Nach Erdbeben- und Atom-Katastrophe trifft ein Taifun das Land mit voller Wucht. Millionen fliehen. Etliche Tote.

Tokio. Die vom Megabeben und Jahrhundert-Tsunami schwer getroffene Katastrophenregion um das havarierte Kernkraftwerk Fukushima in Japan ist gestern von Taifun "Roke" heimgesucht worden. Enorme Regenfälle und schwerste Sturmböen verwüsteten das asiatische Land erneut. Mindestens sechs Menschen wurden in den Tod gerissen. Tausende Häuser und Straßen standen unter Wasser, Bäume stürzten um, der Verkehr wurde größtenteils lahmgelegt und Tausende zur Flucht vor dem Sturm und den Wassermassen gezwungen. Allein in 17 Provinzen fiel der Strom aus.

Die Arbeiten an der Atomruine Fukushima wurden unterbrochen

Ein Sprecher des Betreibers der Atomruine Fukushima, Tepco, versicherte, dass der Taifun keine Auswirkungen auf die Kühlsysteme habe. Man sei auf die Taifun-Saison vorbereitet. Die Arbeiten zur Abdeckung des Reaktors 1 wurden wegen der starken Winde unterbrochen. Auch andere Arbeiten am Kernkraftwerk nahe der Küste wurden vorsorglich eingestellt und Leitungen und Pumprohre befestigt. Laut Tepco wurden Maßnahmen ergriffen, damit kein verseuchtes Kühlwasser infolge der Regenfälle überläuft und das Erdreich kontaminieren kann.

Auch die Hauptstadt Tokio wurde von "Roke" erfasst. Der Wirbelsturm traf die Zehn-Millionen-Metropole mitten im abendlichen Berufsverkehr. Zehntausende Pendler saßen auf Bahnhöfen fest, weil der Nahverkehr zum Erliegen kam. Mehr als 200 Inlandsflüge und einige überregionale Bahnverbindungen wurden gestrichen, wie die Nachrichtenagentur Kyodo berichtete. Am Knotenpunkt Shinjuku, den täglich mehrere Millionen Menschen benutzen, wurden die Eingänge der Station mit Sandsäcken verbarrikadiert, um das Eindringen von Wasser zu verhindern. In dem auch bei ausländischen Touristen beliebten Tokioter Szene-Stadtteil Shibuya stürzte ein Baum auf ein Taxi. Zum Glück wurde niemand verletzt.

Der Autobauer Toyota stellte die Produktion in seinem Werk in Aichi am Nachmittag vorsorglich ein. Auch Nissan und der Maschinenhersteller Mitsubishi schickten Beschäftigte vorzeitig nach Hause oder schlossen Werke vorübergehend. Auch die Schulen schickten die Schüler nach Hause.

Mehr als eine Million Menschen wurden nach Berichten japanischer Medien aufgefordert oder angewiesen, ihre Häuser vorübergehend zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Es wurde befürchtet, dass etliche Gebäude überschwemmt oder von Erdrutschen begraben werden könnten. In Nagoya, rund 270 Kilometer westlich von Tokio, zeigten Fernsehbilder, wie Menschen durch knietiefes Wasser wateten. Einige Bewohner mussten mit Schlauchbooten aus ihren Häusern geholt werden. Der von den Behörden als "äußerst heftig" eingestufte Taifun, der 15. der Saison, war bei der Stadt Hamamatsu, rund 250 Kilometer südwestlich Tokios, auf Land getroffen. Er zog mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h nach Norden. Die Böen erreichten Windgeschwindigkeiten von 200 km/h.

In Japan treffen extreme geografische und klimatische Gegensätze aufeinander. Es gibt kalte trockene Winter und sehr feuchte Sommer. Vor allem im Spätsommer kommt es zu Taifunen, die häufig extrem viel Regen im Gepäck haben. Alljährlich müssen die Japaner auch mit der Gefahr durch Erdbeben und Vulkane leben. Jeder weiß um die latente Bedrohung durch Naturkatastrophen. Ein Schicksal, das unabwendbar ist und einen prägenden Einfluss auf das japanische Volk hat: "Shikataganai" - Da kann man nichts machen. Doch mit Fatalismus ist das nicht gleichzusetzen.

Die Menschen stellen sich auf die Gefahr so gut es irgend geht ein. Schon Tage, bevor der Taifun "Roke" auf die Küste traf, bereiteten sich die Japaner auf das Unheil vor. Viele deckten sich mit Essensvorräten für zwei, drei Tage ein. Man holte die Haustiere rein, verstaute Geräte vor dem Haus, verriegelte die Rollläden vor den Fenstern - und wartete einfach ab.

Japaner ertragen solche Naturkatastrophen klaglos

Immer wieder sind die Menschen im Westen erstaunt, dass Japaner Schwierigkeiten oder gar Katastrophen wie diese nahezu klaglos erdulden. Anders als in unserer Zivilisation wenden sie sich auch nur selten an die Regierung mit der Erwartung, Hilfe zu bekommen. Obwohl Zigtausende Pendler gestern strandeten, war von Panik oder wütenden Reaktionen in Tokio nichts zu spüren - Shikataganai. Wie in jedem Jahr hinterlässt auch dieser Taifun eine Spur aus Tod und Verwüstung. Am Ende, wenn sich die Natur ausgetobt hat, wird wieder die Sonne scheinen. Und die Menschen sich ans Aufräumen machen - wie immer.