Geldpolitik der Notenbanken und Liquidität beflügeln Börsen. Leitindex steigt seit Januar um 17 Prozent, regionale Papiere um neun Prozent.

Hamburg. Das Tempo ist überraschend. Trotz andauernder Euro-Krise und wirtschaftlicher Unsicherheiten ist der Börsen-Leitindex DAX seit Jahresbeginn um rund 17 Prozent gestiegen. Innerhalb der vergangenen sechs Monate betrug das Plus der DAX-Konzerne sogar 26 Prozent. Der DAX hat damit bereits die Jahresprognosen vieler Banken übertroffen, die in der Regel zwischen 6000 und 7000 Punkten lagen.

Auch viele börsennotierte Hamburger Unternehmen legten seit dem Jahreswechsel zu, wenngleich weniger stark als die 30 größten deutschenAktienunternehmen. Der Haspax, in dem 24 Unternehmen aus der Metropolregion gelistet sind, stieg seit Januar um neun Prozent - innerhalb der vergangenen sechs Monate waren es 17 Prozent, sagt die Haspa-Analystin Annemarie Schlüter. Allerdings hatten die Hamburger Werte im gesamten Vorjahr unterm Strich auch nur 5,8 Prozent verloren, während die DAX-Unternehmen mit 14,7 Prozent im Minus lagen. Das Abendblatt sprach mit Analysten über die Hintergründe der jüngsten Aktienrallye und die Aussichten.

Welche Gründe haben zu dem starken Kursanstieg geführt?

Haspa-Chefvolkswirt Jochen Intelmann nennt vor allem die Geldspritze der Europäischen Zentralbank (EZB) im vergangenen Dezember, die zu hoher Liquidität im Markt geführt hat. Mehr als 500 Geldinstitute hatten sich für drei Jahre insgesamt fast eine halbe Billion Euro geliehen - und das zum niedrigen Leitzins von einem Prozent. "Das Bankensystem konnte sich daher bei der EZB zu einem sehr niedrigen Zinssatz refinanzieren", sagt Intelmann. Die Bedenken einer Kreditklemme in Deutschland waren damit passé. Weltweit sorgten auch andere Notenbanken für hohe Liquidität, die die Aktienmärkte antreibt, sagt auch Achim Matzke, Leiter der technischen Analyse bei der Commerzbank.

Zudem hätten die Konjunkturdaten positiv überrascht. Die Indizes für das Konsum- und Geschäftsklima sowie für die Einkaufsmanager gingen nach oben. Das sorge für Erleichterung. "Deutschland taucht nicht in die Rezession ab und erlebt nur eine konjunkturelle Delle", sagt Intelmann. "Weltweit scheint die Gefahr einer Rezession gebannt zu sein", ergänzt Christian Jasperneite, Volkswirt bei M. M. Warburg. Weitere Faktoren seien der jetzt geplante Schuldenschnitt und das zweite Hilfspaket für Griechenland. "Der Druck aus der Schuldenkrise ist vorerst raus", sagt Jasperneite. Es gebe nun "Lösungsansätze zur Staatsschuldenkrise, die am Markt überzeugend wirken", ergänzt Intelmann.

Wie wird sich der DAX in diesem Jahr weiterentwickeln?

M. M. Warburg sah den Leitindex Ende Dezember auf Jahressicht bei 6000 Punkten - also rund 1000 Zähler unter dem heutigen Wert. "Wir werden im Jahresverlauf die 7000er-Markesicherlich deutlich überschreiten", sagt Jasperneite, "aber es wird immer wieder Rückschläge geben." Die Haspa hatte Ende Dezember als DAX-Jahresziel eine Spanne von 6000 bis 6500 Zählern ausgegeben. Chefvolkswirt Intelmann erwartet nun ebenfalls einen kurzfristigen Anstieg auf mehr als 7000 Punkte. "Dieses Jahr ist vieles möglich", sagt er. "Wenn die EZB weiterhin den Geldhahn aufdreht, dann können am Jahresende 7000 Punkte stehen."

Sollte die EZB Ende Februar den nächsten Drei-Jahres-Tender auflegen, mit dem sich die Banken günstig finanzieren können, sieht auch das Bankhaus Berenberg durchaus Potenzial. Die Privatbank würde in diesem Fall ihre bisherige DAX-Prognose von derzeit 7000 Punkten nach oben anheben, sagt der Leiter der Privaten Vermögensverwaltung, Peter Reichel: "Generell erwarten wir eine weiterhin positive Tendenz am Aktienmarkt." Allerdings sei in den nächsten Monaten angesichts von Gewinnmitnahmen mit größeren Kursschwankungen zu rechnen. "Noch ist die Krise nicht überstanden", so Reichel. Kernfragen seien, wie die Euro-Staatshaushalte strukturell gestaltet werden könnten, um künftige Vertrauenskrisen zu verhindern, wie Griechenland aus der Depression auf Wachstumskurs gebracht werden kann und wie die Milliarden der EZB wieder eingesammelt werden können.

Welche Geldanlagen sind derzeit sinnvoll?

Warburg-Volkswirt Jasperneite empfiehlt langfristig orientierten Anlegern einen Aktienanteil von 50 Prozent. "Nach Kursrückgängen sollten Anleger über Aktienkäufe nachdenken." Vorallem deutsche Unternehmen seien interessant. Für sie sprächen niedrige Lohnstückkosten und geringe Kreditzinsen. Haspa-Chefvolkswirt Intelmann empfiehlt eine breite Streuung aus Aktien, Gold, Anleihen und Liquidität. Auch US-Wertpapiere sollten enthalten sein. "Ein Portfolio sollte immer in aussichtsreichen Werten diversifiziert sein", meint Reichel von Berenberg, ohne konkrete Unternehmen zu empfehlen. "Noch sind die Kurse nicht zu hoch, um einzusteigen. Schwächere Tage sollten genutzt werden, um Aktienpositionen aufzubauen." Matzke von der Commerzbank ist überzeugt: "Deutsche Aktien sind im historischen Vergleich weiter attraktiv und günstig. Sie sind ein wichtiger Baustein in der langfristigen Vermögensbildung."

Wie entwickeln sich die börsennotierten Hamburger Unternehmen?

Zu den großen Gewinnern seit Jahresbeginn zählen die norddeutschen Unternehmen Conergy (82 Prozent), Jungheinrich (36 Prozent), Nordex (31 Prozent), Dräger (30 Prozent), Eurokai (26 Prozent) und Xing (23 Prozent). Die HHLA legt um 9,6 Prozent zu, Beiersdorf um 9,5 Prozent und Aurubis um 6,2 Prozent. Bijou Brigitte war mit einem Minus von 5,3 Prozent der größte Verlierer. Der Zuwachs der Beiersdorf-Aktie war für die Haspa vorgestern der Anlass, das Papier von Halten auf Verkaufen herunterzustufen. "Beiersdorf ist im Vergleich zu Konkurrenten wie L'Oréal zu teuer geworden", sagtHaspa-Analyst Marco Günther. Potenzial traut Deutschlands größte Sparkasse hingegen dem Hafen- und Logistikkonzern HHLA zu. Zwar ist das Papier mit einem Jahresplus von rund zehn Prozent schlechter als der Markt gelaufen, dennoch wird das Papier als Kauf eingestuft. "Die Verunsicherung durch die Elbvertiefung drückt auf den Kurs", sagt Haspa-Analyst Ingo Schmidt. Auf Sicht von zwölf Monaten könne der Kurs, der derzeit bei rund 25 Euro liegt, auf 30 bis 35 Euro steigen. OliverDiebing von SRH AlsterResearch sieht vor allem für die Aktien von Aurubis, Beiersdorf und HHLA Kurspotenzial: "Der Zeitpunkt für einen Einstieg in Hamburger Aktien ist gut."