Er beschreibt Gottheiten und steht für den Mythos des Weiblichen. Seit Jahrtausenden spielt der Mond eine Sonderrolle.

Hamburg. Dieses magische Licht: je nach Stimmung, unheimlich wie bleichende Knochen oder unwiderstehlich gleißend wie flüssiges Silber. Und dieses geheimnisvolle An- und Abschwellen: von der klingendünnen Sichel bis zum prallen, strahlenden Rund. Der Mond fasziniert die Menschen, seitdem sie aus ihren Höhlen gekrochen sind und staunend den Blick zum Firmament gehoben haben.

n wohl allen alten Kulturen ist dieser stille Begleiter des Erdplaneten vergöttlicht worden. Vor 3400 Jahren, in der sumerischen Stadt Ur, war die Mondgottheit Sin noch männlich. Doch die meisten Gottheiten des Mondes sind weiblich – vielen Völkern blieb nicht verborgen, dass die monatlichen weiblichen Mysterien eine verblüffende Parallelität mit dem Mondzyklus aufweisen. Bereits die ägyptischen Göttinnen Bastet und Isis wurden mit dem Mond verbunden. Bastet, auch Mondauge genannt, erscheint zudem in Gestalt einer Katze – jenem geheimnisvollen, nachtaktiven Tier, dessen Pupillen vage an die Mondsichel erinnern. Die Mayas hatten mit Ix Chel, die Inkas mit Mama Quilla und die Azteken mit Xochiquetzal mächtige Mondgöttinen. Wie die Griechen und Römer mit Aphrodite beziehungsweise Venus oder Selene/Luna auch.

Der Mond als Machtfaktor im Leben des Menschen wurde wissenschaftlich erst viel später präzise untersucht – etwa als Auslöser von Ebbe und Flut via Anziehungskraft. In seinem Klassiker „Von der Abstammung des Menschen“ schrieb Charles Darwin 1875: „Der Mensch ist gleich den Säugetieren, Vögeln und sogar Insekten jenem geheimnisvollen Gesetz unterworfen, wonach gewisse Prozesse – wie Schwangerschaft, Pflanzenwachstum, Reife, Dauer verschiedener Krankheiten – von den Mondperioden abhängig sind.“

Schon immer waren die Mondphasen dem Menschen mehr als schnöde Himmelsmechanik. Viele frühe Hochkulturen sahen im Mond eine geradezu beängstigend wandelbare Frau: in der zunehmenden Phase die mit sexuellen Verheißungen aufgeladene Jungfrau, bei Vollmond die prall-nährende Mutter und bei abnehmendem Mond das alte Weib, auch die Hexe mit der Kraft zum Heilen. Zugleich ist der Mond Allegorie für die angebliche Wankelmütigkeit der Frau: Donna e mobile auf ewig. Das mittelalterliche Christentum bemühte einen weniger sinnenfrohen weiblichen Mythos: Hier symbolisiert der Mond die Jungfrau Maria, die, wie der Erdtrabant das Licht der Sonne, die göttliche Erleuchtung reflektiert. In Albrecht Dürers Stich „Marienleben“ sitzt Maria mit dem Jesuskind auf einer schmalen Mondsichel wie auf einer glamourösen Schaukel.

Die Deutschen haben ohnehin ein besonderes Verhältnis zum Mond – doch sie entdeckten ihn eigentlich erst richtig in den 100 Jahren zwischen 1750 und 1850, im Zeitalter der Aufklärung und Romantik also. Maler wie Caspar David Friedrich und Dichter wie Joseph von Eichendorff und Clemens Brentano lösen eine wahre Mond-Süchtigkeit aus. Bei Friedrich ist der Mond aber nicht nur Lieferant für eine romantische Kulisse – der aus der Finsternis langsam aufstrahlende Mond steht für die Auferstehung Christi. Friedrich sah Gott überall in der Natur wirken – wer sich in die Betrachtung des Mondes versenkt, berührt damit das Göttliche.

n seinem 1819 entstandenen Bild „Mondaufgang am Meer“ stehen die Schiffe für den Lebensweg der Menschen, deren Ziel – der Hafen – mit dem Tod gleichzusetzen ist. Beim „Kreuz an der Ostsee“ geht der Mond wolkenverhangen und schicksalsschwer hinter einem düster ragenden Kreuz auf, das auf einer Art Golgatha-Hügel steht. Das Gedicht „Das Abendlied“ von Claudius aus dem Jahre 1771 zählt zu den populärsten Werken der deutschen Lyrik. Die Zeilen „Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen am Himmel hell und klar; der Wald steht schwarz und schweiget, und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar“ erklingen noch immer an Kinderbetten.

Dabei werden diese Reime auch als verbrämtes Todesgedicht vor dem Hintergrund der christlichen Heilserwartung gewertet. Zu den kostbarsten Juwelen deutscher Lyrik gehört die „Mondnacht“ des späteren Geheimen preußischen Regierungsrats Eichendorff aus dem Jahre 1837: „Es war, als hätt der Himmel die Erde still geküsst, dass sie im Blütenschimmer, von ihn nun träumen müsst …“

Das magische Mondlicht sorgt hier für einen traumartigen Zustand, in dem transzendentale Wahrnehmungen möglich sind. „Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus, flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus“, heißt es in der dritten Strophe. Man stellt sich einen Vollmond vor, dessen milchiges Licht die noch in der warmen Nacht offenen Blüten zum Schimmern bringt und die Seele des Menschen von allem profanen Ballast befreit.

So geschieht es auch bei Johann Wolfgang von Goethe im Gedicht „An den Mond“: „Füllest wieder Busch und Tal, still mit Nebelglanz, lösest endlich auch einmal meine Seele ganz“. Auch für Goethe bewirkt der zauberhafte Schein des Erdtrabanten eine Bewusstseinserweiterung und der sinnlichen Erfahrung: „Was vom Menschen nicht gewusst, oder nicht bedacht, durch das Labyrinth der Brust wandelt in der Nacht…“

An den geneigten Leser dieser Zeilen sowie an den Umstand, dass der Mond beim Abnehmen dem altdeutschen Buchstaben A und beim Zunehmen dem Z ähnelt, dachte übrigens schon der Lyriker Christian Morgenstern (1871–1914) in seinem Gedicht „Der Mond“:

„Als Gott den lieben Mond erschuf, gab er ihm folgenden Beruf:

Beim Zu- sowohl beim Abnehmen, sich deutschen Lesern zu bequemen, ein A formierend und ein Z, dass keiner groß zu denken hätt.

Befolgend dies, ward der Trabant ein völlig deutscher Gegenstand.“