Berlin. Zur Fußball-WM in Katar ist eigentlich alles gesagt. Nun hofft unsere Kolumnistin, dass sie richtig gut wird – und hat fünf Wünsche.

Es ist so ein Gefühl zwischen totaler Empörung, ein wenig Ekel und auch einer großen Portion Faszination, das mich gefangen nimmt, wenn ich über die WM nachdenke. Wenn ich Katar höre – und Fußball.

Ich möchte mich dem eigentlich entziehen, aber ich spüre gleichzeitig den ganz dringenden Wunsch, dorthin zu reisen. Zu den ganz Reichen. Dem ganz Fremden. Ich will staunen und schaudern. Diese Kunstwelt erleben, wo italienisches Kopfsteinpflaster europäisches Flair bringen soll.

Und diese schrecklich sauberen Fassaden, in die so viel Arbeiterblut eingesickert ist. Ich will die Reichen sehen, die ihre Frauen als gut verpackte Süßigkeit präsentieren, sie mit Luis-Vuitton-Taschen ausstatten und sie zur Universität lassen. Danach gründen sie Start-ups. Habe ich alles gelesen.

Fußball-WM: Katar ist homophob? Mein schwuler Bekannter sieht das anders

Und ich weiß aus Erzählungen, dass alles möglich ist. Doha, sagte ein offenherziger schwuler Bekannter neulich zu mir, sei die schönste Stadt der Welt. Wie ausgerechnet er das sagen könne, so homophob, wie der kleine Staat und seine Gesellschaft seien? "Ich hatte da den besten Sex meines Lebens."

Funke-Kolumnistin Birgitta Stauber schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft.
Funke-Kolumnistin Birgitta Stauber schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Aha, dachte ich. So wird das auch mit dem Alkohol sein: An der Oberfläche verboten, dann aber umso exzessiver konsumiert. Insofern, liebe Fans, die ihr bald in klimatisierten Stadien eure Jungs anfeuert: Da wird schon was gehen in Sachen Bier. Womöglich nicht nur in der VIP-Lounge. Oder Gin später im Hotel. Sauvignon Blanc an der Bar. Und ganz bestimmt gibt es irgendwo auch den Grand Cru aus der Bourgogne für den deutlich dreistelligen Euro-Betrag, dazu ein Horsd’œvre, sagen wir, getrüffelten Kaviar mit Goldstaub.

Doha: So unwirklich wie tausendundeine Nacht

Reich, dekadent, künstlich, verlogen, korrupt, grausam – kurz: so unwirklich wie tausendundeine Nacht präsentiert sich der kleine Golfstaat, in den nun die wabernde Fanmasse aus aller Welt einfällt. Sie haben es ja nicht anders gewollt, die Katarer.

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Und genau darin sehe ich die große Chance, dass die WM vielleicht doch noch ein Erfolg wird für die internationale Gemeinschaft. Genau in diese Richtung gehen meine Wünsche für die kommenden vier Wochen, in denen Fußball fast die komplette Adventszeit begleitet.

Wunsch eins: Die WM soll friedlich werden – nicht nur während der Spiele, sondern auch davor, danach und dazwischen, wenn zum Beispiel frustrierte Argentinier auf feiernde Franzosen treffen (oder umgekehrt). Das gilt übrigens nicht nur für den Austragungsort, sondern für alle Plätze weltweit, wo Fußball geguckt wird – und Ergebnisse zu Freude oder Frust führen. Lesen Sie auch: Merz – Deutsche Fans müssen sich an Gesetze in Katar halten

Wunsch zwei: Es soll sich ein Gefühl der Toleranz breit machen. Da rufen die Hardcore-Fans nach Bier, obwohl sie sich schon im Frühherbst auf dem Oktoberfest ausgetobt haben? Da feiert eine ausgelassene Frauengruppe den besonderen wie auch peinlichen Junggesellinnenabschied? Da trifft eine fröhlich-bunte LGBTQ+-Community auf strenge Einheimische? Ich empfehle, so viel Englisch werden alle Reisenden verstehen: inhale, exhale.

Die WM in Katar ist auch die Plattform für den Protest gegen die Mullahs im Iran

Wunsch drei: Frauen. Leben. Freiheit: Die WM soll ein Zeichen werden für die Menschen im benachbarten Iran. Sardar Azmoun, der bei Bayer Leverkusen der Superstar ist, riskierte mit seiner Kritik am Mullah-Regime von seinem Heimatland von der WM ausgeschlossen zu werden. Doch sein Nationaltrainer setzte sich für ihn ein – nun wird er hoffentlich mächtig gefeiert in den Stadien von Katar, ganz egal, wie viele Tore er schießt. Vielleicht schafft er es, dass sich weibliche Fans aus Iran, aus Katar, aus anderen muslimischen Ländern ihre Kopftücher vom Kopf reißen und sich den Wüstenwind durch ihr offenes Haar wehen lassen. Lesen Sie auch den Kommentar: Ich schaue die WM. Und Sie?

Wunsch vier: Katar zeigt sich weltoffener, als es eigentlich ist. Und das hat Auswirkungen auf die Zukunft. Wenn es zum Beispiel um die Lieferung von Flüssiggas geht, das wir wahrscheinlich brauchen. Wenn deutsche Minister nicht nur über Lieferzeiträume verhandeln, sondern auch über Menschenrechte. Ist abgedroschen, aber vielleicht kommt es ja zu Wandel durch Handel.

Wunsch fünf: Und zum Schluss, ganz klar, möchte ich, dass das Fußballjahr 2022 künftig in einem Atemzug genannt wird mit den Fußballjahren 1954, 1974, 1990 und 2014. Warum, muss ich nicht erklären.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.