Verbraucherorganisation Foodwatch übt scharfe Kritik. Ausland blockiert Einfuhr deutscher Produkte. 3000 Betriebe wieder freigegeben.

Hamburg/Hannover. Im Skandal um dioxinverseuchtes Tierfutter gerät nun auch die Bundesregierung immer stärker unter Druck. Die Verbraucherorganisation Foodwatch wirft Berlin Verharmlosung und die einseitige Bedienung der Interessen der Futtermittelindustrie vor. Um den Export deutscher Fleischprodukte nicht zu gefährden, habe die Regierung kein Interesse, die Industrie stärker zu belasten, kritisierte Foodwatch-Chef Thilo Bode.

Der Fall weitet sich derweil an verschiedenen Fronten aus: Erstmals stellten die Behörden am Wochenende in Legehennen überhöhte Konzentrationen des Gifts fest. Eine weitere Futterfettprobe des Herstellers Harles und Jentzsch in Uetersen überschritt den zulässigen Grenzwert bei jüngsten Analysen am Sonnabend fast um das 73-

fache, wie ein Sprecher des schleswig-holsteinischen Landwirtschaftsministeriums dem Abendblatt bestätigte. International wollen zudem mehrere Länder keine Eier und kein Fleisch mehr aus Deutschland annehmen. Südkorea und die Slowakei blockieren bereits die Einfuhr, Russland verschärfte die Importkontrollen für Schwein und Geflügel.

Für Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) haben Verbraucherschutz und die Aufklärung Priorität, sagte sie der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Wenige "schwarze Schafe" hätten enormen wirtschaftlichen Schaden angerichtet. "Danach werden wir über die Konsequenzen zu sprechen haben. Die Verursacher müssen zur Rechenschaft gezogen und in Haftung genommen werden. Sie haben für die entstandenen Schäden geradezustehen."

Foodwatch-Geschäftsführer Bode beklagt hingegen, dass es viel zu wenig staatliche Kontrollen der 1700 Futtermittelbetriebe in Deutschland gebe. Bode verlangt, dass jeder Hersteller jede Charge einer Futtermittelzutat verpflichtend auf Dioxin testet, dokumentiert und bei Überschreitungen verpflichtend die Behörden informiert. "Nur das würde weiterhelfen, damit die schleichende Dioxinvergiftung durch Futtermittel aufhört", sagte er der Nachrichtenagentur dpa.

Der derzeitige Skandal sei nur die Spitze des Eisberges. "Etwa 80 Prozent der gesamten Dioxin-Belastung der Bevölkerung, die laut Weltgesundheitsorganisation an der oberen Grenze des gerade noch Akzeptablen liegt, erfolgt durch Futtermittel", so Bode. Was früher die Müllverbrennungsanlagen verursacht hätten, werde mittlerweile von den Futtermittelherstellern ausgelöst. Wenn die Regierung jetzt erkläre, die Belastung sei gar nicht so schlimm, dann sei dies eine "völlig inakzeptable Verharmlosung".

In den Proben dreier Legehennen aus Nordrhein-Westfalen wurde der zulässige Grenzwert laut den Behörden um das 2,5-fache überschritten. Aus der Farm im Kreis Soest waren auch belastete Eier gekommen. Die Hennen gelangten aber nicht als Suppenhühner in den Handel. Die Tiere wurden getötet, die Eier wurden aus dem Handel zurückgerufen und die betreffenden Eiernummern im Internet veröffentlicht. Tests bei Hähnchen, Puten oder Schweinen zeigten bislang keine Überschreitungen, viele Ergebnisse stehen noch aus.

In Niedersachsen wurden gestern rund 3000 gesperrte Betriebe wieder freigegeben. Von den ursprünglich etwa 4400 betroffenen Unternehmen müssten zurzeit noch 1470 gesperrt bleiben, teilte das Agrarministerium mit. Auch in Schleswig-Holstein wollen die Behörden heute die Sperre von 22 Schweinemastbetrieben wieder aufheben. In Laufe des Tages plant das schleswig-holsteinische Landwirtschaftsministerium zudem, die noch ausstehenden Ergebnisse von insgesamt 112 Futterfettproben der Firma Harles und Jentzsch zu veröffentlichen.

Unterdessen sieht sich die Firma mit immer neuen Vorwürfen konfrontiert. Das Unternehmen aus Uetersen steht im Zentrum des Skandals, weil bei einer Tochterfirma im niedersächsischen Bösel Fette von einem Biodieselhersteller ins Tierfutter gemischt worden sein sollen. Auf diese Weise gelangte das Ultragift vermutlich in die Nahrungskette. "Angesichts der offenkundigen kriminellen Energie liegt der Verdacht nahe, dass hier auch Betrug im Spiele ist", sagte der Sprecher des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums, Gert Hahne, dem Abendblatt. Auch die Frage einer denkbaren Steuerhinterziehung müsse geprüft werden. Es gehe darum, "alles in die juristische Waagschale zu werfen, was man hat". Bisher ermittelt bereits die Staatsanwaltschaft wegen des Verstoßes gegen das Futtermittelrecht gegen die Firma.

Firma Harles und Jentzsch steht im Verdacht der Steuerhinterziehung

Nur nach Futtermittelrecht, so Hahne, sei aber lediglich eine Bewährungsstrafe wahrscheinlich. Nach den Untersuchungen des Ministeriums geht es um 3000 Tonnen falsch deklarierter Fette und bei einem Preisunterschied von 500 Euro für das höherwertige Tierfutterfett um bis zu 1,5 Millionen Euro zusätzlichen Gewinn. Agrarstaatssekretär Friedrich-Otto Ripke hat zudem deutlich gemacht, wie wichtig dem Ministerium harte Konsequenzen sind: "Wir hoffen auf eine hohe Bestrafung, wir wollen das abschreckende Beispiel."

Laut "Spiegel" enthielten die Verantwortlichen von Harles und Jentzsch den staatlichen Prüfern alarmierende Testergebnisse vor. So bekamen Kontrolleure bei einem Besuch am 28. Juli 2010 nicht die positiven Testergebnisse von Eigenkontrollen auf Dioxin zu sehen. Dabei hatten schon Untersuchungen am 19. März 1,60 Nanogramm Dioxin pro Kilo und am 21. Juni 1,40 Nanogramm pro Kilo festgestellt - mehr als der Grenzwert von 0,75 Nanogramm pro Kilo. Die staatliche Kontrolle selbst brachte nur unauffällige Ergebnisse.