Seyne-les-Alpes/Frankfurt. Berichte über ausgesperrten Piloten geben Rätsel auf. “Wir sollten keine Hypothese ausschließen“, sagt ein französischer Minister.

Vor dem Absturz des Germanwings-Jets in den französischen Alpen hat einer der beiden Piloten einem Zeitungsbericht zufolge das Cockpit verlassen. Bei seiner Rückkehr habe er die Tür nicht mehr öffnen können und sei ausgesperrt gewesen, berichtete die "New York Times". Die Zeitung berief sich auf einen Ermittler, der die Aufnahmen des Stimmenrekorders kenne, die derzeit ausgewertet werden. "Der Mann draußen klopft leicht an die Tür, bekommt aber keine Antwort", berichtete der hochrangige Experte danach. Dann habe er stärker gegen die Tür geschlagen, aber ohne Erfolg. "Man kann hören, wie er versucht, die Tür einzutreten." Der Jet mit 150 Menschen an Bord war aus unbekannten Gründen in den Sinkflug gegangen und einige Minuten später an einer Bergwand zerschellt.

Schwere Flugunglücke der vergangenen Jahre

Dezember 2014

Ein Airbus A320 der AirAsia stürzt auf dem Weg von Indonesien nach Singapur in die Javasee vor Borneo. Alle 162 Menschen an Bord kommen ums Leben.

Juli 2014

Malaysia Airlines MH 17 stürzt über dem Kampfgebiet in der Ostukraine ab. Wahrscheinlich ist sie von einer Rakete abgeschossen worden. 298 Menschen an Bord kommen um.

Juli 2014

Beim Absturz eines Passagierflugzeugs in Mali sterben alle 116 Menschen an Bord, darunter vier Deutsche. Das Flugzeug vom Typ MD83 war von Ouagadougou (Burkina Faso) nach Algerien unterwegs.

März 2014

Flug MH 370 der Malaysia Airlines mit 239 Menschen an Bord verschwindet auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking plötzlich vom Radar. Die Suche nach der vermuteten Absturzstelle der Boeing 777-200 im Indischen Ozean bleibt ohne Erfolg.

Juni 2012

Eine McDonnell Douglas MD83 mit 153 Passagieren stürzt in ein dicht besiedeltes Wohnviertel der nigerianischen Metropole Lagos. Alle Insassen und mindestens zehn Menschen an Land kommen ums Leben.

April 2012

Ein Linienflugzeug vom Typ Boeing 727 stürzt nahe der pakistanischen Hauptstadt Islamabad ab. Alle 127 Insassen sterben.

Juli 2010

Eine Passagiermaschine vom Typ Airbus A321 stürzt beim Landeanflug auf Islamabad ab. Alle 152 Menschen an Bord werden getötet.

Mai 2010

Beim Absturz eines Airbus A330-200 während des Landeanflugs in der libyschen Hauptstadt Tripolis kommen 103 Menschen ums Leben.

15. Juli 2009

Beim Absturz einer russischen Maschine im Iran kommen alle 168 Menschen an Bord ums Leben. Die Tupolew 154 der Caspian Airlines hatte kurz nach dem Start Feuer gefangen.

30. Juni 2009

Ein A310 der jemenitischen Fluggesellschaft Yemenia mit 153 Menschen an Bord stürzt im Landeanflug auf die Komoren ins Meer.

1. Juni 2009

Ein Flugzeug stürzt auf dem Flug von Rio de Janeiro nach Paris über dem Atlantik ab. An Bord sind 228 Menschen, darunter 28 Deutsche. Niemand überlebt.

1/11

Hinterbliebene der Opfer starteten am Donnerstag mit einem Sonderflug der Germanwings-Mutter Lufthansa von Düsseldorf aus in Richtung Südfrankreich, um dort Abschied von ihren Angehörigen zu nehmen. An Bord waren auch Psychologen. Germanwings wollte auch einen Sonderflug für Angehörige aus dem spanischen Barcelona nach Südfrankreich organisieren.

600 Helfer im Einsatz

Bei dem Absturz des Airbus A320 am Dienstag waren alle 144 Passagiere und sechs Besatzungsmitglieder umgekommen, unter ihnen laut Germanwings 72 Deutsche. Die Absturzstelle liegt in steilem, kaum zugänglichem Gelände nahe Seyne-les-Alpes, was die Bergung der Leichen und Wrackteile erschwert. Fast 600 Gendarmen, Feuerwehrleute und Soldaten sind in der abgelegenen Region im Einsatz. Am Mittwoch hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Francois Hollande und der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy bei einem Besuch in der Absturz-Region der Opfer gedacht und den Suchmannschaften gedankt.

Keine Bestätigung für Zeitungsbericht

Die französische Zeitung "Le Monde" berichtete, der Kapitän des Germanwings-Jets habe sich bis zum Ende im Cockpit aufgehalten. Der Co-Pilot sei vor der Tür gewesen. Vor ihrer Trennung hätten sich die beiden Männer auf deutsch unterhalten. Der Kapitän des abgestürzten Germanwings-Jets war nach Lufthansa-Angaben sehr erfahren, hatte bereits über 6000 Flugstunden absolviert und seit mehr als zehn Jahren für Lufthansa und Germanwings gearbeitet. Sein Erster Offizier habe 630 Flugstunden gehabt und sei seit September 2013 bei Germanwings gewesen, sagte eine Lufthansa-Sprecherin.

Notfall-Code im Ohnmachtsfall

Nach Angaben eines Piloten, der das betroffene Airbus-Modell gut kennt, kann die Cockpit-Tür gegen den Willen des Piloten im Cockpit kaum geöffnet werden. Es gebe zwar einen Notfall-Code etwa für den Fall, dass ein Pilot ohnmächtig werde, sagte der Experte, der nicht namentlich genannt werden wollte. Dieser arbeite aber nur mit Zeitverzögerung und löse zunächst einen Warnton im Cockpit aus. Der Pilot im Inneren könne die Freigabe der Tür dann mit einem Schalter verhindern. Die Sicherheitsvorkehrungen dienen nach den Erfahrungen der Anschläge vom 11. September 2001 dazu, das Eindringen von Flugzeugentführern ins Cockpit zu verhindern.

"Am besten keine Hypothese ausschließen"

Von den Behörden war zunächst keine Bestätigung für den Bericht der "New York Times" über die versperrte Cockpit-Tür zu erhalten. Der französische Finanzminister Michel Sapin kommentierte die Angaben gegenüber dem Sender iTELE mit den Worten: "Derzeit ist es am besten, keine Hypothese auszuschließen." Lufthansa und Bundesinnenministerium erklärten, man werde sich an Spekulationen über die Absturzursache nicht beteiligen. Auch die Staatsanwaltschaft Düsseldorf wollte sich dazu nicht äußern. Die Deutsche Flugsicherung erklärte, sie sei an der Absturz-Untersuchung nicht beteiligt und könne deshalb nichts dazu sagen. Am Mittag wird eine Pressekonferenz der französischen Ermittler erwartet.

Liveticker zur Absturz-Ermittlung

Wohl kein signifikanter Druckabfall

Der französischen Flugsicherheitsbehörde BEA war es zuvor gelungen, verwertbare Aufnahmen des Stimmenrekorders im Cockpit zu sichern. Zu deren Inhalt wollten sich die Experten zunächst jedoch nicht im Detail äußern. In seinen letzten Aussagen gegenüber der Flugsicherung habe der Pilot den nächsten Navigationspunkt bestätigt, sein Rufzeichen genannt und sich bedankt, sagte der Direktor der Behörde lediglich. Nach seinen Angaben ging der Jet bereits eine Minute nach Erreichen der Reiseflughöhe in den Sinkflug über und verlor dann mehr als neun Minuten lang an Höhe. Es scheine aber nicht zu einem Druckabfall gekommen zu sein, der Passagiere und Besatzung in Ohnmacht hätte fallen lassen können.

Warum verließ der Pilot das Cockpit?

Die "New York Times" berichtete, den Aufnahmen aus dem Cockpit zufolge hätten sich die beiden Piloten zu Beginn des Fluges sehr ruhig und entspannt unterhalten. Dann deuteten Geräusche darauf hin, dass einer von ihnen seinen Platz verlasse, schrieb die Zeitung unter Berufung auf einen hochrangigen Militär, der an den Ermittlungen beteiligt ist. "Wir wissen noch nicht, warum er rausging", habe dieser berichtet. "Aber es steht fest, dass der andere Pilot ganz am Ende des Flugs allein im Cockpit ist und die Tür nicht öffnet."