Vor Schottland fließt weiter Öl in die Nordsee. Erinnerungen werden wach an die Katastrophe im Golf von Mexiko. Umweltschützer schlagen Alarm.

London. Eigentlich sollte Shell wissen, was zu tun ist - zumindest, dass zu langes Schweigen eine sehr schlechte Idee ist. Doch obwohl der Ölunfall an einer Plattform des britisch-niederländischen Konzerns in der Nordsee vom Ausmaß her bislang nicht annähernd mit der BP-Katastrophe im Golf von Mexiko vor gut einem Jahr zu vergleichen ist, ziehen Umweltschützer Parallelen. Shell habe von Anfang an viel zu wenige Informationen herausgegeben, keine Transparenz gezeigt, und sei offenbar auch nicht ausreichend auf mögliche Unfälle vorbereitet, lautet ihr Vorwurf.

„Es ist schon jetzt offensichtlich, dass Shell scharf kritisiert werden wird, weil sie so wenig und so widerwillig Informationen für die Öffentlichkeit herausgegeben haben“, sagte der Direktor der Umweltschutzorganisation WWF für Schottland, Richard Dixon, und forderte eine öffentliche Untersuchung des Unfalls. Das Leck soll bereits am Mittwoch entdeckt worden sein, erst am Wochenende informierte der Konzern darüber.

Zudem habe Shell große Probleme mit seiner Pipeline auf der „Gannet Alpha“ und der Reparatur der Schwachstelle gehabt, meinte Dixon. „Das lässt einen wirklich die Fähigkeit der gesamten Industrie infrage stellen zu reagieren, wenn ein solcher Unfall auf weit größerer Ebene in den sehr viel schwierigeren Gewässern der Arktis passiert wäre.“

Shell weist seit dem Wochenende darauf hin, dass man alles unter Kontrolle habe. Zwar sei mit bislang etwa 206 700 Litern eine „signifikante Menge“ Öl in die Nordsee gelangt. Durch die Beschaffenheit und andere Faktoren werde sich der Teppich aber wohl selber auflösen und die Küste erst gar nicht erreichen. Diese Theorie bestätigen bisher auch die britischen Behörden. Im Golf von Mexiko liefen nach dem Unfall auf der „Deepwater Horizon“ über Wochen 780 Millionen Liter Rohöl ins Meer – die Katastrophe war also ungleich größer.

Per Fischer von der Organisation „Friends of the Earth“ in Schottland ist der Meinung, dass die Welt noch lange nicht alles über den neuen Nordsee-Unfall weiß, dass Shell den Fall herunterspiele. Vicky Wyatt von Greenpeace forderte, bevor Shell in den sensiblen Gewässern der Arktis bohren dürfe, müsse der Konzern erst ein umfassendes Sicherheitsprogramm vorlegen. Auch solle die britische Regierung ihre Pläne für neue Lizenzvergaben für Ölvorkommen bei den Shetland Inseln überdenken.

Neben „Deepwater Horizon“ gab es im Kapitel Imageschäden und wie man sie verhindert eigentlich zahlreiche mögliche Lehrstücke für Shell. Zu den Aufsehenerregendsten gehörte wohl der Fall „Brent Spar“ vor rund 16 Jahren. Shell wollte die ausrangierte Ölplattform im Nordatlantik 2000 Meter tief versenken. Umweltschützer besetzten den Stahlkoloss vor den Shetland-Inseln. Am Ende musste Shell nachgeben und die „Brent Spar“ an Land zerlegen. Allerdings musste sich auch Greenpeace nachträglich dafür entschuldigen, dass die Organisation die Ölmenge in der Plattform zu hoch angegeben hatte.

Vor etwa einer Woche war Shell erneut wegen seiner Aktivitäten im Nigerdelta in die Kritik geraten. In einem Bericht des Umweltprogrammes der Vereinten Nationen (UNEP) hieß es, dass die Schäden und Gefahren, die Shell dort mit schonungsloser Erdölförderung angerichtet hat, erst in 25 bis 30 Jahren wieder behoben sein werden. Der Sachschaden soll in die Milliarden gehen.