Berlin. WDR-Intendant Tom Buhrow tritt eine neue Debatte los. Kommt damit das Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie wir ihn kennen?

Er spreche als Privatperson, sagte Tom Buhrow. Und dann legte der derzeitige ARD-Vorsitzende und Intendant des Westdeutschen Rundfunks am Mittwochabend im Hamburger Übersee-Club so richtig los. Am Ende seiner Rede hatte der 64-Jährige die Frage aufgeworfen, ob ARD und ZDF überhaupt zwei unterschiedliche Sender bleiben sollten.

Sein fester Eindruck sei: Deutschland scheine „uns in zehn Jahren nicht mehr in diesem Umfang zu wollen – und auch finanzieren zu wollen – wie heute“. Sparrunden reichten nicht mehr aus.

ARD und ZDF: Debatte ohne Tabus gefordert

Er forderte einen neuen Gesellschaftsvertrag, eine Debatte ohne Tabus und Denkverbote, einen Runden Tisch für radikale Reformen. „Wir müssen aus dem bisherigen System ausbrechen“, sagte Buhrow, dessen Redebeitrag auch in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ abgedruckt war und in gekürzter Form fast eine ganze Seite füllte.

Im „Klein-Klein zwischen Ländern und Sendern“ seien die großen Fragen nicht zu lösen, lautet Buhrows Fazit. Man brauche „eine Art verfassunggebende Versammlung für unseren neuen, gemeinnützigen Rundfunk“, denn man müsse „aus dem bisherigen System Staatskanzleien hier, Sender dort ausbrechen“.

Der lange Schatten der Ex-RBB-Intendantin Patricia Schlesinger

Der Aufruf zur Revolution beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist Buhrows Antwort auf die ewige Debatte um die Erhöhung der Rundfunkgebühren und einer Reihe von Skandalen. Deren vorläufiger Höhepunkt war der Rücktritt der Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), Patricia Schlesinger, wegen angeblicher Vetternwirtschaft und Verschwendungsvorwürfen.

Mit dem Skandal entwickelte sich eine erneute Debatte um Gehalts- und Pensionsansprüche in den oberen Etagen. Wenn es um Geld ging, herrschten seit Jahren strenge Regeln für die Mitarbeiter des RBB. Das galt aber offenbar nicht für alle. Bei dem Sender ermittelt inzwischen die Generalstaatsanwaltschaft Berlin. Auch der NDR geriet in Turbulenzen.

ARD und ZDF: Soll einer ganz verschwinden und der andere bleiben?

Buhrow, der nur noch bis 2025 im Amt ist, stellte vor allem Fragen – und damit buchstäblich das ganze System in Frage. „Die erste Frage – glaube ich –, die wir uns stellen müssen, ist: Will Deutschland im 21. Jahrhundert weiter parallel zwei bundesweite, lineare Fernsehsender? Wenn nicht: Was heißt das? Soll einer ganz verschwinden und der andere bleiben? Oder sollen sie fusionieren, und das Beste von beiden bleibt erhalten?“

Auch stelle sich die Frage, ob die regionalen Programme der ARD als Vollprogramm erhalten oder in einem bundesweiten Programm aufgehen sollten. „Wir alle sagen doch ständig, dass die Zukunft im Digitalen liegt, aber wir alle verteidigen unsere linearen Kanäle“, sagte Buhrow.

Bundesländer sind für Medienpolitik zuständig

Der frühere „Tagesthemen“-Moderator zweifelte zudem, ob die Vielzahl der Orchester, Bigbands und Chöre von den Beitragszahlern noch gewünscht sei. Vielleicht könne es ein „Best of“ geben – das beste Sinfonieorchester, den besten Chor, die beste Bigband. Auch die Frage, warum allein die ARD 64 Hörfunkwellen habe, sei berechtigt.

Auch interessant:Gebührenverschwendung? ARD und ZDF erklären Queen-Sendezeit

In der Bundesrepublik sind die Bundesländer für Medienpolitik zuständig und beschreiben in Staatsverträgen den Auftrag und die Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dabei gilt für die journalistischen Inhalte das Gebot der Staatsferne. Die Rundfunkfreiheit ist im Grundgesetz verankert.

Die Länder bestimmen aber, wie viele Programme die Sender anbieten sollen oder wie die Struktur der Kontrollgremien in den Medienhäusern aussehen soll. Die viel kritisierten Sender verweisen immer wieder auf die Rolle der Politik, die durch die Staatsverträge den Umfang der Sender festlege.

ZDF-Intendant äußert sich zurückhaltend

Deshalb müsse beim Thema Senderfusionen in der ARD auch die Frage beantwortet werden, wie viele unabhängige Rundfunkanstalten zur föderalen Struktur und Vielfalt in Deutschland gehören sollen. „Das wird nicht Sender für Sender und Bundesland für Bundesland zu lösen sein – sondern nur in einem größeren Zusammenhang“, meinte Buhrow.

Das ZDF äußerte sich zurückhaltend. Intendant Norbert Himmler sagte in Berlin, er teile die „pauschale Skepsis des ARD-Vorsitzenden in Bezug auf die Reformfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ nicht. „Als nationaler, zentral organisierter Sender ist das ZDF effizient aufgestellt und dabei lern- und veränderungsfähig.“ Das ZDF habe in den letzten Jahren bewiesen, dass erfolgreiche Reformen möglich sind. Das ZDF scheue keinen Vergleich der Systeme.

FDP-Chef Lindner spricht von einem Meilenstein

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nannte Buhrows Vorstoß für eine große Rundfunk-Reform einen Meilenstein. Am Rande seines Warschau-Besuchs sagte der FDP-Politiker am Donnerstag: „Wenn wir die Öffentlich-Rechtlichen wieder stärken wollen in ihrer Legitimität, geht das nur durch Reformen.“ Dabei dürfe es keine Denkverbote geben.

Buhrow spreche „das bisher Unsagbare und Undenkbare aus“, so Lindner. Doch müsse das nicht gleich eine Fusion der Sender bedeuten. Denkbar sei auch, die Profile von ARD und ZDF zu schärfen. „Auf der einen Seite eine stark regionalisierte Senderfamilie des Ersten und auf der anderen Seite ein stärker national ausgerichtetes Vollprogramm“, meinte der Finanzminister.

Ramelow fordert Expertengremium und Bürgerbeteiligung

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) unterstützte den Buhrow-Vorstoß im Grundsatz. „Das öffentlich-rechtliche Medienangebot zu stabilisieren, heißt, es in sich veränderten Zeiten auch neu zu denken“, sagte er unserer Redaktion. Zwar seien die Länder für die Ausgestaltung dieser Angebote zuständig. Ministerpräsidenten oder Intendanten dürften aber „nicht die alleinigen Akteure“ sein. Ramelow forderte zudem ein Expertengremium und Bürgerbeteiligung.

Die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, die SPD-Politikerin Katrin Budde, glaubt, die grundsätzliche Akzeptanz für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk sein in der Gesellschaft noch vorhanden. Sie finde den „Vorschlag einer grundsätzlichen Neuaufstellung gut. Ich wünschte mir, dass man diese dann wirklich ‘neu-denkt’“, sagte sie unserer Redaktion.

Sachsens Medienminister Schenk nennt Rede einen „Weckruf“

Der sächsische Medienminister Oliver Schenk (CDU) nannte Buhrows Rede einen Weckruf. Das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk „wurde massiv beschädigt“, er begrüße daher ausdrücklich, dass Buhrow die Reformnotwendigkeit betont habe, sagte er unserer Redaktion.

„Es geht darum, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zukunftsfest aufzustellen.“ Die Länder befassten sich aber schon seit Jahren intensiv mit der Fragestellung, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk zukunftssicher und modern aufgestellt werden könne.

Christiane Schenderlein, Sprecherin für Kultur und Medien der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hofft, dass der Reformwille „auch in der jetzt beginnenden Diskussion, bei der es um Struktur und Finanzierung geht“, vorhanden ist. Zudem sei es erforderlich, dass bestehende Länderinteressen bei der Betrachtung der Zukunftsfragen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks hintenan gestellt werden.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird durch den Rundfunkbeitrag finanziert, den jeder Haushalt bezahlen muss. Er beträgt zurzeit 18,36 Euro im Monat.

Der Rundfunkbeitrag

weitere Videos

    Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.