Das Kreuzfahrtunglück vor der italienischen Insel Giglio: Funkverkehr mit der Küstenwache dokumentiert das Versagen von Kapitän Schettino

Rom/Berlin. Er ging von Bord, als Chaos und Panik herrschten und die Menschen ums Überleben kämpften: Francesco Schettino, 52, Kapitän des havarierten Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia", ließ Passagiere und Besatzung vor der toskanischen Insel Giglio im Stich, um sich selbst in Sicherheit zu bringen. Die italienische Küstenwache hat lange vergeblich versucht, ihn zur Rückkehr auf das kenternde Schiff zu bewegen. Die Zeitung "Corriere della Serra" hat jetzt den Funkverkehr in der Unglücksnacht zwischen der Küstenwache und dem Kapitän veröffentlicht.

Freitag, 21.49 Uhr Ortszeit.

Küstenwache:

"Concordia, ist alles o. k.?"

Kapitän:

"Positiv. Wir haben nur eine kleine technische Störung."

Küstenwache:

"Wie viele Menschen sind an Bord?"

Kapitän:

"Zwei-, dreihundert." (in Wahrheit sind zu diesem Zeitpunkt noch Tausende Passagiere an Bord). Sonnabend, 0.42 Uhr Ortszeit.

Küstenwache:

"Wie viele Menschen müssen das Schiff noch verlassen?"

Kapitän:

"Ich habe die Reederei kontaktiert. Etwa 40 Menschen fehlen."

Küstenwache:

"Wie kann es sein, dass es nur so wenige sind? Sind Sie an Bord?"

Kapitän:

"Nein, ich bin nicht an Bord, weil das Schiff sinkt. Wir haben es verlassen."

Küstenwache:

"Was meinen Sie, Sie haben das Schiff verlassen?"

Kapitän:

"Nein, nicht verlassen - ich bin hier, koordiniere die Rettungsaktion."

Küstenwache:

"Was koordinieren Sie da? Gehen Sie an Bord! Koordinieren Sie die Rettung von Bord aus! Weigern Sie sich?"

Kapitän:

"Nein, ich weigere mich nicht."

Küstenwache:

"Da klettern Leute die Leiter am Bug herunter. Kehren Sie zum Schiff zurück und sagen mir, wie viele Menschen da sind und was an Bord los ist. Hören Sie, Schettino, Sie haben sich selbst gerettet, aber ich werde dafür sorgen, dass Sie dafür bezahlen. Verdammt noch mal, gehen Sie zurück an Bord!"

Kapitän:

"Kommandant, bitte ..."

Küstenwache:

"Nichts mit 'bitte'. Kehren Sie zurück aufs Schiff."

Kapitän:

"Ich bin in einem Rettungsboot, ich bin hier unten, ich fahre nirgends hin. Ich bin hier."

Küstenwache

unterbricht ihn und brüllt ihn an: "Sie gehen zurück an Bord! Das ist ein Befehl! Da gibt es für Sie nichts zu überlegen. Sie haben den Alarm ,Schiff verlassen' ausgelöst. Jetzt gebe ich die Befehle. Gehen Sie zurück an Bord. Ist das klar? Hören Sie mich?"

Kapitän:

"Ich gehe an Bord."

Küstenwache:

"Los. Melden Sie sich sofort bei mir, wenn Sie an Bord sind. Meine Einsatzkräfte sind vor dem Bug."

Kapitän:

"Wo ist Ihr Rettungsboot?"

Küstenwache:

"Mein Rettungsboot ist am Bug. Los! Es gibt schon Tote, Schettino, machen Sie!"

Kapitän:

"Wie viele Leichen sind da?"

Küstenwache:

"Ich weiß es nicht ... Herrgott, Sie sollten derjenige sein, der mir das sagen kann!"

Kapitän:

"Ist Ihnen klar, dass es dunkel ist und wir nichts sehen können?"

Küstenwache:

"Und, was wollen Sie denn tun, nach Hause gehen, Schettino? Es ist dunkel und Sie wollen nach Hause gehen? Fahren Sie zum Bug des Schiffes, wo die Leiter ist, und sagen Sie mir, was zu tun ist, wie viele Personen dort sind, und was Sie benötigen! Sofort!"

Kapitän:

"Hören Sie, Chef, ich will an Bord gehen, aber das andere Rettungsboot hier fährt nicht mehr und treibt ab. Ich habe gerufen ..."

Küstenwache

unterbricht: "Das erzählen Sie mir jetzt schon seit einer Stunde! Fahren Sie zum Schiff, jetzt! Gehen Sie an Bord und sagen mir sofort, wie viele Personen dort sind!"

Kapitän:

"O. k., Chef."

Ob Francesco Schettino wirklich auf das sinkende Schiff zurückkehrte, blieb unklar. Augenzeugen berichteten, sie hätten den Kapitän auf der Insel Giglio gesehen, wie er in ein Taxi stieg und davonfuhr - zu diesem Zeitpunkt war die Rettungsaktion auf der "Costa Concordia" noch in vollem Gange. Schettino wurde festgenommen, kam wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung, Verursachung eines Schiffbruchs und Verlassen des Schiffs vor anderen in Untersuchungshaft. Gestern wurde er von der Staatsanwaltschaft in Grosseto erstmals zum Unglück verhört. Anschließend kam er gegen Auflagen frei, wurde aber unter Hausarrest gestellt.