General Motors will europäische Tochter aus eigenen Mitteln sanieren. Alle deutschen Werke bleiben erhalten. 4000 Stellen fallen hierzulande weg

Hamburg. Die Nerven der Mitarbeiter liegen seit Langem blank. Schon gut eineinhalb Jahre kämpfen sie um den Erhalt der Opel-Werke in Europa. Sie ringen um ihre Arbeitsplätze, ihre berufliche Existenz. Interessenten wie Magna, die russische Sberbank oder der Finanzinvestor RHJI sorgten zwischenzeitlich für Hoffnung - allerdings ohne Kaufabschluss. Regelmäßig gingen die 48 000 Mitarbeiter für Staatshilfen auf die Straße, boten zuletzt sogar einen Lohnverzicht von jährlich 265 Millionen Euro an. Keine Woche verging ohne neue Nachrichten aus dem angeschlagenen Traditionsunternehmen mit dem Blitz. Und doch lief der Protest der Beschäftigen ins Leere.

Immer mehr Politiker aus Deutschland schauten weg, sagten "Nein" zu jeder Art der Unterstützung. In Zeiten der Finanzmarktkrise, die Milliardenhilfen für angeschlagene Banken erforderlich machte, sperrten sich vor allem die Liberalen, die Geldbeutel für Bürgschaften zu öffnen - vorneweg Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), der jegliche Finanzhilfen für Unternehmen, die selbstverschuldet in die Krise geraten, grundsätzlich ablehnte. Zuletzt kehrte sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Mitarbeitern und Opel den Rücken, Hilfen aus dem Deutschlandfonds oder anderen Bundestöpfen zu gewähren. Übrig blieben nur die Ministerpräsidenten der vier betroffenen Bundesländer, die sich aber ebenfalls nicht zu einer schnellen Lösung durchringen konnten. Ein endloses Gezerre, das offenbar zuletzt sogar General Motors auf die Nerven ging.

Die Kehrtwende erfolgte völlig überraschend um 13.55 Uhr

Gestern Nachmittag kam schließlich die für alle Beteiligten überraschende Kehrtwende. Punkt 13.55 Uhr sendete die Nachrichtenagentur dpa per Eilmeldung den entscheidenden Satz: "Opel zieht alle Bürgschaftsanträge in Europa zurück." Die US-Konzernmutter General Motors (GM) wolle ihre europäische Tochter Opel aus eigener Kraft zurück auf die Erfolgsspur bringen - und auf die erwünschten Bürgschaften in Höhe von 1,9 Milliarden Euro komplett verzichten. Und dabei sollte es nicht bleiben.

Opel-Chef Nick Reilly verkündete am Nachmittag in einer Telefonkonferenz höchstpersönlich seine weiteren Pläne und nahm insbesondere den Mitarbeitern die Ängste vor weiteren Kahlschlägen: "Wir haben keine Absicht, unseren Sanierungsplan zu verändern, es ist der beste Plan für das Unternehmen", sagte Reilly. Damit bleiben die vier deutschen Werke in Rüsselsheim, Bochum, Eisenach und Kaiserslautern erhalten. Allerdings werden - wie bereits vor Monaten verkündet - europaweit 8300 der 48 000 Stellen abgebaut, davon 4000 in Deutschland. Zudem soll das Werk im belgischen Antwerpen geschlossen werden, um Überkapazitäten abzubauen. Für die Sanierung will GM insgesamt 3,3 Milliarden Euro investieren - Geld, das jetzt nicht aus Staatshilfen kommen soll, sondern aus "GM's weltweiten Mitteln".

Reilly begründete den Gesinnungswandel mit den langwierigen Entscheidungswegen in Deutschland. "Neue zeitaufwendige, komplexe Verhandlungen und eine weiterhin ungesicherte Finanzierung können wir uns nicht erlauben", sagte Reilly. Anstelle der staatlichen Unterstützung solle nun ein Wachstumsplan greifen.

Für den Bundeswirtschaftsminister kommt die Entscheidung einem Ritterschlag gleich. Seit Wochen begründete Brüderle seinen Antistaatshilfenkurs mit dem Argument, dass General Motors angesichts wieder steigender Gewinne in der Lage sei, sich selbst zu helfen. "Eine marktwirtschaftliche Grundhaltung zahlt sich aus", sagte Brüderle. Sie schone den Steuerzahler und sorge für faire Wettbewerbsbedingungen. Staatliche Stützungsmaßnahmen müssten die Ausnahme sein, sonst gewöhne sich die Wirtschaft daran. "Wir wollen eine Wettbewerbswirtschaft", unterstrich Brüderle und ist überzeugt: "Opel hat eine Zukunft."

Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer hält die Entscheidung von GM für "richtig und längst überfällig". Opel habe durch die Bürgschaftszockerei wertvolle Zeit verloren. "Der neue Astra hätte sich sehr viel besser verkauft, wenn er von Opel besser beworben worden wäre. Für Marketing fehlte aber das Geld. Dadurch wurde Umsatz verschenkt." GM habe laut Dudenhöffer angesichts steigender Absatzzahlen in den USA, China und Südamerika zudem eine ausreichende Liquidität von rund zehn Milliarden Dollar, um die Sanierung von Opel selbst zu finanzieren.

Diskussionen um Staatshilfen haben dem Image von Opel geschadet

Für Willi Dietz vom Institut für Automobilindustrie ist die Wende auch aus Imagegründen mehr als geboten: "Die Diskussion über Staatshilfen hat Opel eher geschadet. Es wurde mehr über Bürgschaft geredet als über Automodelle. Das ist dauerhaft tödlich." Opel müsse sich nun dennoch in einem starken Verdrängungswettbewerb behaupten. Der Automarkt in Europa sei von Überkapazitäten geprägt. Keiner wisse, welche Marken sich dauerhaft durchsetzen. "Weder für Opel noch für GM ist ein Ende der Krise in Sicht. Der Kampf ums Überleben geht weiter."

Der Opel-Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz zeigte sich unterdessen erleichtert: "Nach über eineinhalb Jahren Unsicherheit für die Beschäftigten und der Ablehnung von Bürgschaften durch die Bundesregierung übernimmt General Motors die volle und alleinige finanzielle Verantwortung für Opel." Damit habe GM Klarheit geschaffen und Spekulationen beendet, die zur Beschädigung der Marke Opel/Vauxhall beigetragen hätten. Auch die Mitarbeiter könnten jetzt durchatmen und ihre Nerven entspannen, berichten andere Betriebsräte: "Wir sind guten Mutes."