Die seit Monaten andauernden Bahnstreiks bei der NOB nerven Reisende und Insulaner. Die Züge fahren mit mehrstündiger Verspätung.

Hamburg. Marco Dragojlovic steht inmitten von Dutzenden Schülern am Altonaer Bahnhof, versucht gleichzeitig Haufen von Rucksäcken zu beaufsichtigen und die schnatternden Kinder. Ihre offenen Anoraks wehen im Wind, alle reden durcheinander. Gerade sind sie vom Schullandheim Puan Klent aus Sylt zurückgekommen, und an die Hinreise möchte der Lehrer am liebsten gar nicht mehr denken. "Der Zug hatte zwei Stunden Verspätung, das kam für uns leider völlig überraschend", sagt der 40-Jährige. Mit 120 Kindern musste die Truppe wegen des Streiks der Nord-Ostsee-Bahn (NOB) auf dem Bahnsteig warten, einige hätten wegen der Überfüllung sogar auf dem Boden sitzen müssen.

Auch an diesem Freitag sind Hunderte Reisende mit einem mulmigen Gefühl an den Bahnhof gekommen: Die Reise am langen Wochenende oder in die Ferien auf Sylt kann jederzeit wieder zum Horrortrip werden. Denn die NOB streikt noch immer . Und mit einer Einigung zwischen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und der NOB ist selbst nach dem bereits Monate dauernden Tarifkonflikt nicht zu rechnen. Auch wenn Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Jost de Jager (CDU) zuletzt die Tarifpartner aufgefordert hat, neue Gespräche aufzunehmen. Dem Minister dürfte es dabei vor allem darum gehen, wirtschaftlichen Schaden von der Insel Sylt abzuwehren. Denn 80 Prozent der zuletzt 9,3 Millionen Passagiere der Privatbahn sind auf der Strecke zwischen Hamburg und Westerland unterwegs. "Tagestouristen begeben sich aufgrund des Dauerstreiks derzeit überhaupt nicht mehr nach Sylt", klagt Tanja Altmiks von der Sylt Tourismus Service GmbH.

+++ Nordsee-Ansturm am Wochenende erwartet +++

+++ Anhaltender Streik der NOB-Lokführer +++

Die Anreise wird seit Monaten auch für die 7000 Pendler, die auf dem Festland wohnen, erschwert. Darunter litten hauptsächlich die Einzelhändler und die Vermieter, weil beispielsweise die Reinigungskräfte die Appartements vor der Ankunft der Gäste nicht rechtzeitig in Ordnung bringen könnten. "Diese Streiks sind unverantwortlich", sagt Claudia Kochanek, die 65 Wohnungen in und um Westerland vermietet. Die Arbeitsniederlegungen treffen aber nicht nur den für Sylt so wichtigen Tourismus. Kürzlich haben Senioren eines Altenheims auf Sylt demonstriert, weil die Pflegekräfte morgens ständig zu spät zum Dienst auf die Insel gekommen sind. "Und auch für die Schüler, die aufs Festland pendeln, ist das der totale Stress", sagt Claudia Kochanek.

Die NOB, die zum französischen Staatskonzern Veolia gehört, beziffert ihren Schaden pro Streiktag auf rund 100 000 Euro. Darin sind sowohl die Umsatzverluste durch weniger Passagiere, die Kosten für Bus-Ersatzverkehre sowie Zahlungen an das Land Schleswig-Holstein für ausgefallene Züge enthalten. Doch ob und wie die Gespräche wieder aufgenommen werden, ist offen.

Seit Ende August ein Gesprächstermin für eine Schlichtung scheiterte, herrscht Funkstille zwischen den Tarifpartnern. Der noch anhaltende Streik begann am 23. September. "Wir kehren sofort an den Verhandlungstisch zurück, wenn die NOB die von uns bereits unterzeichnete Vereinbarung über eine Schlichtung unterschreibt", sagte GDL-Sprecher Stefan Mousiol. Doch dazu dürfte es vorerst nicht kommen. "Wir können nur ohne Vorbedingungen verhandeln", sagt NOB-Sprecherin Christiane Lage.

Hintergrund für den Konflikt ist, dass die GDL weiter auf den Abschluss eines bundeseinheitlichen Rahmentarifvertrags für alle Lokführer besteht. Der Vertrag orientiert sich an den Arbeitsbedingungen und den Entgelten der Deutschen Bahn. Dazu will die Gewerkschaft ihren Mitgliedern bei einem Wechsel des Betreibers für eine Strecke die Übernahme in das neue Unternehmen sichern.

Das akzeptiert die NOB nicht. "Weil die Bahn beim Einkauf von Energie Vorteile hat und zudem ihren Verkehr über Einnahmen aus anderen Bereichen unterstützen kann, können wir im Wettbewerb nur bestehen, wenn wir unsere eigenen Tarife aushandeln", sagt Lage. Auch auf die komplette Anerkennung der Dienstjahre von Lokführern etwa bei einem Wechsel von der Bahn zur NOB will die Privatbahn nicht eingehen. Dadurch würden ihre Kostennachteile zu hoch. Immerhin: Die NOB hatte bereits im März für ihre 100 Lokführer fünf Prozent höhere Löhne sowie eine Einmalzahlung von 1000 Euro angeboten.

Für die Gewerkschaft reicht dies bisher jedoch nicht für einen Einstieg in die Verhandlungen. "Die Bezahlung der Lokführer muss mit dem Branchenführer vergleichbar sein", sagt GDL-Sprecher Mousiol. Kostennachteile der Privaten durch Zugeständnisse bei den Löhnen auszugleichen kommt aber für Mousiol nicht infrage: "Der Wettbewerb darf nicht auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen werden."