Unternehmensgründung vor über 40 Jahren praktizieren wir europäische Zusammenarbeit ganz konkret." Von Anfang an hätten sich die einzelnen Länder auf die Entwicklung und Fertigung bestimmter großer Komponenten spezialisiert. "Diese Arbeitsteilung ist eine der großen Stärken von Airbus, und hat unseren Aufstieg vom Nobody zum Marktführer begünstigt", so Butschek.

Zwar verursacht die verteilte Produktion unbestreitbar Mehrkosten für die Transporte. Doch dieser Faktor werde zu einem großen Teil ausgeglichen durch die Vorteile der besonderen Expertise, die sich an den einzelnen Standorten herausgebildet habe, sagt Michael Hessenbruch, Luftfahrtexperte bei der Unternehmensberatung Deloitte. Gegen eine strikte Zentralisierung spreche noch ein anderes Argument: "Man findet nicht genügend Spezialisten für so viele verschiedene Arbeiten an nur einem Ort." Zudem sei der länderübergreifende Werksverbund keineswegs nur eine historisch bedingte Airbus-Spezialität, so Hessenbruch: "Boeing baut Flugzeuge auf ähnliche Weise und bezieht Komponenten zum Beispiel aus Japan und Italien."

Seit 2008 hat sich die Komplexität des Airbus-Produktionssystems noch erhöht. Denn Jets der A320-Familie werden seitdem nicht nur in Hamburg und Toulouse, sondern auch in der chinesischen Hafenstadt Tianjin endmontiert. Dabei hat Hamburg die Funktion des Logistikzentrums übernommen: Fast alle Großteile kommen aus den europäischen Werken erst nach Finkenwerder und werden dann im Hafen auf Containerschiffe nach China verladen.

Somit braucht man die Belugas nun auch für die Airbus-Jets aus dem fernen Osten. Rechnet man Transporte für andere Airbus-Programme wie den A380 oder den A400M hinzu, steuert die Flotte 13 Flughäfen in Europa an. Zusammen mit dem Lademeister, der immer mitfliegt, ist ein Bodenteam von fünf Personen für das Ent- und Beladen verantwortlich. "Damit der Beluga dabei nicht kippen kann, wird er vorn und hinten auf Stützen gestellt", sagt Preuss. Er plant mit Bodenzeiten von durchschnittlich 105 Minuten - verglichen mit den 30 Minuten bei einem Billigflieger erscheint das eher entspannt.

Auch die Dienstpläne unterscheiden sich von denen einer Fluggesellschaft: "Dort ist man bis zu zehn Tage am Stück nicht zu Hause, während wir üblicherweise zwei bis drei Tage unterwegs sind", erklärt Hannak. Er schätzt es, nicht so lange von seiner Frau und seinem zehn Jahre alten Sohn getrennt zu sein.

Hannaks Dienstsitz ist zwar Toulouse, aber in Hamburg kennt er sich sehr gut aus: Er hat im Werk an der Elbe eine Ausbildung zum Fluggerätmechaniker absolviert. Nach seinem Wechsel in den Pilotenberuf flog er für Hamburg Airlines, die Regionalfluggesellschaft des Steakhausunternehmers Eugen Block. Später arbeitete Hannak bei Sabena und zuletzt als Kapitän bei der britischen Flybe.

Seit er vor sechs Jahren zu Airbus kam, sitzt er wieder auf der rechten Seite - als Kopilot. Aktuell ist er der einzige Deutsche in den Beluga-Cockpits. Eine mögliche Erklärung dafür: "Man muss fließend Französisch sprechen." Für Hannak war das kein Problem: Er ist in Frankreich zur Schule gegangen, als sein Vater, ebenfalls Airbus-Mitarbeiter, eine Stelle in Toulouse annahm.

Auch wenn die Beluga-Piloten keine Probleme mit zu spät kommenden Passagieren haben, ist ihr Dienst nicht frei von Unwägbarkeiten. Für eine davon sorgt das Wetter: Bei Windstärken oberhalb von 6 Beaufort darf die riesige Ladeklappe nicht geöffnet werden. Fünf bis zehn Mal im Jahr kommt es in Hamburg vor, dass sich dadurch Verzögerungen ergeben. Daher überlegt man, künftig eine Halle für die Belugas zu bauen.

Auf unplanmäßige Übernachtungen ist Hannak ebenso wie seine Kollegen vorbereitet: "Wir haben für solche Fälle immer ein Köfferchen dabei." Und falls Hannak jetzt in Hamburg festsäße, käme bei ihm keine Langeweile auf: "Dann könnte ich sogar kurz auf dem Weihnachtsmarkt vorbeischauen."