Stockholm. In Helsinkis Untergrund gibt es Geschäfte, eine Kirche und ein Schwimmbad. Damit nicht genug: Im Jahr 2020 wird kräftig ausgebaut.

Null Grad, leichter Schneefall, ein eisiger Wind. Helsinki lädt derzeit nicht zu einem Stadtbummel ein. Doch es gibt ja „Helsinki undergound“. Damit ist nicht die Clubszene gemeint, sondern die Stadt unter der finnischen Hauptstadt. 13 Quadratkilometer misst sie, sie reicht bis zu vier Stockwerke tief 100 Meter unter die Erde.

Es existiert eine Kirche ohne Kirchturm, dafür mit höhlenartigen Granitdecken, kilometerlange, plastikbepflanzte Shoppingmeilen, Kinos, eine Eishockeyhalle, ein Schwimmbad, Saunen. Auch das Amos-Rex-Museum für Moderne Kunst, das einfach keinen ausreichenden Platz mehr in seinem zentral gelegenen überirdischen Altbau fand, liegt nun im Schattenreich. Damit das alles nicht zu schattig wirkt, haben Architekten zusammen mit Psychologen eine Beleuchtung entwickelt, die an Sonnenlicht erinnert.

Helsinkis unterirdische Stadt bekommt Fahrradwege

Und es wird weiter gegraben und gesprengt: Die unterirdische Stadt breitet sich aus, nicht nur an den Rändern, sondern auch in die Tiefe. „Nächstes Jahr legen wir Fahrradwege an“, sagt Ilkka Vähäaho, Chef des städtischen Grundamtes, unserer Redaktion. In Zukunft soll auch ein Großstadion für den Nationalsport Eishockey und Konzerte entstehen.

Auch öffentliche Verkehrsmittel verlagern sich in die Tiefe: Es sind neue Bahnhöfe und Bahnstrecken geplant, die durch einen 100 Kilometer langen Meerestunnel bis hin ins estnische Tallinn führen sollen.

Der ursprüngliche Teil stammt aus den 70er- und 80er-Jahren, aus der Zeit des Kalten Krieges, als Finnland sich bemühte, gegenüber dem Nachbarn Sowjetunion Neutralität zu bewahren. Bis heute hat jeder Finne im Kriegs- oder Krisenfall ein Recht auf einen Luftschutzbunkerplatz.

Hintergrund: Ende des INF-Vertrags – droht ein neues atomares Wettrüsten?

Das unterirdische Helsinki könnte gegenwärtig bis zu 700.000 Menschen über einen längeren Zeitraum Schutz und Versorgung bieten – das sind mehr als die 630.000 Einwohner, die Helsinki heute hat. Der ehemalige Atombunker verfügt noch immer über meterdicke Doppeltüren und kann innerhalb von 72 Stunden wieder zum Schutzraum für 3800 Menschen werden.

Granitstein ist stabil, kostengünstig und klimafreundlich

Gebaut wird im großen Stil mit staatlichen und privaten Mitteln. „Helsinki steht auf uraltem Granitgestein. Das ist sehr stabil und lässt sich relativ kostengünstig und gezielt aushöhlen“, sagt Stadtplaner Vähäaho und betont, dass die unterirdische Stadt klimafreundlich sei: „Einmal auf eine bestimmte Temperatur erhitzt, wirkt das Gestein auch isolierend. Die Erdwärme hält die Heizkosten niedrig.“

Vieles bleibt für Bewohner und Touristen verborgen. So liegen dort die im Kriegsfall besonders schützenswerten Energie-, Fernwärme- und Luftkühlungsanlagen. Auch die nationalen Archive, Rechenzentren, wichtige Institutionen wie die Behörde für Chemikalien sowie ein See mit 35 Millionen Litern Kühl- und Trinkwasser befinden sich im Untergrund.

An der Schwimmbad-Kasse sitzt Tarja. Ob ihr nicht manchmal das Sonnenlicht fehlt? „Hm. Ja, schon“; sagt die 57-Jährige. „Aber wissen Sie: In Finnland gibt es das halbe Jahr über eh nicht so viel Licht. Da stapft man dann nur zusammengekauert mit Blick nach unten herum. Und im Sommer ist es schön kühl hier in den Tunneln.“

Unterirdische Städte scheinen ein Trend zu sein. Auch in Kanada gibt es so etwas: Toronto im Winter: Umsonst Eislaufen und deftige Poutine. In Israel erfüllt der neue Untergrund hingegen einen anderen Zweck: Jerusalem errichtete eine unterirdische Stadt für die Toten.