Mysteriöser Fund: Giftstoffe könnten aus Rückständen von Pflanzenschutzmitteln stammen. In Niedersachsen noch 1440 Höfe gesperrt.

Hamburg. Das Rätselraten um die Herkunft der hohen Dioxin-Belastung im Viehfutter geht weiter. Nach Erkenntnissen der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch könnten die Giftstoffe aus Rückständen von Pflanzenschutzmitteln stammen. Das ergebe sich aus dem Muster einer Futterfettprobe aus der zu der Firma Harles und Jentzsch gehörenden Spedition Lübbe. Die Analyse verschiedener Verbindungen in der Probe weise auf Rückstände einer Chlorphenol-Verbindung hin, wie sie als Pilzgifte eingesetzt werden.

Futterfettprobe von Lübbe überschreitet Grenzwert um das 164-Fache

"Woher das Dioxin konkret kommt, können wir aber nicht klären", sagte Foodwatch-Sprecher Martin Rücker dem Abendblatt. "Es kann aus importierten Zutaten aus der ganzen Welt stammen." Das Bundesgesundheitsministerium wollte sich zu dieser "Spekulation" nicht äußern. Laut Foodwatch war die analysierte Futterfettprobe mit 123 Nanogramm Dioxin pro Kilogramm belastet. Der gesetzliche Höchstwert von 0,75 Nanogramm wurde damit um das 164-Fache überschritten. In Deutschland ist Chlorphenol seit 1989 verboten und darf nicht mehr produziert werden. In Asien und Südamerika wird es im Sojaanbau verwendet.

Aufgrund verseuchter Futterfette der Firma Harles und Jentzsch in Uetersen und der dazugehörenden Spedition Lübbe in Bösel waren in den vergangenen Tagen 4700 landwirtschaftliche Betriebe gesperrt worden. Mittlerweile wurden 2365 wieder freigegeben. In Schleswig-Holstein sind noch 61 Betriebe gesperrt, sie dürften morgen wieder geöffnet werden. In Niedersachsen sind noch 1440 Höfe gesperrt. "In Hamburg gibt es keinen gesperrten Betrieb", sagte Rico Schmidt, Sprecher der Hamburger Gesundheitsbehörde. Auch kamen hier keine dioxinbelasteten Eier in den Handel.

Vieles spreche dafür, dass "in völlig unverantwortlicher, skrupelloser Weise gehandelt" worden sei und so das Umweltgift in Futterfett und Mischfutter und schließlich auch in Eier, Hühner- und Schweinefleisch gelangte, sagte Agrarministerin Ilse Aigner: "Der entstandene Schaden ist immens." Dabei gehe es nicht nur um den materiellen Schaden, sondern auch um den Verlust an Verbrauchervertrauen.

"Dieser Fall muss und wird Konsequenzen haben", kündigte die CSU-Politikerin nach einem Krisentreffen mit der Branche an. So soll im nationalen Alleingang die Zulassungspflicht für Futtermittelbetriebe verschärft werden. Europaweit soll durchgesetzt werden, dass Futterfette künftig nicht mehr in Anlagen hergestellt werden, die auch technische Fette für die Industrie produzieren. Auch soll das Strafmaß nochmals überprüft werden, das derzeit von einer Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe von maximal drei Jahren reicht.

"Es gibt keinen Grund zur Panik, aber auch nicht zur Verharmlosung", so Aigner. Von deutschen Agrarprodukten gingen derzeit keine Gefahren aus, betonte sie und erhält dabei europäische Unterstützung. So hält die EU-Kommission Importverbote von Eiern und Fleisch aus Deutschland für überzogen. Südkorea hatte ein Importverbot für deutsches Schweinefleisch erlassen.

Dioxinbelastete Futtermittel sollten von den Firmen vernichtet werden

Foodwatch ruft die Bundesministerin unterdessen auf, die Mängel der Futtermittelproduktion endlich an ihrer Wurzel zu bekämpfen. "Die Ministerin muss die Unternehmen per Gesetz verpflichten, jede Charge jeder Futtermittelzutat selbst auf Dioxin zu testen und dies für die Behörden zu belegen. Bei Überschreiten des Grenzwertes muss die Charge vernichtet werden", forderte Foodwatch-Chef Thilo Bode. Selbst eine Verdopplung der staatlichen Kontrolleure würde nicht reichen, da auch sie nur Stichproben nehmen könnten. "Eine Test- und Entsorgungspflicht für die Firmen verhindert auch die verbreitete illegale Praxis, zu hoch belastete Einzelchargen mit anderen Zutaten zu vermischen, um die Gesamtbelastung des Mischfuttermittels unter den zulässigen Grenzwert zu drücken."

Die Hamburger Verbraucherzentrale übt unterdessen scharfe Kritik an der fehlenden Transparenz des Verbraucherministeriums. "Die Behörde sollte endlich alle Namen veröffentlichen, welche Höfe gesperrt und welche wieder freigegeben werden. Dies wäre wichtig, um die Verbraucher aufzuklären und zu schützen. So aber bleibt alles im Dunkeln", bemängelt die Verbraucherschützerin Silke Schwartau. Sie aktualisiert selbst alle Codes belasteter Dioxin-Eier auf der Seite der Verbraucherzentrale im Internet ( www.vzhh.de ). Zuletzt waren es zehn, und es könnten noch mehr werden.