Beim Blumenknollensetzen im Garten finden wir eine Unzahl größerer Knochen. Wir wohnen in einem alten Haus. Die Vorbesitzer hatten eine Hundezucht.

Die Mädchen finden die Knochen eklig. Sie wollen im Haus spielen. Die Knochen sind halb verwest und so durchscheinend, dass man ihre Struktur gut erkennen kann. Mein Kleiner legt alle Knochen behutsam in Schuhkartons.

"Wenn ich die Knochen begrabe, bekomme ich dann mehr Taschengeld?", fragt er.

"Wofür brauchst du denn mehr Taschengeld?"

"Papa, das weißt du doch! Ich will mir das Geisterpiratenschiff kaufen."

"Wenn du beständig gibst, wirst du beständig haben", sage ich.

"Was heißt das?"

"Das heißt, dass du nicht mehr Taschengeld bekommst."

Mittags finde ich drei gut erhaltene Knochen auf dem Küchentisch.

"Was soll das?", frage ich meinen Sohn.

"Sonst tust du doch auch Knochen in die Suppe", sagt er. "Ich dachte, du sparst Geld, wenn du die Suppe mit den Knochen kochst, und das gesparte Geld gibst du mir für mein Schiff."

Am Nachmittag ruft Henni an: "Es gibt ein Land, an dessen Strände werden menschliche Füße angeschwemmt. Dutzende Füße. Und sie alle stecken in Schuhen. Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen Fällen oder handelt es sich um Phänomene, die nichts verbindet außer dem Strand, an den sie angetrieben werden?", fragt er.

"Henni, ist das das Sonntagsrätsel? Was rufst du mich am Sonntagnachmittag an und erzählst mir etwas von abgetrennten Füßen?" Mein Sohn hat sich neben mich gestellt. Ich gehe mit dem Telefon ein Stück weiter. Er folgt mir. "Henni, Moment mal. Was willst du denn?", frage ich meinen Sohn.

"Wenn du mal einen Fuß verlierst, dann geb ich dir einen von meinen", sagt er.

"Oh, vielen Dank. So, jetzt geh' wieder spielen. Ich telefoniere."

"Nein", sagt Henni, "diese Fußgeschichte, das sind Tatsachen. Das ist die Komödie des lächerlichen Lebens, in der wir alle spielen. Vergiss nie, dass um uns die Lichter der Verheißung und die Feuer der Verdammnis flackern!"

"Oh Mann, Henni! Was bist du denn so lyrisch plötzlich? Hier brennt gar kein Feuer. Hier gibt's nur einen eifrigen Jungen, der sein Taschengeld in die Höhe treiben will. Du, aus deiner Geschichte, da wird kein Schuh draus!"

"Nee, ein Schuh bestimmt nicht!", sagt Henni. "Aber bei fast jeder Geschichte bleibt immer ein Rest, der nicht zu erklären ist."

"Wohl wahr, Henni. Bei diesem Rest sind wir wohl gerade."

"Magst recht haben", sagt er.

Wir schweigen eine Weile.

"2001 - Odyssee im Weltraum. Da hat selbst Kubrick gesagt, wenn du meinst alles verstanden zu haben, hast du nichts verstanden", sage ich, um mal wegzukommen vom Tagesgeschäft.

"Ja", stimmt Henni zu, "meine Kinder haben mich auch gefragt, was das mit den Farben soll. Dieser Trip zum Ende des Lebens. Und was habe ich gesagt?"

"Na, was?"

"Weiß ich doch auch nicht", sagt Henni. "Wenn schon der Regisseur nicht weiß, warum er das gefilmt hat. Ich bin nur ein kleiner Kinogucker."

"Na denn, Henni. Schönes Wochenende noch."

Dann steht wieder mein Sohn neben mir. "Papa", sagt er. "Ich gebe viel. Ich sorge mich um die Pflanzen, dass Blumen wachsen. Ich sorge für die toten Hunde, dass sie ein schönes Grab haben. Ich kümmere mich um unser Essen und um deine Füße. Ich gebe immer ganz viel, aber von dir bekomme ich fast nie etwas. Schon überhaupt nichts Beständiges. Kann ich nicht mal ein Geisterschiff bekommen? Oder das Geld dafür?"

"Junge, warum musst du so materiell sein?", frage ich. "Kannst du nicht zufrieden sein mit dem, was du hast? Du hast so viele Spielsachen. Du bekommst Taschengeld, also spar, und du kannst dir etwas kaufen. Und jetzt komm' bitte nicht noch einmal mit diesem Schiff an, ja?"

Ist es nicht so, dass wir uns in unseren Kindern spiegeln?, überlege ich. Dass sie unsere Stärken aber auch unsere Untugenden haben? Dieses Materielle muss aus der Familie meiner Frau kommen. Ich bin ja eher träumerisch unterwegs. Alles was wir geben, kommt auf verschlungenen Wegen zu uns zurück. Zumindest im Traum. Daran glaube ich.

Als ich zurück in den Garten gehe, komme ich an meiner Frau vorbei. Sie liest. "Du, hör mal: In Prag kann man Bohemistik studieren. Das wär doch was für dich. Im Kaffeehaus sitzen und lesen und schreiben. Alles was du immer gewollt hast", sagt sie.

"Ach Quatsch, das gibt's doch gar nicht! Zumindest ist das hanebüchen. Nur weil ich das Studium abgebrochen habe, musst du mich nicht mit so obskurem Kram aufziehen."

"Was war denn heut Mittag in der Suppe? Die hat seltsam geschmeckt", sagt meine Frau.

"Hab' ich wohl die Karotten nicht ordentlich genug geputzt."

Am Abend gehe ich hoch zu den Kindern. Mein Sohn baut ein Knochenhaus. Neben ihm liegt das Lateinbuch meiner Ältesten. Die Seite über die Katakomben ist aufgeschlagen. Auf einem Foto sieht man kunstvoll nach Mustern geschichtete Gebeine. Von wegen man lernt nur für die Schule oder für den Lehrer.

"Wenn alle, die mir einst lieb waren, nun nur noch Gespenster wären", murmelt mein Sohn. "Ich habe keine Köpfe", sagt er, als er mich bemerkt.

"Tja", sage ich, "wir können ja morgen weiter suchen. Aber jetzt geht's erst mal ins Bett."

Als ich im Bett liege, überlege ich mir Erklärungen für Hennis Geschichte. Die angetriebenen Füße stammen von Ermordeten, so viel ist klar. Ich erinnere mich an den ugandischen Diktator Idi Amin, der seine Widersacher zerstückelt in Gefriertruhen aufbewahrte, um sie bei Feiern zu verspeisen. Vielleicht mochte er keine Füße, und er hat sie ins Meer geschmissen. Oder es gibt irgendwo auf der Welt eine Maschine, die immer wieder die Füße der Arbeiter abreißt. Es gibt keine Arbeitsschutzbestimmungen an der Stanzmaschine, und die Arbeiter sind so arm und abhängig von ihrem Tun, dass sie ihren Vorgesetzten die Unfälle verheimlichen. Aus Pflanzenfasern modellieren sie sich neue Füße und so können sie weiterarbeiten, als wäre nichts geschehen. Im Stakkatorhythmus sehe ich die pflanzenfüßigen Arbeiter um die Maschine tanzen.

"Was stöhnst du denn so?", weckt mich meine Frau.

"Hab' schlecht geträumt", sage ich. "Aber jetzt schlafe ich eigentlich schon wieder."

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