Peking. Früher „Null Covid“-Bastion, jetzt Corona-Hotspot: Chinas Wende in der Pandemie führt zu dramatischen Szenen vor den Notaufnahmen.

Wenn einige Medien die Corona-Welle in China als „wütenden Tsunami“ umschreiben, dann ist dies keineswegs eine Übertreibung: In den Krankenhäusern von Peking über Chengdu bis nach Guangzhou müssen bereits etliche Ärztinnen und Ärzte trotz Corona-Infektion zur Arbeit gehen, um den Betrieb aufrechthalten zu können.

Doch auch das kann nicht verhindern, dass die Leute vor den Notaufnahmen mehrere Stunden auf Einlass warten müssen. In Wuhan ist die Situation derart prekär, dass ein Krankenhaus ihren Patienten intravenöse Infusionen im geparkten Auto am Straßenrand verabreicht.

Insbesondere in Peking zeigt sich, wie unvorbereitet und hastig die Regierung die Öffnung des Landes eingeleitet hat: Die zuvor letzte Null-Covid-Bastion hat sich in nur wenigen Tagen zum weltweit größten Corona-Hotspot entwickelt.

Corona: Die Hälfte der Angestellten ist krank

Die Angestellte eines Staatsunternehmens im Stadtzentrum berichtet, dass in ihrer Abteilung derzeit über die Hälfte ihrer Kollegen an Corona-Symptomen leiden. Ein ausländischer Rechtsanwalt bestätigt: In seiner Kanzlei sei mindestens ein Drittel des Personals entweder positiv oder hat einen Covid-Fall im Haushalt. Die Logistik wird zwar weiterhin von den Lieferkurieren auf ihren bunten E-Scootern am Laufen gehalten, doch auch das könnte bald kippen. Zu viele Lieferkuriere liegen Corona-bedingt im Krankenbett.

Doch neben einer tiefen Verunsicherung macht sich auch ein Gefühl des Aufatmens unter vielen Chinesen breit: Nachdem die Regierung bereits zu Beginn des Monats ihre rigiden Lockdown-Maßnahmen aufgegeben hat, verabschiedet sie sich nun auch noch von der sogenannten „Reise-App“.

Schwachstellen der Regierung treten offen zutage

Die App hat per Mobilfunk-Daten ermittelt, ob sich der Nutzer in den vergangenen zwei Wochen in einem Hochrisikogebiet aufgehalten hat. Jeder im Land musste sie verpflichtend vorzeigen, um Zugang zu Hotels, Bahnhöfen oder Regierungsveranstaltungen zu bekommen. Nun können die Chinesen in ihrem Land wieder ohne Angst vor Zwangsquarantäne andere Provinzen besuchen.

Die Causa China zeigt nicht nur, dass es aufgrund der hochinfektiösen Omikron-Variante wohl keine reibungslose Öffnung geben kann. Doch der Vergleich mit Taiwan und Südkorea legt zumindest nahe, dass die Behörden durch vorbereitende Maßnahmen und sukzessive Lockerungen das Allerschlimmste abwenden können. In der Volksrepublik treten die Schwachstellen der Regierung dagegen offen zutage.

Hunderttausende Chinesen werden an dem Virus sterben

Erst jetzt, Monate zu spät, kurbeln die Staatsunternehmen die Produktion von hochwertigen Schutzmasken an – bislang waren vorwiegend einfache OP-Masken üblich. Auch Antigen-Tests und fiebersenkende Medikamente sind Mangelware. Und dass das Land ausländische mRNA-Vakzine zulässt, ist nicht absehbar. Dabei könnten diese den Tod vieler Menschen verhindern, denn bei den über 80-Jährigen liegt die Booster-Rate bei 40 Prozent.

Die politischen Folgen der überhasteten Öffnung könnten auch für Parteivorsitzenden Xi Jinping eine massive Herausforderung darstellen. In den nächsten Wochen und Monaten werden wohl auch nach konservativen Schätzungen hunderttausende Menschen an dem Virus sterben, ohne dass diese mutmaßlich in den offiziellen Zahlen auftauchen werden. „Wir werden einen vollständigen Bankrott des Vertrauens in die kommunistische Partei erleben“, kommentiert Desmond Shum, Immobilienentwickler und Regime-Kritiker im Londoner Exil, auf Twitter.