Hamburgerin klagt gegen Haspa wegen Falschberatung. Experten erwarten, dass Aufklärungspflichten für Banken verschärft werden.

Hamburg. Mental hat sich Brigitte Kuchs-Krupsky bereits für den bevorstehenden Prozess vor dem Bundesgerichtshof (BGH) gegen die größte deutsche Sparkasse, die Haspa, gewappnet. Die juristischen Details der Schadenersatzklage als geschädigte Lehman-Anlegerin überlässt sie ihrem Anwalt. Zur Vorbereitung auf den Prozess hat sie aber eine kleine Streitschrift gelesen: "Stoppt das Euro-Desaster" von Max Otte. "Darin wird offengelegt, welches große Rad die Banken noch immer drehen und dass es am Ende immer nur um ihre Rettung geht", sagt Kuchs-Krupsky. "Was da steht, kommt mir aus dem Herzen", sagt die 66-Jährige, "auch wenn es gar nicht vorrangig um geschädigte Anleger geht."

Denn gerade jetzt fühlt sie sich wieder in das Jahr 2008 zurückversetzt, als die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers zusammenbrach und die Welt in eine Finanz- und Wirtschaftskrise stürzte. Schon weil sich "die Zeiten wieder gefährlich gleichen", hofft sie auf ein "Grundsatzurteil im Interesse der Anleger mit Signalwirkung für die Banken". Deshalb fühlt sie sich auch verpflichtet, das von ihrem im Juli 2011 verstorbenen Mann angestrengte Verfahren fortzusetzen.

Vor dem höchsten Gericht wird am Dienstag erstmals über die Lehman-Zertifikate verhandelt, die bundesweit Zigtausend Anlegern einen Totalverlust bescherten. Allein die Hamburger Sparkasse hatte solche Papiere im Gesamtvolumen von 56 Millionen Euro an 3700 Kunden verkauft. Das Institut relativiert diese Zahl. "Das gesamte Anlagevolumen unserer Kunden, also Sparguthaben und Wertpapiere, beträgt 50 Milliarden Euro", sagt Haspa-Sprecherin Stefanie von Carlsburg dem Abendblatt. Einer der geschädigten Kunden war Bernd Krupsky. Er hatte im Dezember 2006 auf Anraten der Haspa 10 000 Euro in eine ProtectExpress-Anleihe von Lehman Brothers investiert und war einer der ersten, der wegen Schadenersatz vor Gericht zog. "Insgesamt sind gegen uns in Sachen Lehman noch 30 Verfahren vor Gerichten anhängig", sagt von Carlsburg.

Zunächst sah es gut für die geschädigten Anleger aus. Das Landgericht Hamburg sprach vielen Schadenersatz zu, auch Krupsky. Doch die Haspa ging in Berufung, und das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg schlug sich auf die Seite der Bank, ließ aber im Fall Krupsky und einem weiteren Fall die Revision vor dem Bundesgerichtshof zu, die am Dienstag verhandelt wird. "Ich rechne auch mit einem Urteil an diesem Tag", sagt Anwalt Richard Lindner, der Kuchs-Krupsky vertritt.

***Die Angst der Banker - Kommt eine neue Krise?***

Es geht darum, ob die Bank Beratungsfehler gemacht hat und deshalb schadenersatzpflichtig ist. Die Haspa hatte die Papiere von Lehman zu 96,2 Prozent eingekauft und sie zu 101 Prozent an den Kunden weiterverkauft. "Über diese Marge hätte der Kunde aufgeklärt werden müssen", sagt Lindner. Das hat die Haspa nicht getan, "weil eine solche Pflicht zu diesem Zeitpunkt nicht bestand", sagt von Carlsburg. Auch das OLG Hamburg sah diese Pflicht nicht, obwohl der BGH bereits mehrmals in anderen Fällen die Offenlegung von Provisionen gefordert hatte.

Diese Grundsätze seien auf den Fall nicht übertragbar, da der Kunde das Produkt direkt von der beratenden Bank erworben habe, argumentierte das OLG. Jedem Kunde müsse klar sein, dass die Bank aus dieser Leistung, einem sogenannten Festpreisgeschäft, einen Gewinn zieht.

Die BGH-Richter müssen also nun klären, ob ihre strengen Offenlegungsgrundsätze über Provisionen auch dann gelten, wenn Banken wie im Fall der Haspa Wertpapiere im Paket erwerben und dann einzeln an die Kunden weiterverkaufen. Damit bekommt das Verfahren über die Lehman-Zertifikate hinaus eine zentrale Bedeutung. Denn die bisherigen BGH-Urteile bezogen sich auf Fälle, in denen die Bank zum Beispiel Fondsanteile von einer Investmentgesellschaft im Auftrag des Kunden erwarb und in das Depot des Kunden einbuchte. Dabei wurden aber immer nur so viel Wertpapiere erworben, wie der Kunde wollte. Das wird als sogenanntes Kommissionsgeschäft bezeichnet. "Eine Aufklärungspflicht ergibt sich schon deshalb, weil der Kunde solche Unterschiede nicht kennt und über alle geldwerten Vorteile der Bank aus dem Vertrieb aufgeklärt werden muss, um eine eventuelle Interessenskollision der Bank zu erkennen", sagt Lindner. "Ohne eine solche Aufklärung kann der Kunde die Doppelrolle der Bank als Beraterin und Verkäuferin nicht erkennen", sagt der Hamburger Anwalt Ulrich Husack, der das Krupsky-Verfahren bisher betreute.

Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens darf aus dem Urteil kein Automatismus abgeleitet werden. "Selbst wenn es zugunsten der Anleger ausgeht, bekommen sie dann nicht automatisch ihr Geld zurück", sagt Husack. "Jeder Fall muss wieder einzeln bewertet werden." Für viele geschädigte Anleger könnte selbst ein positives Urteil des BGH zu spät kommen. Denn drei Jahre nach dem Erwerb verjähren fahrlässige Pflichtverletzungen der Banken, sofern keine "verjährungshemmenden Maßnahmen" wie Klage oder Beschwerde beim Ombudsmann der Banken eingeleitet wurden. Die Haspa hat von sich aus die Verjährungsfrist auf fünf Jahre verlängert. Doch der Ausgang des BGH-Verfahrens ist völlig offen. Anwalt Husack erwartet aber in jedem Fall eine Stärkung der Aufklärungspflichten der Geldinstitute.