Im Prozess gegen die Berliner U-Bahn-Gewalttäter inszeniert sich der 18-jährige Hauptangeklagte Torben P. als eloquenter Geläuterter.

Berlin. Das Phänomen der "Banalität des Bösen" hat die Philosophin Hannah Arendt einmal beschrieben. Eine Variante davon ist in Saal 700 des Berliner Landgerichts zu beobachten. Da verwandelt sich ein brutaler U-Bahn-Schläger in einen schlaksigen Gymnasiasten mit hellblauem Hemd und brav gescheiteltem Haar zurück.

Torben P., ein Junge aus scheinbar intaktem Elternhaus, hat in der Nacht zu Karsamstag auf dem Berliner U-Bahnhof Friedrichstraße alles dafür getan, um das Leben eines anderen und auch sein eigenes zu zerstören. Er hat einen ihm unbekannten 29-Jährigen zu Boden geschlagen und dem bereits Bewusstlosen mehrfach auf den Kopf getreten. Weil eine Überwachungskamera die Tat aufzeichnete, hat sich inzwischen millionenfach über das Internet verbreitet, wie brutal er dabei vorging.

Vor Gericht will der 18-Jährige nun alles richtig machen - und das Bild des skrupellosen Schlägers relativieren. Es ist seine einzige Chance; ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft wegen versuchten Totschlags. Der Gymnasiast aus dem bürgerlichen Stadtteil Heiligensee hat eine Erklärung vorbereitet, die er gestelzt und ohne zu stocken vorträgt. "Hohes Gericht, meine Damen und Herren", beginnt er. Dann räumt er ein, dass die Vorwürfe gegen ihn zutreffen: "Ich kann und möchte meine Taten weder rechtfertigen noch entschuldigen." Bis heute habe er keine Erklärung dafür.

P. zeichnet das Bild eines Jungen aus geordneten Verhältnissen. Die Eltern, eine Altenpflegerin und ein Krankenkassenangestellter, seien Frührentner. Er selbst war gut in der Schule und im Kanusport. Nach der 6. Klasse wechselte er auf ein Sportinternat nach Köpenick. Dort sei er nicht zurechtgekommen. Doch die Eltern wollten ihn nicht von der Schule nehmen. Erst als er begann, sich mit einem Messer zu verletzen, ließen sie ihn wechseln.

Am Karfreitag nahm er seinen Freund Nico A. zur Geburtstagsfeier einer Schulkameradin mit. Schon zuvor tranken die beiden Bier, später Wodka-Cola. "Vorglühen" heißt das im Jugendjargon. Auf der Party wurde weiter getrunken. Als die Wodkaflasche leer war, kam Weinbrand dazu. Gegen halb drei brachen die beiden auf, um in der Innenstadt weiterzufeiern, mit einer weiteren Flasche Wodka sowie Cola. Schon auf dem Weg zur Friedrichstraße hätten sie angefangen, Leute "anzuquatschen", einige auch "beschimpft". Auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße fanden sie in dem Gas- und Wasserinstallateur Markus P. ein geeignetes Opfer. An das, was dort geschah, könne er sich nur noch lückenhaft erinnern, sagt Torben P. Auch sei die Erinnerung von den Bildern der Überwachungskameras überlagert. Sie zeigen, dass er aufs Gleisbett sprang, mit Schotter schmiss und gegen eine Anzeigentafel trat. Der Angeklagte spricht vage von einem "Wortwechsel" zwischen seinem Freund und dem späteren Opfer, "in den ich irgendwann eingestiegen bin". Er sei überrascht gewesen, als Markus P. ihn am Kragen gepackt habe. Als dieser ihn nicht losließ, habe er mit einer Plastikflasche zugeschlagen. Wie voll sie war, wisse er nicht mehr. Richtig erinnern könne er sich vor allem an das beherrschende Angstgefühl. "In meiner Vorstellung waren die Rollen von Angreifer und Angegriffenem vertauscht."

Erst auf der Flucht habe ihm der Freund erzählt, dass er das Opfer gegen den Kopf getreten habe. Noch größer sei der Schock gewesen, als er am nächsten Tag bei einer Freundin das Video von der Tat gesehen habe, das die Polizei zu Fahndungszwecken veröffentlicht hatte. Er habe dann sofort das getan, was ihm zuvor auch schon sein Vater geraten hatte: Torben P. stellte sich der Polizei. Der Unterschied zwischen den wohlformulierten Worten und der dumpfen Aggressivität, die auf den Videoaufnahmen zu sehen ist, könnte größer kaum sein. Natürlich hat Torben P. seine Aussage vor Gericht ins Detail mit seinen Anwälten abgesprochen. Aber auch bei der anschließenden Befragung durch den Vorsitzenden Richter zeigt sich, dass der fast zwei Meter große junge Mann nicht in das Bild des typischen jugendlichen Gewalttäters passt. Fast jede Frage beantwortet er mit druckreifen Sätzen, die von einem hohen Maß an Reflexion zeugen. Bis zu seinem 18. Geburtstag habe er kaum Alkohol konsumiert, erst mit 18 öfter mal "zu gesellschaftlichen Anlässen". Nach der Tat habe er ein Anti-Aggressivitäts-Training begonnen, zudem konsultiere er regelmäßig eine Psychologin. Einem Schulrausschmiss sei er durch die Bitte um Beurlaubung zuvorgekommen. Er nehme Einzelunterricht und habe eine Schule gefunden, die bereit sei, ihn nach dem Prozess aufzunehmen. Eine günstigere Sozialprognose hätte kein Gutachter formulieren können.

Die Videos, die am ersten Prozesstag gezeigt wurden, werden noch von Bedeutung sein. Eine der Schlüsselfragen ist, inwieweit sich das spätere Opfer von den beiden jungen Männern hat provozieren lassen. Bedeutsam wird auch die Aussage von Georg B. sein, dem Zeugen aus Bayern, der als Einziger in die Attacke eingriff. Auf Videos ist zu sehen, wie er mehrfach etwas ruft und andere Augenzeugen anspricht. Doch während sich diese versteckten, stellte sich Georg B. Torben P. just in jenem Moment entgegen, als dieser zum fünften Mal zutreten wollte. Wäre der mutige Tourist aus Bayern nicht gewesen, wäre Markus P. in diesem Prozess wohl nicht mehr zu Wort gekommen.