Berlin. Früher war alles besser? Die Schulzeit auf jeden Fall. Heute geht es um nichts anderes als Noten findet Kolumnistin Birgitta Stauber.

Meine Schulzeit in der Oberstufe habe ich in guter Erinnerung: Ich hatte eine Menge Spaß am Drumherum, den heimlichen Zigaretten in der Pausenhof-Ecke, den Sportstunden, in denen es mir in der Leichtathletikhalle gelang, mich hinter der großen Matte für den Hochsprung zu verstecken, statt mir beim Hürdenlauf die Schienbeine anzuschlagen.

Im Sozialwissenschaften-Unterricht versuchte ich, meine ultra-linke Lehrerin mit Beispielen aus Konsalik-Schundromanen vom Unsinn der Planwirtschaft zu überzeugen. Das Beste aber war meine Freundin Claudi: Ich brauchte mit ihr nur einen Blick auszutauschen, und wir gingen am Schulgebäude vorbei in Richtung Café, statt uns im Französisch-Unterricht durch den Existenzialismus von Sartre und Camus zu quälen.

Das Bayern-Angeber-Abi hat mich früher schon genervt

Lernstress? Noten? Vorbereitung aufs Abitur? Spielte in meiner Oberstufe keine Rolle. Es war eine einzige Party, die damit endete, dass ich mir mein mäßiges Abiturzeugnis im Sekretariat abholte.

Heute ist es andersrum: Unser Teenagerkind ist rund um die Uhr mit der Schule beschäftigt, kämpft für jeden Punkt, immer die Abinote vor Augen – um dann mit einem rauschenden Ball die Schulzeit prunkvoll zu verabschieden.

„Du hast ja nur ein NRW-Pudding-Abitur“, schnauft der Gatte verächtlich, als ich mich ein wenig über den Eifer mokiere. Er ist stolz auf sein Bayern-Abitur mit der 1 vor dem Komma. Ich habe noch nicht mal eine Zwei. Aber Französisch-Leistungskurs.

Lernen, lernen, lernen, so ticken die Abiturientinnen und Abiturienten heute. Oder nicht?
Lernen, lernen, lernen, so ticken die Abiturientinnen und Abiturienten heute. Oder nicht? © imago images | Alice Mollon

Englisch-Leistungskurs ohne Shakespeare – undenkbar!

Überhaupt, sage ich. Damals war alles schwerer. Der Englisch-LK habe Shakespeare gelesen. Liest du König Lear, frage ich das Teenagerkind. Es zieht ein Lektüre-Heft raus: „An Inspector Calls“. Ich bekomme einen Lachanfall: Das hatte ich in der Mittelstufe gelesen, als ich einen Englisch-Aufbaukurs und Hauswirtschaft gewählt hatte.

Ja, Hauswirtschaft. Wir lernten kochen, putzen und Ernährungslehre. Statt Kunst hatten wir Textiles Gestalten, deswegen kann ich stricken, häkeln, sticken und nähen. Die Schule nahm dies sehr ernst, war ja eine Mädchenschule, katholisch, 20 Prozent der Lehrerinnen waren Nonnen.

Kirchenlieder, Hauswirtschaft, Handarbeit – so war mein Schulalltag

Wir begannen jeden Schultag mit einem Kirchenlied. Und der wöchentliche Gottesdienst war schwerer zu schwänzen als der Matheunterricht.

Aber Matheklausur war Matheklausur. Und in Chemie war ich so schwach, dass mir der verhasste Fachlehrer zuraunte, ich werde mein Abitur niemals schaffen.

Arthur Miller liest das Kind – auch gut

Kolumnistin Birgitta Stauber muss sich von ihren Kindern als Boomer bezeichnen lassen.
Kolumnistin Birgitta Stauber muss sich von ihren Kindern als Boomer bezeichnen lassen. © Reto Klar | Reto Klar

Bald lesen wir Arthur Miller, sagt das Teenagerkind, um von der Mittelstufen-Lektüre abzulenken. Das US-Nachkriegsdrama „All My Sons“. Da wir in diesen Pandemiezeiten abends nichts Besseres vorhaben, diskutieren wir über die Kriegsfolgen für Soldaten. Über Gehorsam, Schuld, Feigheit.

Die Studententochter fordert, wir mögen bitte englisch sprechen. Das Kind folgt ohne Scheu mit einer Super-Aussprache und macht sich über meine Grammatikfehler und meinen deutschen Akzent lustig. „Ihr Boomer könnt alle kein Englisch“, sagt es. Ich verkneife mir zu erwidern, dass ich die Generation Z für Lernmaschinen halte, die spießig ihre Gummibäume pflegen und Sukkulenten züchten.

Es ist Pandemie – da gibt es keine Partys, die vom Lernen abhalten

Klar ist das ungerecht, schließlich haben wir Pandemie, welche Party soll die Kids da von der Schule ablenken? Ich will das Kind ja nicht demotivieren. Und sich zu brüsten, wie cool man durch die Schulzeit gerauscht sei, ist ja tatsächlich keine Leistung.

Zum stolzen Gatten mit dem Bayern-Abitur sage ich: Das ist nichts gegen das, was die Kinder in der Corona-Schule leisten. So allein einem willkürlichen Unterricht ausgesetzt, immer von Infektion und Quarantäne bedroht, ein vermummter und distanzierter Schulalltag mit nervösen Lehrerinnen und Lehrern.

Die Corona-Abiturienten sind etwas Besonderes. Eure Generation kann stolz darauf sein. Das sage ich als Boomer-Mutter mit meinem Pudding-Abitur.

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