Experten und Ministerin stehen Bundestag Rede und Antwort - Quelle noch immer unbekannt – Warnung vor Tomaten, Gurken und Blattsalat bleibt

Berlin. „Kein Anlass für Entwarnung“: Dieses Fazit der EHEC-Erkrankungen zog Reinhard Burger, Leiter des für Krankheitsüberwachung zuständigen Robert-Koch-Instituts (RKI) im Bundestag. Zwei Stunden lang stellten sich dort am Mittwoch Experten aus den Instituten und dem Verbraucherministerium den Fragen der Abgeordneten im Ernährungsausschuss.

„Es geht hier um schwere Erkrankungen bis hin zu Todesfällen“, sagte Ministerin Ilse Aigner (CSU). Doch leider sei die Botschaft weiterhin, dass „die genaue Ursache des Geschehens noch nicht eingegrenzt werden konnte“. Bei Patientenbefragungen seien Tomaten, Gurken und Blattsalate, die in Norddeutschland verzehrt wurden, „auffällig in der Schnittmenge“ gewesen.

Die mit dem Durchfallerreger EHEC verunreinigten Gurken aus Spanien können nicht für die schweren Erkrankungen verantwortlich gemacht werden. EHEC ist eine Infektion mit dem enterohämorrhagischen Escherichia-coli-Bakterium. Von dem Darmkeim betroffene Patienten erkranken an dem sogenannten hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS), das unter anderem mit Nierenschädigungen einhergeht.

Aigner sagte, dass die spanischen Gurken „nicht den eigentlichen Erreger tragen“, nämlich das Bakterium vom Stamm O104:H4. Nach Hunderten von Proben seien sich die Experten noch nicht einmal sicher, ob überhaupt ein Agrarprodukt für die Infektionen verantwortlich gemacht werden könne. Denn der Erreger kann auch bei Transport, Verladung und Verpackung auf die Ware gelangt sein.

Andreas Samann vom Institut für Hygiene und Umwelt in Hamburg machte den Abgeordneten wenig Hoffnung, dass die Quelle des Darmkeims rasch entdeckt wird. In fast 80 Prozent aller Fälle weltweit finde man den Erreger nicht. Ähnlich sieht das auch Andeas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). „In der Mehrzahl aller Ausbruchsgeschehen wird das Agens nicht isoliert“, sagte er.

RKI-Chef Burger berichtete, inzwischen seien alle Bundesländer betroffen, besonders schwer Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Hamburg. Gebe es sonst bundesweit etwa 1.000 EHEC-Ausbrüche pro Jahr mit 50 bis 60 HUS-Fällen, seien derzeit so viele allein in Hamburger Krankenhäuser zu finden. Die Quelle sei weiterhin unbekannt: „Man kann da nur spekulieren.“

Sicher sei, dass sie weiter zu Infektionen führe und dass mit 70 Prozent weit mehr Frauen als Männer betroffen seien, sagte Burger. Mögliche Erklärungen dafür seien, dass Frauen mehr Rohkost essen und öfter die Speisen vorbereiten. Erste Hinweise gebe es auch darauf, dass sich Personen angesteckt haben, die Kranke pflegen.

Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung tappt weiter im Dunkeln. BfR-Präsident Henseler meinte, noch sei man mitten drin in der Klärung des Ausbruchsgeschehens: „Wir wissen derzeit nicht, ob es die Gemüse sind.“ Es gebe aber noch keinen Hinweis darauf, dass der Erreger aus der Tierhaltung komme.

Bis Dienstagnachmittag habe man 1.115 Proben gezogen, berichtete Helmut Tschiersky-Schöneburg, Präsident des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. 188 Gurken, 148 Tomaten und 184 Blattsalate seien aufwendig getestet worden. Hinzu kamen 45 Mal Erdbeeren, 13 Mal Spargel und 2 Mal Champignon plus Gewürze und Kräuter. Zur Sicherheit wurden darüber hinaus neun Mal Rohmilch getest, 38 Mal Käse und 19 Mal Fleisch.

Für Forderungen des spanischen Bauernverbands nach Schadenersatz wegen angeblich unzutreffender Warnung vor Gemüse aus Spanien hat man im Verbraucherministerium kein Verständnis. Zwar sei nicht der Stamm O104:H4 gefunden worden, sagte ein Vertreter. Aber EHEC-Erreger seien entdeckt worden, und die seien meldepflichtig, ohne Wenn und Aber.

Experte Samann sagte, es gebe „viele, viele Spekulationen“ über den Erreger. Sie reichten hin bis zur Verbreitung über Flugasche und Sandsturm. Wie dies aber damit in Verbindung gebracht werden könne, dass sie meisten Infizierten in der Altersgruppe 20 bis 40 Jahre und weiblich seien, erschließe sich ihm nicht, sagte Samann.

EHEC-Erreger bringt bayerische Gemüsebauern in Schwierigkeiten – Salatfelder werden umgepflügt

Nachdenklich wiegt Gemüsebauer Wolfgang Asbeck einen erntefrischen Salatkopf in seinen Händen. Dieser Eichenblattsalat wird niemals auf einem Teller landen. Stattdessen muss der Landwirt das ganze Feld mit Salatköpfen unterpflügen. „Die Leute haben Angst. Da können wir nichts machen.“ Seit der Welle von EHEC-Infektionen bleibt Asbeck auf seiner Ware sitzen.

Der 53-Jährige bewirtschaftet mit Frau und Sohn einen 80-Hektar-Hof in Haingersdorf im Landkreis Dingolfing-Landau. Seinen Salat liefert er normalerweise palettenweise an Kliniken und Gaststätten. Seit das Robert-Koch-Institut wegen der EHEC-Infektionen vor dem Verzehr von Tomaten, Gurken und Salat gewarnt hat, geht nichts mehr.

Asbeck erzählt: „Ich war heute in einem Altenheim. Die haben mich gleich wieder heimgeschickt. Auf Anordnung der Heimleitung wird kein frisches Gemüse mehr eingekauft.“

Der Agrarberater Thomas Wirth bekommt die Verzweiflung der Gemüsebauern in diesen Tagen hautnah zu spüren. Der Gartenbauingenieur berät 200 niederbayerische Landwirte, sie sich in der Erzeugergemeinschaft für Obst und Gemüse Straubing zusammengeschlossen haben.

„Die Stimmung ist natürlich katastrophal“, sagt Wirth. Alleine am Montag und Dienstag dieser Woche seien die Ordermengen für Frischgemüse bei den niederbayerischen Landwirten um 60 bis 90 Prozent zurückgegangen. „Die Bauern sind jetzt dabei, den ungeernteten Salat unterzupflügen“, beschreibt der Berater die Situation auf den Feldern.

Einer dieser Landwirte ist Stefan Winetsdorfer aus Osterhofen im Landkreis Deggendorf. Normalerweise erntet er um diese Jahreszeit pro Woche 250.000 Salatköpfe der unterschiedlichen Sorten. „Wenn wir Glück haben, kommen wir in dieser Woche gerade einmal auf 20.000 Köpfe“, beschreibt der Bauer das Ausmaß seines Verlusts.

Dabei verliert der Landwirt nicht nur die Einnahmen aus dem Verkauf. Der finanzielle Verlust ist weitaus höher. Denn Salatanbau ist teuer. Die Bestellung von nur einem Hektar Ackerfläche schlägt nach Winetsdorfers Berechnungen mit 7.000 Euro für Setzlinge, Dünger und Arbeitszeit zu Buche. Sind die Pflanzen dann reif, bleibt nur ein Zeitfenster von drei Tagen für die Ernte. Danach ist der Salat unverkäuflich und muss untergepflügt werden. Die Zahlen lassen den Salatbauern resignieren: „Sie können sich ja ausrechnen, dass man das nicht unbegrenzt weitermachen kann.“

Der Gemüsehandel in den großen Verbrauchermärkten sei im Zuge der EHEC-Krise völlig zusammengebrochen, sagt Fachberater Wirth. „Zugenommen hat zwar die Direktvermarktung, der Verkauf ab Hof oder auf Wochenmärkten.“ Der Fachmann schätzt jedoch, dass allenfalls fünf Prozent des in Bayern gehandelten Gemüses direkt vermarktet werden. Den Absatzeinbruch in den Supermärkten kann das nicht aufwiegen.

„Der Schaden durch die EHEC-Krise für Bayerns Gemüsebauern beträgt jeden Tag mehrere Millionen Euro“, sagt der Geschäftsführer des Bayerischen Feldgemüseverbandes in München, Theo Däxl. Der Verbandssprecher hadert in den Tagen der EHEC-Krise vor allem mit der Politik. „Da werden allgemeine Befürchtungen gestreut“, kritisiert Däxl. Die Verbraucher seien derart verunsichert, dass sie mittlerweile praktisch alle Gemüsesorten meiden würden.

Der Verbandsfunktionär fordert Konsequenzen aus der EHEC-Krise: „Wir müssen die Herkunft unserer Produkte künftig besser herausstellen“, sagt Däxl. Die Großabnehmer im Handel seien an einer „möglichst austauschbaren Ware“ interessiert. Dem müsse man mit einer gezielten regionalen Vermarktung entgegentreten. Däxl: „Ich hoffe, dass wir alle etwas aus dieser Krise lernen.“

Gemüsebauer Asbeck setzt als Sofortmaßnahme lieber auf das kurze Gedächtnis der Verbraucher: „Ich glaube, in vier Wochen ist alles vergessen und die Leute kaufen wieder unseren Salat.“ (dapd)