Die wiedervereinte Republik ist bald zwei Jahrzehnte alt. Der Fotograf Reto Klar und sein Vater Dieter haben auf einer ungewöhnlichen Deutschlandreise Orte in Ost und West gesucht, die den gleichen Namen tragen. Das Journal stellt einige ihrer Bilder in einer Serie vor.

Heidelberg (West) ist ein Synonym für die deutsche Romantik und Prototyp der deutschen Universitätsstadt. 813 Jahre alt, ist dieses Heidelberg ein Wissenschaftsstandort mit fünf Max-Planck-Instituten, vier Hoch- und Fachschulen, 33 000 Studenten und 3,5 Millionen Gästen im Jahr. Die meisten kommen, um den atemberaubenden Blick vom Schloss auf die Stadt zu genießen.

Heidelberg (Ost) ist 132 Jahre jünger, liegt im Kreis Prignitz in Brandenburg und hat gerade noch 39 Einwohner. Die meisten Heidelberger leben von der Landwirtschaft - in einem Ort, in dem es erst seit 1946 elektrischen Strom gibt. Wenn es irgendwo "beschaulich" ist, dann hier entlang der ungepflasterten Straßen, den wenigen Häusern und in ganz viel Weite.

Wilhelm Otto saß im kleinen brandenburgischen Heidelberg in seinem Garten, als sein Nachbar ihm zurief, dass die Mauer nicht mehr da sei. "Meine ersten Gedanken waren durchweg positiv", sagt der 1932 geborene Diplomlandwirt. Sein Lebtag hat er in Heidelberg verbracht, kümmerte sich um 24 Hektar Land, die sein Vater nicht mehr bewirtschaften konnte und somit seinem Sohn anvertraute. Für Otto war das in ihn gesetzte Vertrauen oftmals eine Bürde. "Ich war an 24 Hektar Land gebunden, die nicht einmal mir gehörten. Alle anderen in meinem Alter konnten die Chance ihrer Jugend nutzen und weggehen - alles tun, was sie wollten."

Doch falsch verstehen darf man seine Worte nicht. Wilhelm Otto hadert nicht mit seinem Schicksal. Im Gegenteil. Heidelberg ist seine Heimat, vier Generationen seiner Familie hatten dort ihre Wiege stehen. "Und wo die Wiege stand, da ist das Heimatland", sagt Otto. Seine Kinder haben längst die Chance ihrer Jugend genutzt ...

Er erzählt aus seinem Leben im ehemaligen Wartezimmer seiner Frau, einer pensionierten Ärztin. Gleichzeitig ist das große Haus, das inmitten von dunklen Tannen an ein Jagdanwesen erinnert, ihr Zuhause. Denkt Otto an den Beruf seiner Frau, kommt er automatisch auf die deutsche Einheit zu sprechen. Allein an diesem Berufsstand könne man sehen: "Eine Einheit ist das noch lange nicht. Ein Arzt hier verdient 78 Prozent dessen, was ein Arzt drüben verdient." Otto sagt "drüben" und wirkt bei diesem Wort ein wenig resigniert. Dabei hat er sich sein Leben lang an den Leitspruch "optimistisch sein" gehalten. "Aber das lässt nach bei mir, meint meine Frau", sagt Otto, der 1996 Bürgermeister Heidelbergs war und von der Wende bis 2003 Gemeindevertretervorsteher. "Mit der Wende ist zwar wieder zusammengeführt worden, was durch parteiliche Dinge 1945 auseinandergebrochen war", sagt Otto. "Aber was das mit sich gebracht hat, ist nicht einfach." Vor allem wohl in einem Ort wie Heidelberg nicht.

"Hier wird es immer menschenleerer, mit Sicherheit. Ich wünsche es mir nicht, aber was sollte die Menschen hierher bringen oder hier halten? Hier gibt es keine Industrie und keine Arbeit." Fast klingt es so, als wäre es für Orte wie diesen in der sozialistischen DDR doch alles ein wenig einfacher gewesen. "Ach was. Am Sozialismus ist die DDR gescheitert", sagt Otto. "Aber jetzt herrscht allerorten die Heuchelei der Politiker. Ich will nicht generell den Kapitalismus abtun, aber nun wird von Wasser gepredigt und Wein getrunken. Das ist auch nicht das Wahre."

Wirklich unglücklich ist Wilhelm Otto aber nicht. Dort, in seinem Heidelberg. "Ich habe in meinem Leben alles bekommen", sagt Otto. "Ich bin zufrieden." Und Glück - ja, Glück sei eben so eine Sache.

Informationen zum Buchprojekt "Spiegelungen" von Reto und Dieter Klar unter www.spiegelungen-dasbuch.de