20 Menschen, 17 Stunden gefangen in einer Seilbahn nahe Neuschwanstein. Dass alles glimpflich ausging, ist vielen Rettern zu verdanken.

Schwangau. Es ist am Sonnabendmorgen gegen 6 Uhr, als sie das Knattern der Rotoren des Rettungshubschraubers hören und "Edelweiß 7" über dem Steilhang auftaucht. Hinter ihnen liegt eine nervenaufreibende Nacht. 17 Stunden zwischen Hoffen und Bangen. Eingesperrt in einer Gondel. 20 Menschen auf zwölf Quadratmetern, darunter fünf Kinder.

Dabei hatte alles so schön begonnen an diesem Ort im Ost-Allgäu, der als Magnet für Touristen aus aller Welt gilt. Oben auf dem Tegelberg, 1881 Meter hoch, hatten die Urlauber den atemberaubenden Blick ins Gebirge genossen. Klare Sicht. In der Ferne sahen sie Schloss Neuschwanstein.

Die Passagiere, Urlauber aus Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, waren auf dem Weg zurück ins Tal, als es gegen 13 Uhr plötzlich krachte und die Gondel in etwa 80 Metern Höhe mit einem Ruck stoppte. Was passiert war, erfahren sie über Funk von der Bergwacht. Polizeihauptmeister Jörg Mähr, 37, überbringt ihnen die Nachricht, ein passionierter Bergwanderer und Skiläufer. Vor seiner Polizeiausbildung jobbte er als Gondelführer. Mähr bewahrt die Ruhe, als er erfährt, dass es kein technischer Defekt war, der die Gondel gestoppt hatte. Vielleicht ist es maßgeblich sein Verdienst, dass niemand in Panik gerät.

Ein Tandem-Gleitschirmflieger ist in die Seile gestürzt. Bei einem der beiden Männer handelt es sich um einen Reporter des Bayrischen Rundfunks (BR), der für das TV-Magazin "Abendschau" eine Urlaubsserie recherchiert - Motto: Bayern hautnah. Den Flug hat er zuvor mehrfach mit einem erfahrenen Lehrer geübt, jedesmal ohne Komplikationen. Eine Kamerafrau des TV-Magazins soll direkt nach ihm starten, um seinen Einsatz aus der Luft zu filmen. Doch dazu kommt es nicht. Schon nach wenigen Sekunden erfasst eine Windböe den Gleitschirmflieger und schleudert ihn in die Stahlseile der Seilbahn.

Zwei Stunden dauert es, bis die beiden Männer leichtverletzt geborgen werden. "Die Schirme hatten sich in drei Stahlseilen verfangen", sagt der Sprecher der Bayrischen Bergwacht, Roland Ampenberger. Dass sich die Seile auch noch ineinander verheddert hatten, habe die Rettung erschwert. Die Polizei ermittelt jetzt gegen den 54-jährigen Fluglehrer, einen Schweizer.

Von alldem wissen die Gondel-Insassen zu diesem Zeitpunkt nichts. Sowohl die Tal-Gondel als auch die Berg-Gondel stecken fest. In der zweiten Kabine sitzen 30 Passagiere in 50 Metern Höhe. Noch vor Einbruch der Dunkelheit können sie nacheinander abgeseilt werden. Die Geduld von Jörg Mähr & Co wird auf eine härtere Probe gestellt. Das Gelände unter der Gondel ist für eine Bergung zu steil. Ein Hubschrauber, der die Passagiere aus der Luft retten will, muss nach mehreren Anläufen abdrehen. "Die Auf- und Abwinde waren einfach zu stark", sagt Bergwacht-Sprecher Roland Ampenberger.

Es ist der Moment, als die Stimmung in der Gondel auf den Tiefpunkt rutscht. Der jüngste Insasse, 4, beginnt zu quengeln. Bis dahin haben die Erwachsenen die Kinder mit Spielen abgelenkt. "Ich sehe was, was du nicht siehst" - solche Dinge eben. Doch jetzt macht sich Unmut breit. Von einer "extremen Ausnahmesituation" spricht Roland Ampenberger.

Viele der Urlauber waren morgens nur leicht bekleidet und mit Sandalen zu ihrem Ausflug gestartet. Das sollen sie jetzt bereuen. Nachts rutscht das Thermometer ab bis auf 14 Grad Celsius. Starker Regen trommelt aufs Dach. Der Wind schaukelt die Gondel hin und her, wie bei starkem Wellengang auf hoher See. Einige Passagiere klagen über Übelkeit und Schwindelgefühle. Eine Luke im Boden hält als Toilette her.

Die Lage entspannt sich erst, als zwei Bergwacht-Mitarbeiter die Gondel über eine Dachluke erreichen. Mithilfe einer Seilwinde haben sie sich von einer Plattform der Bergbahn heruntergelassen. Mitten in der Nacht bringen sie Decken, Thermoskannen mit Tee und sogar Spiele für die Kinder.

Gegen Morgen hat sich die Wetterlage stabilisiert. Zwei Hubschrauber retten nun einen nach dem anderen.

Jörg Mähr verlässt die Gondel als Letzter, aber gerade noch rechtzeitig. Um 12 Uhr ist er zu einer kirchlichen Trauung eingeladen. Es ist nicht seine eigene, er hat nur wenige Stunden geschlafen, aber wegen Erschöpfung abzusagen, käme ihm trotzdem nicht in den Sinn.