Die wiedervereinte Republik ist bald zwei Jahrzehnte alt. Der Fotograf Reto Klar und sein Vater Dieter haben auf einer ungewöhnlichen Deutschlandreise Orte in Ost und West gesucht, die den gleichen Namen tragen. Das Journal stellt einige ihrer Bilder in einer Serie vor.

Rund 52 000 Menschen leben in Emden (West), der kleinsten kreisfreien Stadt Niedersachsens, heute Wirtschaftszentrum Ostfrieslands. Volkswagen baut hier den Passat, im Hafen werden die Autos verladen. Einige Söhne der Stadt hinterließen kulturelle Spuren, etwa die Komiker Otto Waalkes und Karl Dall oder der Regisseur Wolfgang Petersen. Auch Henri Nannen, Gründer des Magazins "Stern", stammt aus Emden und errichtete hier eine Kunsthalle, die heute seine Frau Eske leitet.

Emden (Ost) liegt im Herzen der Magdeburger Börde, ein 400-Einwohner-Dorf, umgeben von Naturschutzgebieten. Berühmtester Sohn des Ortes ist Johann Matthias von der Schulenburg (1661-1747), der die Feste Korfu im Auftrag Venedigs gegen die Türken verteidigte. Emden, 1022 urkundlich erwähnt, ist eine der ältesten Siedlungen in Sachsen-Anhalt.

Ich war eine rote Socke." Günther Sievers macht keinen Hehl aus seiner Vergangenheit. Warum auch? Zwischen 1978 und 1991 war er Bürgermeister in dem kleinen Örtchen Emden, das keine 50 Kilometer von Magdeburg am Rand der Börde liegt. Inzwischen, gut 20 Jahre nach dem Mauerfall, hätte er es wieder sein können. Dieses Mal frei gewählt. Als Person. "Aber ich habe das Amt nicht angenommen." Das wiederum hat mit der Vergangenheit zu tun, der in der DDR, und mit dem Leben heute. Denn heute behaupten böse Zungen, Günther Sievers sei so etwas wie der Pate im Dorf. Sein Wort zählt. Und nicht nur, weil er mit seiner Heizungsbau- und Installationsfirma mit fast jedem Einwohner irgendwie schon mal ein Geschäft gemacht hat. Sievers beschreibt das ein bisschen anders: "Das ist wie bei Geschwistern", sagt der 54-Jährige. "Man streitet sich auch mal, bleibt aber doch immer Bruder oder Schwester."

Dass Sievers' Wort im Dorf zählt, hat aber auch den Grund, dass er seine Vergangenheit nicht wegwischen will wie einen Fleck. Als "linientreu" beschreibt er sich für die Zeit in der DDR. Das, was die Oberen im Kreis oder im Bezirk verzapften, habe er versucht durchzusetzen. Wenn die Ideen der "Bürohengste" dem Praxistest nicht standhielten, dann habe man halt getrickst und es schon irgendwie hingebogen", erzählt er und lächelt verschmitzt. Schließlich hätten sich in der DDR ja alle mehr oder weniger in die Tasche gelogen.

Nach der Wende seien viele Westdeutsche "über den Ort hergefallen und hätten den Rahm abgeschöpft", erzählt Sievers mit Bitterkeit in der Stimme. Versicherungen, Autos, Möbel - alles Mögliche sei den Ostdeutschen verkauft worden. Sechs Jahre habe der Boom gedauert, dann war das Geld alle. "Der Markt war abgegrast und die Karawane zog wieder ab." Übrig blieben Tochterfirmen von Westdeutschen, die nach und nach dichtmachten.

Er selbst habe irgendwie durchhalten können, erzählt Sievers. Und hofft jetzt, dass sich die Leute ihrer Heimat erinnerten und Reparaturaufträge an ostdeutsche Firmen vergäben.

"Immerhin sind die ersten unserer damals verbauten Anlagen schon 16 Jahre alt", sagt Sievers. So richtig optimistisch klingt das nicht. Zu hoch ist die Arbeitslosigkeit in Sachsen-Anhalt. Zu wenig die Arbeit, die es im Ort noch gibt. Einige Emdener fahren für ihren Job täglich in die Landeshauptstadt.

Die Erinnerung an die DDR ist trotz der vergangenen 20 Jahre präsent in dem Börde-Landstrich. "Wir können immer noch Vergleiche ziehen", sagt Sievers. Und da relativiert sich manches. Die Freiheit zum Beispiel, die die Wende gebracht hat, bleibt vielen Menschen hier abstrakt. "Manchmal vergleichst du die Freiheit mit dem, was du in der Tasche hast", sagt er. "Sie erinnern sich an das Gute von früher und vergessen das Schlechte." Das mag nicht gerecht sein. Aber so ist die ostdeutsche Realität.

Für Sievers hat das etwas mit Ehrlichkeit sich selbst gegenüber zu tun. "Wer ehrlich ist, wird immer Vergleiche mit seiner früheren Zeit ziehen", sagt er. "Und die unangenehmen Dinge nicht vergessen." Als die Wende kam, sei für ihn eine Welt zusammengebrochen, sagt der 54-Jährige. Das gehöre zu seiner Ehrlichkeit genauso dazu wie die Erkenntnis, dass er die vergangenen Jahre genutzt habe. "Denn jetzt", sagt Sievers, "geht's mir gut."