Etwa 216 Tonnen Öl sind bereits aus dem Leck einer havarierten Plattform in die Nordsee geflossen. Betreiber Shell versucht zu beruhigen.

London. Eine beschädigte Ölbohrplattform in der Nordsee spuckt vor der Küste Schottlands große Mengen Öl ins Meer. Es sei schwer, das Ausmaß zu schätzen, aber bisher seien vermutlich 216 Tonnen ausgetreten, teilte der britisch-niederländische Ölkonzern Shell am Montag in London mit. Man habe das Leck weiterhin unter Kontrolle und arbeite daran, es zu schließen. Der sichtbare Ölteppich ändere sich ständig, erklärte das Unternehmen; insgesamt sei rund eine Tonne Öl an die Meeresoberfläche gelangt.

Nach Angaben der britischen Behörden handelt es sich um den größten Störfall dieser Art seit mehr als einem Jahrzehnt. Im Jahr 2009 beispielsweise habe die komplette Menge Öl, die in die Nordsee geflossen sei, bei 50,93 Tonnen gelegen.

„Dies ist im Kontext der jährlich in die Nordsee auslaufenden Menge Öl eine signifikante Menge“, hieß es in der Shell-Mitteilung. Man nehme den Fall sehr ernst. Zum Vergleich: Nach dem Untergang der von BP geleasten Ölplattform „Deepwater Horizon“ im April 2010 waren 780 Millionen Liter Rohöl in den Golf von Mexiko gelaufen. 216 Tonnen sind rund 206.700 Liter.

Das Leck, das an einer Verbindungsstelle zwischen der Plattform und einer Leitung liegt, soll bereits am Mittwoch entdeckt worden sein. Trotz Forderungen von Umweltschützern hatte Shell zunächst nicht beziffert, wie viel Öl austritt. Der Konzern hatte am Sonntag mitgeteilt, auf dem Wasser treibe eine 31 Kilometer lange Ölschicht mit einer maximalen Breite von 4,3 Kilometern. „Wir gehen davon aus, dass das Öl auf natürliche Weise durch die Wellenaktivitäten aufgelöst wird und keinen Strand erreichen wird“, erklärte der größte Ölkonzern Europas.

Es gebe einen „besorgniserregenden Mangel an Transparenz von Shell“, kritisierte Ben Ayliffe von der Umweltschutzorganisation Greenpeace. „Shell brauchte nach Beginn des Austritts zwei Tage, bevor sie zugaben, dass es ein Leck gibt.“ In Anbetracht dieses „Fehlens an Offenheit“ müsse man die Frage stellen, ob Shell die richtige Art von Konzern für einen Ausbau der Aktivitäten in der sensiblen Arktis sei.

Die Plattform „Gannet Alpha“ liegt rund 180 Kilometer östlich von Aberdeen. Das Personal auf der Plattform sei sicher und arbeite wie gewohnt weiter. Öl im Wasser ist auch dann eine Gefahr für viele Meerestiere und Vögel, wenn es nicht an Land gespült wird.

Nach Shell-Angaben wurde ein ferngesteuerter Unterwasser-Roboter eingesetzt, um das Problem zu erkunden. Auch stehe ein Boot mit Chemikalien zum Binden von Öl bereit. Zudem beobachte man die Situation von einem Flugzeug aus. Das Gannet-Ölfeld wurde zu Beginn der 1970er Jahre entdeckt und später erschlossen. Das Wasser ist an dieser Stelle etwa 100 Meter tief, heißt es auf der Homepage des Konzerns.

Im Gannet-Ölfeld wurden nach einem Bericht des Senders BBC täglich 13.500 Barrel Öl produziert – ein Barrel sind 159 Liter. Es werde zwar von Shell betrieben, doch auch der Konzern Esso, der zum US-Riesen Exxon gehört, habe Anteile daran.

Umweltorganisationen kritisierten die Förderung von Öl aus der Nordsee. Diese werde immer schwieriger und gefährde sowohl die Küstengemeinden Schottlands als auch die Wirtschaft, sagte Juliet Swann von der Organisation Friends of the Earth. „Jedes Auslaufen von Öl sollte uns ein Warnzeichen sein, das uns antreibt, eine Zukunft mit sauberen, erneuerbaren Energien anzustreben, statt weiter in schmutziges Öl zu investieren.“

Shell war vor etwa einer Woche erneut wegen seiner Aktivitäten im Niger-Delta in die Kritik geraten. Ein Bericht des Umweltprogrammes der Vereinten Nationen (UNEP) geht davon aus, dass die Schäden und Gefahren, die Shell dort mit schonungsloser Erdölförderung angerichtet hat, erst in 25 bis 30 Jahren wieder behoben sein werden. Die UNEP-Experten schätzen, der Sachschaden gehe in die Milliarden.

Neben den Beeinträchtigungen des Trinkwassers und damit der Gesundheit der Menschen seien vor allem die Mangrovenwälder in Gefahr, hieß es. Es müssten dringend die Lecks in den Leitungen gestopft werden, um weitere Verunreinigungen zu stoppen.

Der Mineralölkonzern hatte auch um das Jahr 1995 herum massive Kritik auf sich gezogen mit dem Plan, die ausrangierte Ölplattform „Brent Spar“ im Nordatlantik 2000 Meter tief zu versenken. Umweltschützer hatten den 15.000 Tonnen schweren und fast 140 Meter hohen Stahlkoloss vor den Shetland-Inseln besetzt. Der Konzern gab dem Druck schließlich nach und ließ „Brent Spar“ an Land zerlegen.