Berlin. Die richtige App in der Smart-Watch – und es wird leichter, alles richtig zu machen. Es sei denn, es klopft das Herz einer Rebellin.

Neuerdings trage ich eine Armbanduhr, die bimmelt, wenn mich jemand auf dem Smartphone anruft. Und wenn ich flott zum Bäcker morgens gehe, fragt sie mich, ob ich trainiere und sie das als Workout aufzeichnen soll.

Nachmittags, wenn ich festgeklebt auf meinem Schreibtischstuhl vor dem großen Bildschirm sitze, fordert sie mich regelmäßig dazu auf, mich hinzustellen. Umherzugehen. Und dann, wenn ich eigentlich richtig mit mir im Reinen bin, weil ich zwischendurch Zeit für eine Jogging-Runde hatte, will sie auch noch, dass ich Achtsamkeit übe, in mich gehe. Dabei hat sie mich doch kurz nach dem Aufstehen für meine Yoga-Session gelobt.

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Meine Kinder finden die Uhr bescheuert. Mein Gatte auch. Aber sie haben meinem Wunsch nachgegeben und sie mir zum Geburtstag geschenkt. Und nun, nach ein paar Wochen, bin ich vertraut mit ihr. Ich weiß, was sie kann. Dass sie kontrolliert und ständig etwas will. Dass sie erinnert, mahnt, fordert.

„Du kannst damit doch gar nicht abschalten“, sagt der altkluge Sohn. „Du brauchst auch mal Ruhe“, sagt der fürsorgliche Gatte. „Du reagierst trotzdem nicht auf meine WhatsApp-Nachrichten“, meckert die Teenie-Tochter. Nur die große Tochter findet wie ich, dass sie supercool aussieht.

Brigitta Stauber schreibt in ihrer Kolumne über Frauen, Familie und Gesellschaft.
Brigitta Stauber schreibt in ihrer Kolumne über Frauen, Familie und Gesellschaft. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Glatt und schwarz ist das Gehäuse, die Kanten abgerundet, das klassische Zifferblatt, das ich mir eingestellt habe, leuchtet, das grüne, plastikweiche Armband ist in seiner Schlichtheit die organische Erweiterung des Gehäuses. Die Uhrzeit ist immer richtig, und sie bleibt nie stehen. Wenn überhaupt, dann geht sie aus, doch kurz abgelegt auf dem magnetischen Knopf, der am Stromkabel hängt, erholt sie sich schnell.

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Gendern, aber richtig: Da könnte mich die Uhr ja drauf hinweisen

Ich sage es mal so: Die Uhr ist schön. Sie hilft mir dabei, mich zu optimieren. Genug Schlaf zu bekommen, nicht zu viel Stress zu haben, die Work-Life-Balance zu finden. Insgesamt achtsam zu sein. Vielleicht sondert sie demnächst auch einen Warnton ab, wenn ich aus Versehen aus meiner Sozialisation einer weißen Wessi-Frau meine Achtsamkeit verliere gegenüber denen, die zum Beispiel zuerst in Amerika gewohnt haben.

Indianer ist auf dem Index, klar, aber neuerdings auch Ureinwohner, weil es die in Europa nicht gibt. Oder wenn ich aus Versehen von Studenten spreche, Ärzten und Lehrern, statt irgendein Binnen-I oder * mit einer kurzen Glottis-Pause hinten im Gaumen zu markieren.

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Soweit ist die Uhr noch nicht. Sie hat auch andere Macken: Da empfiehlt mir meine Yoga-App, die in die Uhr integriert ist, heute eine Avocado-Bowl auf Naturreis mit rohem Thunfisch. Soll gut sein in Kombination mit meinem Beach-Body-Programm. Aber, hallo? Avocado, diese Wassermassen verschlingende Frucht vom anderen Ende der Welt? Und Thunfisch, dessen Fang das ganze Ökosystem Meer bedroht?

Reis, dessen Anbau ebenfalls viel zu viel Wasser verbraucht? Die Uhr muss noch lernen, sie muss die Apps in Kommunikation zueinander treten lassen, damit Avocado durch Walnuss ersetzt wird und der Naturreis durch die Pellkartoffel.

Klimaschutz: Bedeutet das, auf Rindfleisch zu verzichten?

Richtig optimiert, würde mir die Uhr sagen: Rindfleisch geht gar nicht – aus Klimaschutz-Gründen. Und Schweinefleisch nicht aus Respekt vor Juden und Moslems. Fisch ist ohnehin auf dem Index. Rotwein ist erlaubt, sofern es bei einem halben Glas bleibt. Bier macht dick. Drogen sind verboten. Und weiter: Ich soll nicht die Haare färben (Gift!), dafür jeden Tag 10.000 Schritte gehen und Krafttraining machen.

Ich soll Bücher lesen statt Serien schauen. Ich soll Vollzeit arbeiten, meine Karriere voranbringen, aber mit Achtsamkeit. Kurz: Ich soll im Hamsterrad rennen, aber mich dabei nicht überanstrengen.

Meine liebe Kollegin übrigens isst gerade neben mir einen Pfirsich aus dem Obstkorb für die Redaktion. Den Kern wirft sie einfach in den Papierkorb. Sie lacht und erzählt, dass sie schon mal einen Teller und eine Tasse im Park beim Kitafest in den Mülleimer warf, um nicht die ganze Zeit das ungespülte Porzellan schleppen zu müssen.

Ich lösche die Apps in meiner Uhr und streichele das schöne Design. Wer will schon immer alles richtig machen – und dann aus lauter Achtsamkeit im Burn-out landen?

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