Mit seinem neuen Roman beendet Rafael Chirbes seine spanische Trilogie. Aus Ideologen sind Bürgerliche geworden. Ein deprimierendes Finale - findet auch der Autor im Interview.

Rafael Chirbes (55) gilt als einer der wichtigsten spanischen Gegenwartsautoren. Gerade ist sein sechster Roman "Alte Freunde" erschienen. Damit schließt Chirbes nach "Der lange Marsch" (1998) und "Der Fall von Madrid" (2000) seine Trilogie um das gesellschaftliche Leben in Spanien vom Bürgerkrieg bis heute.

In "Alte Freunde" erinnert sich eine Gruppe von desillusionierten Mittfünfzigern an ihre gemeinsame Jugend in Madrid, als sie gegen Franco und für die Revolution kämpften. Bei einem Treffen nach vielen Jahren stellen sie fest, wie fremd sie sich geworden sind. Aus den Revolutionären von einst sind angepasste Galeristen und Immobilienmakler, etablierte Sozialdemokraten und egozentrische Schriftsteller geworden.

"Alte Freunde" ist ein politisches Buch rund um das Straucheln nach der ideologischen Ernüchterung. Dennoch sind Chirbes' Figuren auch immer Individuen, die geprägt sind durch Freundschaft und Konkurrenz, erfüllte, öfter aber enttäuschte Liebe, den Tod ihrer Kinder oder den von Freunden. Das Zusammenspiel der Einzelschicksale fügt sich zu einem Stimmungsbild der spanischen 68er-Jahre.

JOURNAL: Sie selbst haben einmal gesagt, "Alte Freunde" sei eine trostlose Geschichte, deren Figuren zur Leere verurteilt seien.

RAFAEL CHIRBES: Es ist ein Buch, das mir viele Dinge gesagt hat, die ich nicht hören wollte. Dieser Roman hat mich ausgelaugt; ich bin nicht nur eine oder mehrere Figuren, ich bin das ganze Buch. Als es fertig war, sagte ich mir: "Du hast nur die Wahrheit geschrieben." Aber ich war ein halbes Jahr lang sehr deprimiert.

JOURNAL: Was macht Ihrer Generation mehr zu schaffen: dass die zentrale Utopie ihrer Jugend, der Sozialismus, gescheitert ist oder dass sie nicht mehr wirklich an die Liebe glaubt?

CHIRBES: Vermutlich eine Mischung aus allem. In unserem Alter resümiert man sein Leben und spürt die Sterblichkeit am eigenen Leib. In diesem Sinne ist "Alte Freunde" ein bisschen existenzialistisch. Gleichzeitig entladen sich darin die Einzelschicksale in einem lauten Donnern.

Es gibt keine gemeinsamen Vorhaben mehr. Jeder singt seine Melodie, schafft es aber nicht, sie in Einklang mit den anderen Stimmen zu bringen.

JOURNAL: Die Frauen scheinen durch den Untergang ihrer Utopien weniger aus der Bahn geworfen als die Männer.

CHIRBES: Die Frauen sind weniger ideologisiert, besonders Rita. Sie ist stolz darauf, dass sie es geschafft hat, so ein bodenständiges, wenn auch mittelmäßiges Leben zu führen und nicht, wie beispielsweise ihr Ex-Mann Carlos, immer noch nach einer Ersatzideologie zu suchen. Das spiegelt sich auch in ihrer Sprache wider, die viel näher am Alltagsleben ist als Carlos' ausschweifende Theorien vom Ästhetizismus.

JOURNAL: Das Scheitern spielt eine große Rolle in Ihren Büchern. Was interessiert Sie daran?

CHIRBES: Das Schauspiel des Lebens ist sehr hübsch. Aber es führt eben unvermeidlich zum Tod. Und im Leben siegt immer derjenige mit den wenigsten Skrupeln. Das Auseinanderklaffen zwischen der Welt, wie sie sein sollte, und ihrem tatsächlichen Zustand ist ein universelles Thema in der Literatur.

JOURNAL: Seit vier Jahren leben Sie wieder in der Nähe Ihres Geburtsorts. Warum sind Sie zurückgekehrt?

CHIRBES: Weil ich nicht wusste, wo ich leben sollte, und meine Schwester hier wohnt. Außerdem denke ich, ein Schriftsteller tut gut daran, so zu leben, dass er die Dinge, über die er schreibt, mit der nötigen Distanz sehen kann. In meinem Fall also weit weg vom gesellschaftlichen Leben der Städte.

JOURNAL: Unter dem Titel "Am Mittelmeer" erschien 2001 eine Sammlung von Reportagen für ein Gourmetmagazin. Arbeiten Sie noch für diese Zeitschrift?

CHIRBES: Ja, ich versuche, nicht allzu viele Artikel zu schreiben. Aber wenn das Bankkonto leer gefegt ist, muss ich eben wieder verreisen. Meine Kenntnisse, was Weine betrifft, sind geografischer Natur. Mit der Küche ist es ähnlich, die moderne Küche verstehe ich überhaupt nicht. Ich fühle mich etwas deplatziert in dieser Welt. Aber zu Hause könnte ich wohl auch nicht immer sein. Abends gehe ich in die Bar im Dorf, um ein paar Gin Tonic zu trinken. Wenn ich irgendwann nicht mehr reise, werde ich wahrscheinlich zum Wolf oder sonst einem seltsamen Tier.

JOURNAL: Als junger Mann waren Sie gegen Franco aktiv. Was erträumten Sie sich damals für Ihre Zukunft?

CHIRBES: Ich war ein Arbeiterkind und sehr kommunistisch. Ein Kommunist mit einer großen Liebe zu Proust. Damals wollte ich zum Film oder Schriftsteller werden. Ich wusste ja noch nicht, dass das Schreiben eine harte, einsame, kopflastige Arbeit ist. Heute schätze ich Menschen, die Häuser, Türen, Stühle herstellen, und misstraue Intellektuellen. Wir, die wir mit Worten arbeiten, manipulieren und dominieren diejenigen, die körperlich arbeiten. Bis sie uns eines Tages auf den Kopf schlagen, weil wir uns mit Dingen beschäftigen, die niemandem nützen.

Rafael Chirbes: Alte Freunde.

Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz. Antje Kunstmann, 400 Seiten; 19,90 Euro.

Der Autor liest am 28.9. um 20 Uhr im Instituto Cervantes, Literaturhaus. Michail Paweletz liest den deutschen Text, Barbara Mesquita übersetzt, Maike Albath moderiert.