Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) fördert selbstständige Wohngemeinschaften für Pflegebedürftige. Doch die Verbände reagieren kritisch.

Berlin. Für Studenten ist ein Leben in Wohngemeinschaften eine Selbstverständlichkeit. Jetzt sollen auch Pflegebedürftige nach dem Willen von Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) in selbstständigen Wohngemeinschaften zusammenleben - und dafür zusätzlich Geld erhalten. "Das ist eine Alternative zwischen Pflege zu Hause und Heim", sagte Bahr der "Bild"-Zeitung. Seinem Plan zufolge sollen Pflegebedürftige, die sich für eine WG entscheiden, monatlich 200 Euro zusätzlich für eine Pflegekraft erhalten.

In einer Pflege-WG mit vier Bewohnern können in Pflegestufe I so bis zu 3460 Euro pro Monat fließen, womit ein Pflegedienst oder eine einzelne Pflegekraft bezahlt werden kann. Daneben wurde ein "Initiativprogramm" von 30 Millionen Euro aufgelegt, mit dem Umbauten finanziert werden können, etwa im Badezimmer. Maximal soll es 10.000 Euro pro Wohngruppe geben.

Der Paritätische Gesamtverband reagierte skeptisch auf die Ankündigungen Bahrs. Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider sagte dem Abendblatt, sein Verband warne davor, den Ausbau von Wohngemeinschaften mit dem geheimen Ziel der Kosteneinsparung betreiben zu wollen. Er betonte: "Auch in den Heimen gibt es einen großen Reform- und Finanzbedarf, um auch künftig allen Menschen eine passgenaue Pflege anbieten zu können." Schneider wies darauf hin, dass man in einer alternden Gesellschaft eine Vielfalt von Hilfeformen brauche, um eine würdige Pflege für alle sicherzustellen. Daher könne diese Initiative kein Ersatz sein für die notwendige umfassende Pflegereform, "die die Koalition bereits vor zwei Jahren angekündigt hat", kritisierte Schneider. Mit der Förderung von Wohngemeinschaften greife der Gesundheitsminister allerdings eine immer wichtiger werdende Säule in der Pflege älterer Menschen auf. "Unter dem Dach des Paritätischen befindet sich eine Vielzahl von Wohngemeinschaften älterer und auch pflegebedürftiger Menschen, die die Vorschläge des Ministers außerordentlich begrüßen werden", so Schneider weiter.

Der Diakonie-Präsident Johannes Stockmeier begrüßte Bahrs Pläne, äußerte aber auch Vorbehalte. "Im Einzelfall halten wir eine Beratung und Unterstützung bei der Gründung einer solchen WG für notwendig, auch angesichts der vielen unterschiedlichen rechtlichen Regelungen. Dies sieht der Gesetzesentwurf jedoch nicht vor",monierte Stockmeier im Abendblatt.Er bemängelte, dass beim geplanten Initiativprogramm insbesondere Konzepte einbezogen werden, die eine bewohnerorientierte individuelle Versorgung außerhalb von stationären Einrichtungen anbieten: "Diese Begrenzung halten wir für sehr problematisch, da es auch im stationären Bereich einen dringenden Bedarf an Weiterentwicklung gibt." Fördermittel müssten auch für den stationären Bereich zur Verfügung stehen, forderte der Diakonie-Chef. "Es ist nicht hinzunehmen, dass stationäre Pflegeeinrichtungen und pflegebedürftige Menschen in stationären Wohnformen bei den Fördermöglichkeiten und den Leistungsverbesserungen dieser Pflegeversicherungsreform insgesamt ignoriert werden."

Hamburg setzt auch verstärkt auf die Pflege in den eigenen vier Wänden. Dazu soll jetzt zusätzlich eine Million Euro jährlich für ehrenamtliche Angebote bereitgestellt werden, damit Angehörige entlastet werden. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) sagte dem Abendblatt: "Unser Ziel ist, dass alle Pflegebedürftigen und deren Angehörige die Chance haben, ein ehrenamtliches Betreuungsangebot in Anspruch zu nehmen, wenn sie es sich wünschen. Ich freue mich, dass wir dafür künftig doppelt so viele Fördermittel bereitstellen können, und hoffe, dass sich noch mehr Bürgerinnen und Bürger als bisher in diesem Bereich freiwillig engagieren." Die Krankenkassen schätzen, dass der Bedarf an häuslichen Betreuungsangeboten wegen der zunehmenden Zahl von Pflegebedürftigen "deutlich steigen wird", wie Kathrin Herbst, Hamburger Chefin des Kassenverbandes vdek, sagte.