Die kleine Clercilia hat seit Tagen Durchfall. Ihr besorgter Vater bringt sie ins Krankenhaus. Doch zu viel Zeit ist inzwischen verstrichen.

Port-au-Prince. In einer hölzernen Schubkarre wird die bewusstlose Frau zum Krankenhaus gebracht, die blassen Lippen ausgedörrt und aufgesprungen. Sie ist 22 und war vor zwei Tagen noch gesund und munter. Der krankenhausgrün gestrichene Korridor zur Klinik ist voll mit Opfern der Choleraepidemie, die die Hauptstadt Port-au-Prince erreicht hat. Gut drei Wochen, nachdem erstmals in Haiti ein Ausbruch der Krankheit bestätigt wurde, sind ihr nach Stand vom Sonntag schon mindestens 917 Menschen zum Opfer gefallen; mindestens 14.600 mussten in Krankenhäuser eingeliefert werden. Fachleute schätzen die tatsächliche Zahl der Toten und Kranken noch höher ein. Die meisten Betroffenen gibt es auf dem Land. Doch nach dem Betrieb in dem Krankenhaus zu schließen, breitet sich die Seuche im dichtbesiedelten Elendsviertel Cite Soleil und vielleicht in der gesamten, 2,5 Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt Port-au-Prince rapide aus.

Bleiche zur Desinfektion

Ein Vater trägt seine kleine Tochter auf den Armen, ganz schlapp ist das Mädchen, eingehüllt in eine gelbe Decke. Die zweijährige Clercilia Regis hat seit drei Tagen Durchfall. Seit die Angst vor der Krankheit umgeht, hielten sich ihre besorgten Eltern an den Rat des Pastors und gaben zur Desinfektion etwas Bleichmittel und Limettensaft ins Wasser. Clercilia wurde trotzdem krank. Erst schien es ihr gar nicht so schlecht zu gehen, erzählt ihr Vater Jedson Regis. Aber dann: „Gestern Abend gegen sieben wurde es richtig schlimm. „Die Kleine schied Flüssigkeit aus, dass den Eltern angst und bange wurde. Doch im Dunkeln, in der unsicheren Gegend, konnten sie nichts unternehmen. Als es hell wurde, trug Regis seine Tochter zum Hospital Saint Catherine Laboure. Unterwegs kam er an den Kanälen vorbei, die der Seuche eine ideale Brutstätte bieten: grünlichbraune Brühe voller Plastikmüll und menschlichen Exkrementen.

Auf dem Krankenhausgelände hat die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen und das Gesundheitsministerium Zelte aufstellen lassen. Die Kranken liegen in Reihen nebeneinander, Infusionsschläuche im Arm. Wer zu schwach ist, sich zu bewegen, bekommt ein Bett mit Loch in der Mitte und Eimer drunter. Die Frau im Schubkarren muss dort hin, wo die allerschwersten Fälle behandelt werden. Ursprung der Seuche unklar Symptome der Cholera sind schwerer Durchfall, Erbrechen und Fieber. Der Flüssigkeitsverlust kann zum Tod führen. Keiner weiß, wie die Krankheit nach Haiti kam. Nach dem verheerenden Erdbeben vom 12. Januar war mit dem Ausbruch von Seuchen gerechnet worden, doch diese kam aus heiterem Himmel. Noch nie zuvor hatte es in Haiti einen bestätigten Fall von Cholera gegeben. Bislang geht niemand der Sache nach. Es besteht der Verdacht, dass der Erreger von UN-Friedenssoldaten aus Nepal eingeschleppt wurde. Doch das ist ein politisch heikles Thema, und Gesundheitsorganisationen, die Nachforschungen anstellen könnten, haben mit der Eindämmung der Krankheit zu tun.

Nach offiziellen Angaben von voriger Woche gab es in Port-au-Prince einen Toten und 175 Erkrankte , doch diese Zahlen waren schon vor ihrer Veröffentlichung überholt. Überall aus der Hauptstadt werden Infektionen gemeldet, aus Notunterkünften, Slums und Wohnvierteln. „Wenn hygienische Zustände herrschten, könnten wir vielleicht sagen, wir hätten die Lage im Griff", sagt die Ärztin Juliet Olivier vom Team der Ärzte ohne Grenzen im Krankenhaus. „Die Krankheit ist leicht zu behandeln, aber die Patienten brauchen lange, bis sie zum Arzt kommen."

Kein sauberes Wasser, keine Latrinen

Draußen herrscht reger Betrieb. Marktfrauen verkaufen kleine Mahlzeiten, und auch die Jungs mit den Plastiksäcken mit Wasser, das sauber ist oder auch nicht, machen ein gutes Geschäft. Clercilia Regis und ihre Familie nahmen Leitungswasser, als sie sich das von der Kirche gegen ein paar Cent ausgegebene Wasser nicht leisten konnten. Latrinen gibt es in ihrer Straße kaum. Die Eimer mit Fäkalien, auch mit den Ausscheidungen des kranken Kleinkinds, werden in einem leerstehenden Haus ausgekippt. Am Nachmittag kommt Regis wieder aus dem Krankenhaus, seine Tochter in den Armen. Clercilias steifer Körper steckt in einem Plastiksack. Den Totenschein hält der Vater in der Hand. „Es war doch Nacht, ich konnte sie erst morgens herbringen", sagt er. Er hat kein Geld für eine Beerdigung und keine rechte Vorstellung, was er mit dem Leichnam seiner Tochter tun soll. Regis rückt die Last in seinen Armen zurecht und trägt seine Tochter nach Hause, eingehüllt in ihre gelbe Decke.