Wer nicht Polizist oder Kellner auf der Reeperbahn war, klebte an diesem Abend vor dem Fernseher - bis zum Morgengrauen, fasziniert und fassungslos. 

Hamburg. Vielleicht ist der Mond über Hamburg in dieser Nacht so unbeachtet wie selten zuvor. Und doch haben ihn viele Menschen der Stadt fest im Blick. In den Wohnzimmern flackern am Abend des 20. Juli 1969 verzerrte Schwarz-Weiß-Bilder. Hamburg schaut in die Fernsehgeräte und sieht das Weltall. Als die Apollo 11 im „Meer der Ruhe“ landet, ist Mondnacht. Die ARD sendet 19 Stunden Weltraumprogramm, das ZDF hat den Kommandostand des Raumschiffes und die Mondlandefähre im Studio nachgebaut. Die Moderatoren reden vom „neuen Zeitalter“, vom „Epos des menschlichen Mutes“. Und die Fernsehzuschauer in Hamburg ergreift ein Gefühl von Faszination und Fassungslosigkeit.

Schon in den Tagen davor las man über die Gefahren der Mondlandung, darüber, dass jede Bewegung in den Raumanzügen anstrengend sei. Dass es fatal sei, wenn die Astronauten auf den Rücken fallen oder stolpern. Man erfuhr, dass die Apollo-Raumfähre aus rund neun Millionen Einzelteilen besteht. Und es wurde vor unbekannten Mondkrankheiten gewarnt, mit denen sich Armstrong und seine Kollegen infizieren könnten.

In der Stadt ist am Tag der Mondlandung dagegen längst Mondfieber ausgebrochen. Die Mondfähre landet auch im Hauptbahnhof. Mit der 6,50 Meter hohen Nachbildung des Originals eröffnet die Sparkasse eine Dokumentation über Raumfahrt. Eine viertel Million Hamburger bestaunen die Fähre in der Wandelhalle. Mondkarten sind plötzlich der Reißer, von Mädchen in Astronautenanzügen verteilt. Als der Mond pünktlich um 22.33 Uhr untergeht, ist über Hamburg längst die „Nacht auf dem Mond“ hereingebrochen. „Auf die Tische sind sie gestiegen, um den Bildschirm sehen zu können und haben sich nicht einmal darum gekümmert, dass Decken auf den Tischen lagen“, berichtet eine Empfangsdame eines Hamburger Hotels über ihre Gäste.

In einem anderen Hotel schlürfen die Gäste „Cocktail Apollo 11“. Auf Hafenschleppern baut man tragbare Fernsehgeräte auf. Und wer in dieser Nacht ein Taxi haben will, muss sich eine Weile gedulden, bis Armstrong und Aldrin sicher den Mond erobert haben. Auch wer zu dieser Zeit in der S-Bahn sitzt, bleibt auf dem Laufenden. Herbert Zwantusch informiert die Fahrgäste aus der zentralen Betriebsstelle: „Achtung, eine Durchsage: Die Mondfähre ist soeben sicher gelandet!“ Es ist 21.17 Uhr. Im Informationszentrum der Sparkasse am Glockengießerwall erleben viele Hundert Menschen die Landung auf zwölf Farbfernsehern.

Die Menschen applaudieren begeistert, als das Raumschiff aufsetzt. Als Neil Armstrong um 3.56 Uhr als erster Mensch den Mond betritt, wird Christian Carstens als Hamburger „Mondbaby“ im Kreißsaal der Frauenklinik Finkenau geboren. In vielen Häusern brennt noch Licht. Viele Hamburger feiern mit Nachbarn und Freunden Partys. Und nicht nur in den Häusern. Bis in die Morgenstunden stoßen amerikanische Kreuzfahrtpassagiere auf der „Hamburg", dem neuen Passagierschiff der Hansestadt, auf die erfolgreiche Mission an – mitten auf der Ostsee. Über spezielle Antennen laufen die Live-Übertragungen des finnischen und schwedischen Fernsehens. Geschäftsführer der „Hamburg“, Axel Bitsch-Christensen, übersetzt simultan ins Englische. „Der Jubel an Bord“, so meldet Bitsch-Christensen über Seefunk dem Abendblatt, „war unbeschreiblich. In dieser Nacht hat kein Passagier eine Auge zugemacht.“ Drei Tage darauf wird das Schiff an der Überseebrücke festmachen.

Am Tag nach dem Rausch der Raumschiffexpedition liegt der Mondkater über der Stadt. „Mit kleinen Augen und zum Teil reichlich verspätet kamen unsere Mitarbeiter ins Büro“, berichtet ein Personalchef einer Firma in der Innenstadt. „Wir haben beide Augen zugedrückt.“ Ganz anders ein Betrieb in Harburg. Verspätungen werden nüchtern notiert. Während die einen die Nacht mit Armstrong in ihrer Lohntüte spüren, machen andere gleich am Tag danach das Geschäft mit der Mondlandung. Ein Optiker aus Eppendorf zeigt 80 Dias der Mission in seinem Schaufenster – mit dem kleinen Hinweis: „Alle Fotos mit Zeiss-Optiken geschossen.“

„Der Mond ist jetzt ein Ami“, titelt die „Bild“-Zeitung am Morgen danach. Die Astronauten Armstrong, Aldrin und Collins sind jetzt in Hamburg so bekannt wie Filmstars aus Hollywood. „Sowohl den Wissenschaftlern, als auch denen, die die Reise unternommen haben, gebührt unser Respekt für die Leistung und für den Wagemut“, sagt der Hamburger Bürgermeister Herbert Weichmann begeistert. Und die Box-Legende Max Schmeling ist von der Eroberung des Monds sichtlich ergriffen: „Es ist dermaßen faszinierend, dass es einem schwer fällt, die Gefühle auszudrücken.“ Nur die Hamburger Polizei meldet am Morgen nach der Mondnacht: „Keine besonderen Vorkommnisse.“