Canterbury. Erstmals soll eine komplette Elefantenherde von England nach Kenia ausgewildert werden. Einige Experten kritisieren jedoch die Aktion.

Tammi ist 34 und alleinerziehende Dreifach-Mutter. Ihre Zeit verbringt sie gern mal alleine. Wenn ihr Nachwuchs in Schwierigkeiten gerät, ist sie jedoch sofort zur Stelle. Sie und ihre 13-köpfige Großfamilie leben inmitten der sattgrünen englischen Landschaft auf 3,7 Hektar. Doch sie sind Gefangene von Geburt an. Tiefe Gräben begrenzen ihren Lebensraum.

Die Matriarchin ist die Älteste in Großbritanniens größter Zuchtherde an Afrikanischen Elefanten, wohnhaft im Privatzoo Howletts Wild Animal Park bei Canterbury. Demnächst allerdings geht es aus der Grafschaft Kent nach Kenia: In einer spektakulären Auswilderungsaktion soll die komplette Herde in die Freiheit der afrikanischen Savanne entlassen werden.

Elefanten: Zoo spricht stolz von „Weltpremiere“

Bei dem Vorhaben handele es sich um eine „Weltpremiere“, verkündete die zooeigene Tierschutzorganisation Aspinall stolz. „Es ist das erste Mal, dass eine komplette Herde ausgewildert wird. Eine Aktion dieses Ausmaßes gab es noch nie.“ Kommunikationschefin von Aspinall ist die Ehefrau des britischen Premierministers Boris Johnson, Carrie Johnson. Die Elefantenreise gilt als das Prestigeprojekt der ehrgeizigen 33-Jährigen, die sich als „leidenschaftliche Tierrechtlerin“ bezeichnet.

PR-Expertin und Tierrechtlerin Carrie Johnson.
PR-Expertin und Tierrechtlerin Carrie Johnson. © picture alliance/AP Photo | Kirsty Wigglesworth

Der 7000 Kilometer lange Transport im Flugzeug ist für kommendes Jahr geplant. 25 Tonnen wiegt die Herde insgesamt. Das jüngste Tier, Nguvu, wurde im März 2020 geboren. In Kenia dann sollen die Tiere sechs Monate in einem Gehege an die neue Umgebung gewöhnt werden. „Nach Jahren des Abwägens der Vorteile und der Risiken haben wir uns für diese beispiellose Auswilderung entschieden“, jubeln Vereinspräsident Damian Aspinall, Sohn des illustren wie umstrittenen Zoogründers John Aspinall, und Carrie Johnson in der britischen Presse.

Tierschützer hoffen auf Hunderte Nachfahren

Rund 350.000 wilde Elefanten leben in Afrika, 30 Prozent weniger als noch vor 15 Jahren. Die Art gilt als gefährdet. Also hofft man, dass Tammi und ihr Clan sich auch in der Wildnis als fruchtbar erweisen. Johnson rechnet in einigen Jahren mit Hunderten Nachfahren. „Die meisten Besucher erwarten im Zoo Elefanten“, so ein Sprecher zur Zeitung „The Times“. Man gehe daher ein finanzielles Risiko ein, doch das sei wichtig und richtig. Teilfinanziert werden soll die Ausreise durch Spenden. Die Aspinell Foundation wünscht sich, dass andere Zoos dem Beispiel aus Kent folgen.

Die Luft wird ohnehin dünner für die Dickhäuter in Großbritannien: Die konservative Regierung erwägt, die Elefantenhaltung in Zoos und Safariparks zu verbieten. Die 51 Tiere in 11 Einrichtungen will man auf natürliche Weise sterben lassen, ohne dass sie sich fortpflanzen. Tierschützer sind überzeugt, dass eine artgerechte Haltung der wanderfreudigen Riesen nicht möglich ist. Klingt nach einer Rückkehr ins nie gekannte Paradies ihrer Ahnen für Tammi und ihre Familie.

Elefantenexpertin spricht von „PR-Gag“

Es ist ein Paradies mit Tücken. Die Wild- und Zootierärztin Imke Lüders von der Veterinär-Organisation Geolifes sieht die Elefantenreise als „PR-Gag“, der böse Folgen für die Tiere haben könnte. „Der Howletts Animal Park hat viel versäumt in puncto Elefantenhaltung“, sagt sie. Sie spricht von Missmanagement und vielen toten Tieren.

Aus der Organisation EAZA, welche die Zucht von Zootieren in Europa koordiniert, sei der Park daher rausgeflogen. Auch gibt es derzeit eine Untersuchung wegen des Verdachts, dass Spendengelder veruntreut wurden. „Nun wollen sie eine Medienkampagne, um davon abzulenken“, so die Elefantenexpertin. „Es hört sich für die Öffentlichkeit immer gut an, wenn man ,arme Zootiere‘ freilässt. Sie sind jedoch nicht an das Klima, die Krankheiten oder das Futter in Afrika gewöhnt. Und: Sie haben keine natürliche Scheu vor Menschen.“ Das macht sie zum leichten Opfer für Wilderer.

Geld und Zeit könnten anders investiert werden

Die ganze Aktion kostet enorm viel Geld und Zeit. „Beides könnte besser in den Schutz bereits wildlebender Tiere verwendet werden“, ist Lüders überzeugt. Die Aktion verschärfe auch das grundsätzliche Problem: Platzmangel. „Die Bevölkerung Afrikas wächst, sodass der Lebensraum für Elefanten schwindet.“

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    Für die genetische Vielfalt einer erfolgreichen Zoozucht komme es aber auf jedes Individuum an. Was es bedeutet, wenn es von einer Art keine Zootiere mehr gibt, zeige sich am Beispiel des Nördlichen Spitzmaulnashorns: „Jetzt fliegen deutsche Forscher zu den letzten beiden Exemplaren nach Afrika, entnehmen Eizellen und lassen die in Italien befruchten.“ Der Howletts-Park verweist jedoch auf seine erfolgreichen Auswilderungen von Gorillas. Man arbeite eng mit Wildhütern zusammen, die Wilderer abhalten sollen. Den Rest würden die Elefanten selbst erledigen: „Sie werden einander beschützen.“

    In Kenia fühlt man sich von den Briten überrumpelt. Das Tourismus- und Tierschutz-Ministerium erklärte, es habe die Pläne der Aspinall-Stiftung „mit Besorgnis“ zur Kenntnis genommen. Man sei nicht „kontaktiert oder konsultiert“ worden.