Berlin. Wer guckt ZDF und ARD? Die Werbung zielt auf Senioren und Erkältete. Unsere Kolumnistin pflegt ihren Schnupfen – und reiht sich ein.

Das war mir tatsächlich nicht bewusst. Wer Vorabendprogramm der öffentlich-rechtlichen Sender guckt, schaltet die Dauerwerbesendung der Pharmaindustrie ein. Für Senioren und Leute wie mich, die die Wehwehchen einer fetten Erkältung auskurieren. Ich bin zu schlapp, um Zeitung zu lesen und im Internet zu surfen, mein Kopf ist schwer, der Atem rasselt, die Nebenhöhlen dicken ein.

Um mich abzulenken und weil ich Nachrichtenjunkie bin, warte ich auf die 19-Uhr-„heute“-Sendung. Und bleibe an diesen Spots hängen rund um Darm und Blase, Knie und Atemwege, Gedächtnis und Schlaf. Sticht da was? Rumort es irgendwo? Funktioniert was nicht? Es gibt doch für alles irgendwelche Mittelchen zum Wegcremen, Runterschlucken, Einatmen und Aufkleben.

Rentner mit Athrose – das ist die Zielgruppe des ZDF

Ich sehe Seniorinnen, die ihre Enkel hochhieven wollen, doch dann kommen sie aus der gebückten Haltung nicht mehr hoch. Klar, der Rücken, für den gibt es das Schmerzpflaster. Oder es ist das Knie, das den Opi nicht mehr richtig kicken lässt. Da hilft die Salbe. Die flotte Dame 70+, die dem Gatten aufzählt, was sie alles besorgt hat, bekommt Lob für ihr tolles Gedächtnis – und ich lerne gleich, welchen Kapseln, in denen irgendein Extrakt irgendeiner asiatischen Wurzel steckt, sie das zu verdanken hat.

Kolumnistin Birgitta Stauber schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft.
Kolumnistin Birgitta Stauber schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Eine andere geht trotz Inkontinenz zum Yoga – mit der Slipeinlage, die ganz viel hellblaue Flüssigkeit aufnehmen kann (Gelb wäre wohl eine eher abtörnende Farbe, das ist wie bei Babywindeln).

Jünger, also mittelalt, sind die Protagonisten der Spots, sobald es um Erkältung geht und Schlafstörungen. Sie niesen, husten, krächzen; empfohlen werden ihnen Säfte mit viel Alkohol, Tabletten mit aufputschendem Pseudo-Ephedrin oder Melatonin, das derart den Schlaf der jungen Frau verbessert, dass sich die Männer nach ihr umdrehen, weil sie so fit aussieht.

Melatonin, Pseudo-Ephedrin, Alkohol, Paracetamol

Wie lukrativ das Pharma-Werbe-Geschäft ist, beweist eine aktuelle Preisliste des ZDF: Ein 20-Sekunden-Spot, der eine Woche lang zwischen 18.59 Uhr und 19 Uhr läuft, also kurz bevor die „heute“-Sendung losgeht, kostet in den Wintermonaten zwischen 120.000 und 180.000 Euro. Im Sommer 90.000. Keine Frage, warum ich also kurz vor den Nachrichten berieselt werde mit Werbung für Rückenpflaster, Mittel gegen Darmbeschwerden, Husten und Kniearthrose.

Was ich übrigens auch bei der Recherche gefunden habe: eine Empfehlung für Apothekerinnen (die paar Apotheker schließe ich natürlich hier ein), unbedingt die Mittel aus der Werbung 1. zu kennen und 2. auch vorrätig zu haben.

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Es ist also ein richtig fettes Geschäft rund um die Arzneimittel, die übrigens die gesetzlichen Krankenkassen nicht bezahlen. Weil ihre Wirksamkeit ganz schön oft auf Placebo-Effekten beruht. Oder auf reiner Symptom-Unterdrückung mit fragwürdigen Zusatzstoffen wie Schlaf- und/oder Aufputschmitteln. Auch Stiftung Warentest warnt.

ARD, ZDF & Co. verdienen kräftig – wie die Pharmaindustrie

Pharmaindustrie und TV-Sender spielen sich jedenfalls die Bälle zu. Denn wer am frühen Abend vor dem Fernseher sitzt, ist oft alt oder krank oder beides. Klar ist es leicht, diese verletzliche Gruppe mit tollen Versprechen dazu zu bewegen, in die nächste Apotheke zu rennen. Ich bin tatsächlich auch in Versuchung gekommen und habe mir ein Schnupfenmittel gekauft. Rein pflanzlich. Und Nasenspray. Macht zusammen 20 Euro.

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Offenbar ist diese Zielgruppe der Alten und Kranken auch ganz zufrieden mit dem Fernsehen. Warum bloß kickt dann das ZDF Krimiserien zur besten Pharma-Werbezeit aus dem Programm und spricht von Verjüngung? Als ob irgendein Student, eine junge Mutter, ein Angestellter, ein Lehrer oder was weiß ich zwischen 18 Uhr und 19 Uhr den Apparat einschalten. Umgekehrt ist es richtig: Das Fernsehen muss bewahren und diejenigen berieseln, die ihre Zeit totschlagen wollen, ohne irgendetwas dafür zu tun. Und Heilung versprechen.

Ich freue mich jetzt auch richtig, dass ich noch mal mitmachen kann, bevor mein Kopf wieder klar wird. Also werfe ich mich mit Decke, Tee aus frischer Minze und Nasenspray in Griffbereitschaft aufs Sofa. In fünf Minuten kommt „heute“. Ich muss mal zählen, wie viele Spots in das Zeitfenster passen.

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