Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass die rechtsextremen Polizistenmörder von Heilbronn wohl auch für die Mordserie an neun Imbissbetreibern in ganz Deutschland verantwortlich sind. Darunter auch ein Fall in Hamburg.

Karlsruhe. In Deutschland werden laut Bundeskriminalamt pro Tag zwei bis drei rechtsextremistische Gewalttaten verübt. Noch Ende Juli – nach den verheerenden Anschlägen des Rechtsextremisten Anders Behring Breivik in Norwegen - sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), er habe keine Hinweise auf „rechtsterroristische“ Aktivitäten in Deutschland. Inzwischen aber ist auch hierzulande offenbar eine neue Dimension erreicht.

Denn die Bundesanwaltschaft hat den Verdacht, dass sich in Deutschland eine rechtsterroristische Vereinigung gebildet hat. Diese Gruppe könnte hinter dem Mord an der Heilbronner Polizistin Michéle K. im April 2007 und hinter der bundesweiten „Döner“-Mordserie an acht türkischstämmigen und einem griechischen Opfer in den Jahren 2000 bis 2006 stehen. Die nach Angaben der Ermittler hochkonspirativ arbeitende Gruppierung könnte damit mindestens zehn Menschen auf dem Gewissen haben.

Gegen die in Haft befindliche Beschuldigte Beate Z. bestehe nun „der Anfangsverdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“, betonte die Bundesanwaltschaft. Nach den bisherigen Erkenntnissen verfügten Beate Z. wie auch die nahe Eisenach tot aufgefundenen beiden mutmaßlichen Bankräuber Uwe B. und Uwe M. „bereits Ende der 1990er Jahre über Verbindungen zu rechtsextremistischen Kreisen“. Bei der Durchsuchung der Zwickauer Wohnung der beiden Männer sei außerdem Beweismaterial sichergestellt worden, „das auf eine rechtsextremistische Motivation der Mordtaten hindeutet“.

Der Anschlag mit den bisher meisten Toten in Deutschland wurde vor 31 Jahren von einem Rechtsextremisten verübt. Bei dem Bombenanschlag auf das Münchner Oktoberfest vom 26. September 1980 starben 13 Menschen, mehr als 200 wurden verletzt. Die Ermittlungen gelangten zu dem Ergebnis, dass der rechtsextremistische Attentäter Gundolf Köhler ein Einzeltäter war.

Köhler hatte allerdings Kontakte zur „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Im Januar 1980 verbot der damalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) die mehr als 400 Mitglieder zählende Truppe, die laut Bundesanwaltschaft eine „rechtsterroristische Organisation“ war.

Dies war nicht das letzte Verbot einer rechten Terrorgruppe. Im Jahr 2005 wurde der Neonazi Martin Wiese vom Bayerischen Obersten Landesgericht in München der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung schuldig gesprochen. Gemeint war die „Schutzgruppe“ der „Kameradschaft Süd“.

In den Jahren danach machte die sächsische Neonazi-Gruppierung „Sturm 34“ von sich Reden, die allerdings als „kriminelle Vereinigung“ eingestuft wurde. Mitglieder der Gruppierung hatten bei einem Dorffest mehrere linksorientierte Punker verprügelt.

Die Hürden für die Einstufung einer Gruppierung als „terroristische Vereinigung“ hat der Bundesgerichtshof (BGH) hoch gelegt. Sie müsse „staatsgefährdende Ziele“ verfolgen und den Staat „erheblich schädigen“ wollen, entschied der BGH Ende 2007 – übrigens anhand einer linken Gruppierung. Der BGH stufte damals die „militante gruppe“ (mg), die von der Bundesanwaltschaft als „terroristisch“ bewertet wurde, zur kriminellen Vereinigung herab.

Die Döner-Mordserie und der Polizistenmord in Heilbronn

Januar 1998: In Jena (Thüringen) hebt die Polizei eine Bombenwerkstatt der Rechtsextremisten Uwe B., Uwe M. und Beate Z. aus. Das Labor war in einer Garage versteckt. Es werden Rohrbomben mit dem Sprengstoff TNT sichergestellt. Das Trio flieht.

1999: Unbekannte Täter beginnen eine Serie von mindestens 14 Banküberfällen in mehreren ostdeutschen Bundesländern. Später werden die Taten Uwe B. und Uwe M. zugeordnet.

9. September 2000: In Nürnberg wird ein türkischer Blumenhändler erschossen. Bis April 2006 folgen weitere Morde an sieben Türken und einem Griechen, immer mit derselben Waffe und nach dem gleichen Muster. Die Taten werden als sogenannte Döner-Morde bekannt. Die blutige Spur zieht sich quer durch Deutschland: Zwei weitere Morde ereignen sich in Nürnberg (2001, 2005), zwei in München (2001, 2005), jeweils ein Mord geschieht in Kassel (2006), Hamburg (2001), Rostock (2004) und Dortmund (2006).

25. April 2007: In Heilbronn wird eine 22 Jahre alte Polizistin erschossen. Ihr Kollege überlebt schwer verletzt. Am Dienstwagen wird die DNA-Spur einer Unbekannten sichergestellt.

2007 bis 2009: Die Ermittler jagen ein Phantom. Gen-Spuren einer angeblichen „Frau ohne Gesicht“ werden bei mehr als 35 Straftaten gefunden – darunter Morde und Einbrüche.

27. März 2009: Die Staatsanwaltschaft Heilbronn gibt bekannt, dass die Gen-Spuren der „Frau ohne Gesicht“ bereits beim Verpacken auf die Wattestäbchen der Ermittler gelangt sind.

1. November: In Döbeln bei Leipzig wird am Abend ein Dönerbuden-Betreiber erschossen. Der Täter kann fliehen. Ob es eine Verbindung zu den früheren Döner-Morden gibt, ist unklar.

4. November: Nach einem Banküberfall in Eisenach (Thüringen) werden Uwe B. und Uwe M. tot in ihrem ausgebrannten Wohnmobil in einem Vorort von Eisenach gefunden. In Zwickau (Sachsen) geht die Wohnung, in der die beiden mutmaßlichen Bankräuber mit Beate Z. gelebt hatten, ebenfalls in Flammen auf.

7. November 2011: Das Landeskriminalamt teilt mit, dass die Dienstpistolen der Heilbronner Polizistin und ihres Kollegen in dem ausgebrannten Wohnmobil entdeckt wurden.

8. November 2011: Beate Z. stellt sich der Polizei in Jena und wird festgenommen. Sie soll nach Polizeiangaben mehrere Alias-Namen benutzen.

11. November 2011: Die Bundesanwaltschaft gibt bekannt, dass sie Verbindungen zwischen dem Polizistenmord von Heilbronn und der sogenannten Döner-Mordserie sieht.

(dpa/dapd/abendblatt.de)