Die Handelskammer meldet 71 neue Firmen in dem Zukunftsmarkt. Branchenumsatz soll bis 2020 um 72 Prozent auf 43 Milliarden Euro steigen.

Hamburg. Null Kunden, vier weitere Mitarbeiter, die bezahlt werden müssen, und ein frisch angemietetes Büro mit Wasserschaden - der Anfang als Selbstständige ist für Melanie Hoffmann hart. Im Januar 2010 startet die examinierte Altenpflegerin zusammen mit ihrer langjährigen Arbeitskollegin Jolanta Kurek den H&K Pflegedienst. Nach drei Monaten sind bereits 13 Kunden in der Kartei. "Und die haben für uns dann Werbung gemacht", sagt die 34-Jährige über die erfolgreiche Mundpropaganda. "Teilweise hatten wir fünf bis zehn Neuzugänge in der Woche." Das Geschäft kommt ins Laufen. Zwei Jahre später haben Hoffmann und Kurek 70 Kunden, beschäftigen acht Vollzeit- und 22 Teilzeitkräfte.

Wie das Geschäft der beiden Jungunternehmerinnen aus Ottensen wächst auch die Pflegebranche in der Hansestadt. Bei der Handelskammer meldeten sich seit 2008 im Bereich ambulante soziale Dienste 71 Firmen neu an. Derzeit sind dort in dem Bereich 172 Unternehmen registriert. Allerdings muss sich nicht jeder neue Betrieb bei der Kammer melden. Die Pflegekassen haben aktuell 351 ambulante Dienste in Hamburg gemeldet. Das sind 17 mehr als Anfang 2008. "Wir beobachten einen leichten Anstieg bei den Firmengründungen und einen deutlichen Zuwachs bei den Beschäftigten", sagt Bernd Tews, Geschäftsführer des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (BPA).

Die Branche gilt wegen der älter werdenden Gesellschaft als ein Zukunftsmarkt. Das Statistische Bundesamt erwartet einen Anstieg der Pflegebedürftigen in der Bundesrepublik von 2,2 Millionen im Jahr 2007 auf 3,4 Millionen im Jahr 2030. Weitere 20 Jahre später soll sich die Zahl mit 4,5 Millionen dann verdoppelt haben. Weil die Versorgung meist durch Firmen erfolgt, werden die Einnahmen in dem Markt deutlich steigen. Laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln erlöste die Pflegewirtschaft im Jahr 2011 rund 33 Milliarden Euro - damit verdoppelte sich der Umsatz in den vergangenen 15 Jahren fast. 13 Milliarden Euro entfallen davon auf private Heime und Pflegedienste. Für das Jahr 2020 sagen die Kölner Wirtschaftsforscher dem Pflegemarkt ein Wachstum von 72 Prozent auf 43 Milliarden Euro voraus.

Auch beim H&K Pflegedienst haben sich mit der steigenden Kundenzahl die Umsätze vervielfacht. "Wir arbeiten kostendeckend und erzielen einen Gewinn", sagt Hoffmann, die den Wunsch nach einem eigenen Unternehmen zehn Jahre lang hegte und zwei Jahre intensiv am Konzept feilte. Der Bankkredit sei bereits abgezahlt worden. "Dabei berechnen wir nicht jede Leistung", sagt sie. Pflege nach vorgegebenen Minutenplänen gebe es bei ihr nicht, die Mitarbeiter hätten auch die Zeit, mit den Kunden erst mal einen Kaffee zu trinken. Hoffmann: "Ich möchte, dass es den Menschen gut geht." Das gelte auch für ihre Angestellten. Sie sollen sich wohlfühlen, "denn es ist schwierig, gutes Personal zu finden".

"Die Unternehmen in Deutschland könnten sofort 30 000 neue Vollzeitarbeitskräfte in der stationären und ambulanten Altenpflege einstellen", sagt BPA-Geschäftsführer Tews. Dabei ist die Zahl der in ambulanten Diensten Beschäftigten schon deutlich gestiegen. In Hamburg waren es mit 9726 Personen Ende 2009 zehn Prozent mehr als zwei Jahre zuvor. Darunter waren 2713 Vollzeitkräfte (plus 7,1 Prozent) und 6801 Teilzeitarbeiter (plus 10,6 Prozent). Neuere Zahlen liegen nicht vor. Tews sagt: "Bis Ende 2020 brauchen wir bundesweit 230 000 neue Vollzeitarbeitskräfte in der ambulanten und stationären Pflegehilfe."

Johannes Kamm spürt den Fachkräftemangel ebenfalls. Seit gut zwei Jahren ist er Geschäftsführer von Pflegen und Wohnen, dem größten Betreiber von Seniorenheimen in der Hansestadt. "Wir konnten nie alle freien Stellen besetzen und suchen derzeit mehr als 20 Mitarbeiter für die Pflege", sagt er. Seit 2008 wurde das Personal um 270 Mitarbeiter auf 1670 aufgestockt, vor allem Hauswirtschafter und Pflegekräfte wurden eingestellt. Sie verdienen zwischen 2000 und 2700 Euro brutto im Monat bei 12,9 Gehältern, sagt Kamm. Insgesamt arbeiteten in Hamburg in stationären Pflegeeinrichtungen Ende 2009 rund 11 500 Menschen, innerhalb von zwei Jahren legte die Zahl um 700 Personen zu.

Pflegen und Wohnen hat an zwölf Standorten 2850 Betten. Rund 100 Millionen Euro steckt die Firma in den Aus- und Neubau der fünf Heime Finkenau, Alsterberg, Heimfeld, Farmsen und Holstenhof. Die Pläne beschränken sich dabei nicht mehr nur auf Zimmer für Senioren. Es sind auch 200 Wohnungen und 750 Kita-Plätze vorgesehen. Mehrere Generationen sollen miteinander leben. Kamm nennt das "Pflege als Motor im Quartier".

BPA-Geschäftsführer Tews spricht lieber von einem anderen Motor. Ob stationär wie bei Pflegen und Wohnen oder ambulant wie beim H&K Pflegedienst: "In der Gesundheitswirtschaft ist die Pflege der Jobmotor." An eine gesicherte Zukunft glaubt auch Hoffmann: "Pflegedienste werden immer mehr Dienste übernehmen, um Krankenhäuser und Ärzte zu entlasten." Wachsen ohne Ende soll ihr Betrieb aber nicht: "Wir werden ein mittelständisches Unternehmen bleiben, und ich will jeden Kunden persönlich kennen."