Höxter. Der Schock über die „Horrorhaus“-Taten von Höxter sitzt tief. Die Angeklagten wurden am Freitag zu über zehn Jahren Haft verurteilt.
Im Mordprozess um das sogenannte Horrorhaus von Höxter hat das Landgericht in Paderborn am Freitag das Urteil im Mordprozess gesprochen: Der Angeklagte Wilfried W. muss für 11 Jahre ins Gefängnis, seine Ex-Frau und ebenfalls angeklagte Angelika W. erhielt eine Haftstrafe von 13 Jahren.
Das Gericht ist damit den Forderungen von Staatsanwaltschaft und Nebenklägern nicht gefolgt. Diese hatten eine lebenslange Haft gefordert. Der 48-jährige Wilfried W. soll in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden.
Bei Angelika W. habe die Kammer von einer lebenslangen Haft abgesehen, weil sie umfassend ausgesagt und zur Aufklärung beigetragen habe. Wilfried W. sei vermindert schuldfähig, so dass eine lebenslange Freiheitsstrafe nicht infrage komme, sagte der Vorsitzende Richter. Die Kammer urteilte auf Mord durch Unterlassen.
Mitgefangener wurde am letzten Prozesstag angehört
Ein Mitgefangener der Angeklagten war vor der Urteilsverkündung als letzter Zeuge gehört worden. Wie die „Neue Westfälische“ („NW“) berichtet, ging es um ein Gespräch zwischen den beiden Angeklagten Wilfried W. und Angelika W. während eines Gefangenentransports. Die Befragung des Mannes sollte darüber Aufschluss geben, ob Angelika W. im bisherigen Prozessverlauf glaubwürdig war. Doch der Zeuge konnte laut „Neue Westfälische“ nichts zu dem Sachverhalt beitragen.
Fall Höxter: Mord-Angeklagte vor Gericht
Wilfried W. sagte am letzten Verhandlungstag: „Ich wusste nicht, was richtig oder falsch ist. Deswegen wäre eine Therapie gar nicht so schlecht.“ In Bezug auf seine Ex-Frau fügte er hinzu: „Zu Angelika habe ich keine Worte mehr – mit ihren Lügen. Ich kann nur sagen, da ist nichts dran.“ Auch Angelika W. kam noch einmal zu Wort: „Ich möchte mich in aller Form bei allen Frauen entschuldigen, denen ich Leid angetan habe“, sagte sie.
Wie gelang es den beiden Angeklagten, immer wieder Frauen in ihr Haus zu locken? Warum konnten sich so viele der Opfer nicht von Wilfried W. (48) und Angelika W. (49) lösen, geschweige denn zur Polizei gehen? Was führte zum Tod der beiden Frauen, die das Martyrium nicht überlebten?
Detlev Binder, Anwalt des Angeklagten, spricht von einem doppelten Tabubruch, der für den großen Schock sorgte: „Tabu 1: Man quält keine Menschen. Tabu 2: Frauen quälen keine Frauen. Und die Nachrichten aus dem Haus in Höxter haben sich potenziert. Das konnte sich in diesem Ausmaß niemand vorstellen“, sagt der Anwalt am Rande des Prozesses kurz vor seinem Plädoyer im September. Das Geschehen widerspreche „jeder Grunderziehung in unserer Gesellschaft“, betont der Jurist.
Mordprozess Höxter: Urteil wird gesprochen
Bisher äußerten sich alle Prozessbeteiligten weitestgehend fassungslos über das Geschehen in Höxter. So nannte Peter Wüller, Verteidiger von Angelika W., die Taten eine systematische Entmenschlichung der Frauen. Die Opfer seien schlechter als Vieh behandelt worden. „Das war abartig, krank. Da schauert es einem“, sagte der Anwalt in seinem Plädoyer.
Er fordert einen Freispruch für seine Mandantin. Die Vorwürfe, zweifacher Mord durch Unterlassen und versuchter Mord, seien nicht haltbar. Die Staatsanwaltschaft hat lebenslange Haftstrafen für die beiden Angeklagten Wilfried W. und Angelika W. sowie die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld gefordert.
Nach Ansicht von Binder hat sich aber der Blick auf die Angeklagten in dem Prozess verändert: „Einer ist der Böse. Wilfried hält sich Frauen, um sie zu quälen. Am Anfang sahen alle Angelika als Opfer. Dann kippte die Stimmung, nachdem sich die Angeklagte über Tage selbst äußerte“, meint Binder. „Da waren plötzlich beide gleichberechtigt“, sagt er.
Dann folgte im Prozess eine lange Phase der Ungewissheit. Das Gericht musste den Gutachter für Wilfried W. wegen dessen Krankheit von der Aufgabe entbinden. Der Psychiater hatte sich zuvor in Widersprüche verwickelt. Für ihn sprang die Gutachterin ein, die auch die Angeklagte Angelika W. untersucht hatte. Aber sie brauchte für ihre zusätzliche Aufgabe Zeit.
Monate vergingen, im Prozess entstand aus Sicht von Beobachtern Leerlauf. Am Ende, an diesem Freitag, werden 60 Verhandlungstage im Kalender stehen. Viele waren aber wegen der Strafprozessordnung reine Überbrückungstermine ohne Erkenntnisgewinn.
Wilfried W. gilt als vermindert schuldfähig
Dann der Paukenschlag. Im Prozess hatten sich Angelika W. und ihr Ex-Mann immer wieder gegenseitig beschuldigt, für die Taten in ihrem Haus in Höxter verantwortlich zu sein. Die forensische Gutachterin Nahlah Saimeh löste das Rätsel auf.
Nach ihrer Analyse hatte das Paar über 16 Jahre ihrer Beziehung ein perfektes System entwickelt, um Frauen in die Falle zu locken. Angelika W. hat demnach Züge von Autismus und kann kein Mitleid für ihre Mitmenschen oder Opfer empfinden. Sexualität setze sie als Machtinstrument ein. Sie sei hochintelligent und extrem herrsch- und machtbewusst. Das zeigte sie immer wieder auch im Prozess, in dem sie nach ihren Regeln spielen lassen wollte.
Wilfried W. dagegen ist der Gutachterin zufolge im juristischen Sinne schwachsinnig. Seine Weltsicht sei vergleichbar mit der eines Grundschulkindes. Er sei ständig auf der Suche nach Frauen für die große Liebe. Allerdings wisse er nicht, was das eigentlich bedeutet. „Schuld oder Verantwortung sind ihm nicht beizubringen“, sagte die Gutachterin in ihrer Stellungnahme.
Wilfried W. sei nur vermindert schuldfähig und sollte in eine Psychiatrie eingewiesen werden. Erst beide zusammen hätten das System ermöglicht. Ohne den jeweils anderen hätten die Misshandlungen in Höxter nicht funktioniert, sagte Saimeh.
Frauen durch Gaslighting gefügig gemacht
Was genau war dieses System? Angelika W. und Wilfried W. suchten sich meist Frauen aus, die psychisch labil waren und nur wenige soziale Kontakte hatten, wie im Prozess deutlich wurde. Meldeten sich Frauen per Kontaktanzeige, auf die das nicht zutraf, wurden diese Kontakte schnell beendet.
Die Opfer, die blieben, wurden durch sogenanntes Gaslighting gefügig gemacht. Sie wurden gezielt desorientiert, manipuliert und ihres Selbstbewusstseins beraubt. Angelika W. und Wilfried W. nahmen den Frauen demnach Geld, Handy oder Führerschein ab. Gab es noch Kontakte zu der Familie oder Freunden, wurden diese beispielsweise durch gefälschte SMS-Nachrichten torpediert und dann gekappt.
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Opferanwalt Roland Weber zweifelt aber an einer verminderten Schuldfähigkeit von Wilfried W. Er verweist darauf, dass Wilfried W. bereits 1996 zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt wurde – wegen Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Nötigung. Wilfried hatte zusammen mit einer Komplizin seine damalige Ehefrau misshandelt und gequält. Ein Psychiater hatte ihn damals aber nicht untersucht.
Susanne F. starb im Krankenhaus
Für Verteidiger Binder aber ist die psychiatrische Einordnung der Taten der Schlüssel für alle Fragen. „Mit der Gutachterin hat endlich jemand aufgezeigt, was auf der Hand liegt“, sagt Binder über das Verhalten seines Mandanten.
Wilfried W. sei unglaublich naiv. Er plappere nur Dinge nach, „auch mir als Verteidiger“, verdeutlicht Binder. Er habe mit Kollegen den Angeklagten etwa 100 Mal in der Justizvollzugsanstalt besucht. Anfangs habe er gedacht, was erzählt der mir da? Später sei ihm klar geworden, das „meint der ernst“.
Nicht alle Fragen konnten in dem Prozess geklärt werden. So die genaue Todesursache des Opfers Anika W. aus Niedersachsen. Das Paar soll die Leiche 2014 in einer Tiefkühltruhe eingefroren, zerstückelt und verbrannt sowie die Asche an Straßenrändern verteilt haben.
Über die Frage, ob der Tod des zweiten Opfers zu verhindern gewesen wäre, tobte im Gericht ein Gutachterstreit. Susanne F. aus Niedersachsen starb 2016 im Krankenhaus – einen Tag, nachdem eine Autopanne der Angeklagten die Ermittlungen ins Rollen brachte. Sie wollten die Schwerverletzte auf der Rückbank ursprünglich nur in deren Wohnung zurückbringen.
Das Entsetzen über die Gräueltaten bleibt. (dpa/jha)