Die wiedervereinte Republik ist bald zwei Jahrzehnte alt. Der Fotograf Reto Klar und sein Vater Dieter haben auf einer ungewöhnlichen Deutschlandreise Orte in Ost und West gesucht, die den gleichen Namen tragen. Das Journal stellt einige ihrer Bilder in einer Serie vor.

Weimar (Ost) steht für den Geist der deutschen Klassik. Goethestadt. Schillerstadt. Kulturstadt Europas. Unesco-Weltkulturerbe. Eine halbe Million Gäste besuchen jedes Jahr die historischen Häuser und Gedenkstätten der thüringischen Universitätsstadt. Neben dem Nachlass der Dichterfürsten bewahrt dieses Weimar auch den furchtbarsten Teil der deutschen Geschichte: das Konzentrationslager Buchenwald.

Weimar (West) ist eine kleine Gemeinde im hessischen Landkreis Marburg-Biedenkopf. 7000 Einwohner leben ein Leben in Stille. Treffpunk des Ortes ist der "Weimarer Hof" - besonders während große Sportveranstaltungen laufen. Im Fernsehen.

Menschen mit Behinderungen haben oft kein einfaches, geschweige denn fröhliches Leben. Sich selbstständig zu bewegen, ist ihnen oft nicht vergönnt. Doch es geht. Das zeigt die "Gemeinschaft Kehna" bei Weimar. In dem kleinen hessischen Dorf leben und arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. "Dieser Lebensort bietet Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung, also Menschen, die der Seelenpflege bedürfen, Wohngelegenheiten und Arbeitsplätze", sagt Initiatorin Gabriele Scholtes.

In Haus- und Wohngemeinschaften leben in Kehna 85 Menschen zusammen, darunter 30 mit Behinderungen. Im Rahmen dieser Gemeinschaft hat sich ein Verantwortungsgefühl füreinander entwickelt. Gleichzeitig kann jeder ungestört seine eigene Biografie für sich ausleben.

Ein Beispiel ist "Thomas, der Pfarrer". Er darf ungestört seiner Leidenschaft frönen, in verschiedenen Rollen aufzutreten. Er predigt und findet seine Zuhörer, die geduldig seinen Worten lauschen. Auf einem Dachboden hat er sein eigenes "Gotteshaus". Sonntags läuft er im Priestergewand durch das Dorf. Er darf seine inneren Gefühle, seine Träume und seine Bedürfnisse, anderen Menschen in allen Lebenslagen helfen zu wollen, für andere Menschen da zu sein, ausleben.

Denn Thomas, der am Down-Syndrom leidet, ist auch Polizist und Feuerwehrmann im Ort. Die Uniformen hängen in seinem Schrank. Thomas war zur Stelle, als in dem kleinen Ort ein Auto in den Graben gefahren war. Und alles ist völlig normal für alle behinderten und nicht behinderten Menschen in Kehna.

Die Gemeinschaft Kehna ist eine sozialtherapeutische Lebens- und Arbeitsgemeinschaft auf anthroposophischer Grundlage. Trägerverein ist die "Hofgemeinschaft für heilende Arbeit e.V."

1966 zog die Gemeinschaft in Weimar-Kehna ein, einem Dorfensemble, das komplett unter Denkmalschutz steht. Die landwirtschaftlichen Betriebe hatten zuvor aufgegeben. Kehna drohte ein Geisterdorf zu werden. Nach ersten Berührungsängsten freuten sich die 20 verbliebenen "Ureinwohner" über die "Neusiedler". Endlich war wieder Leben in der kleinen Gemeinde.

Alle 30 Behinderten sind in die Arbeit der Gemeinschaft eingebunden. Es gibt eine Schreinerei, eine Textilwerkstatt und eine Bio-Kaffeerösterei. Außerdem werden Gartenarbeiten und Hilfsdienste angeboten. Thomas zum Beispiel hilft einer älteren Dame bei der Hausarbeit.

Die Gemeinschaft Kehna wird vom hessischen Sozialministerium gefördert.

Informationen zum Buch "Spiegelungen"von Reto und Dieter Klar unter www.spiegelungen-dasbuch.de