Nach der Havarie verdichten sich Hinweise auf schwere Fehler des Kapitäns Francesco Schettino. Ihm wird vorgeworfen, zu nah an die Küste gefahren zu sein und das Schiff noch während der Evakuierungsaktion vor den Passagieren verlassen zu haben. Eine Bergung des verunglückten Kreuzfahrtschiffes „Costa Concordia“ wäre nach Expertenmeinung zwar aufwendig, aber machbar.

Hamburg/Rom. Nach mehrstündiger Unterbrechung hat die Reederei Costa Crociere gestern die Suche nach Überlebenden und Opfern im Wrack des gekenterten Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia" vor der toskanischen Insel Giglio wieder aufgenommen. Sie war unterbrochen worden, weil sich das Schiff - wegen starken Seegangs - um neun Zentimeter bewegt hatte und zu sinken drohte. Bislang gebe es keine Anzeichen, dass Treibstoff ins Meer geflossen sei, sagte Italiens Umweltminister Corrado Clini. Die Reederei hat inzwischen ein niederländisches Spezialunternehmen mit dem Abpumpen des Treibstoffs und der späteren Bergung des Schiffs beauftragt. Das Unternehmen äußerte sein "tiefstes Bedauern über diesen schrecklichen Unfall".

Das Kreuzfahrtschiff war mit mehr als 4200 Menschen an Bord Freitagnacht im Mittelmeer auf einen Felsen gelaufen und gekentert. Bislang wurden sechs Tote geborgen. 29 Menschen werden vermisst - 25 Passagiere und vier Besatzungsmitglieder. Darunter seien zwölf deutsche Urlauber, sagte der Chef der italienischen Küstenwache, Admiral Marco Brusco, gestern am späten Abend. Heiko Jensen, Deutschland-Geschäftsführer der italienischen Reederei, sagte am Nachmittag in Hamburg, das Unternehmen rechne mit weiteren Meldungen auch beim Auswärtigen Amt. "Einige Gäste haben sich auf eigene Faust einen Mietwagen genommen und sind nach Hause gefahren."

Eine Bergung des verunglückten Kreuzfahrtschiffes „Costa Concordia“ wäre nach Expertenmeinung zwar aufwendig, aber machbar. „Wenn es irgendeine Chance gibt, den Schaden am Rumpf abzudichten, kann man das Schiff eventuell auspumpen und wieder aufrichten“, sagte der Bergungsexperte Eyk-Uwe Pap des Rostocker Unternehmens Baltic Taucher der Nachrichtenagentur dpa.

„Wenn das nicht möglich ist, wird das Schiff mit Ketten zerschnitten in sechs bis acht Teile, die jeweils 1000 bis 2000 Tonnen schwer sind. Diese könnten mit einem Großkran geborgen werden“, sagte Pap. Voraussetzung dafür sei, vorher alle umweltgefährdenden Stoffe wie Öl aus dem Schiff abzupumpen. Dies könnten nur Spezialisten machen.

Kapitän Schettino stand während des Unglücks auf der Brücke

Nach der Havarie verdichten sich Hinweise auf schwere Fehler des Kapitäns Francesco Schettino. Ihm wird vorgeworfen, zu nah an die Küste gefahren zu sein und das Schiff noch während der Evakuierungsaktion vor den Passagieren verlassen zu haben. Er hatte die von der Reederei festgelegte Route eigenmächtig verändert - weil er den Menschen an Bord eine besondere Show bieten wollte? Das belegt zumindest ein Eintrag auf Facebook. Um 21.08 Uhr postete Patrizia T., die Schwester von Oberkellner Antonello T., im sozialen Netzwerk: "In Kürze wird die Concordia mit meinem Bruder sehr, sehr nah an uns vorbeifahren. Ein Riesengruß an meinen Bruder, der in Savona von Bord gehen wird, um ein bisschen Urlaub zu genießen." Angeblich soll der Kapitän den Oberkellner, der von der Insel Giglio stammt, für das Schauspiel sogar auf die Brücke bestellt haben, damit er seine Familie grüßen konnte. "Antonello, schau mal, wir sind ganz nah an deinem Giglio" sagte der Kapitän laut der Zeitung "Corriere della Sera" zu dem 46-Jährigen. Dessen Antwort: "Vorsicht, wir sind extrem nah am Ufer." Doch da war es schon zu spät.

Am Freitagabend gegen 22.05 Uhr war die erste Meldung vom Schiff eingegangen, dass es ein Problem habe. Als das Unglück geschah, stand Schettino auf der Brücke und steuerte das Schiff manuell. Falsche Seekarten seien nicht schuld gewesen, sagte Heiko Jensen. Der Felsen sei auf den "Karten mit bestimmten Skalen" eingezeichnet.

Francesco Paolillo von der italienischen Küstenwache sagte, der Kapitän sei bereits zu einem Zeitpunkt an Land gesehen worden, als die Evakuierung noch voll im Gange gewesen sei. Man hätte ihn aufgefordert, seiner Pflicht nachzukommen und zu dem sinkenden Schiff zurückzukehren. Der Kapitän habe dies aber ignoriert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Schettino nun wegen fahrlässiger Tötung, Verursachung eines Schiffbruchs und wegen Verlassens des Schiffs vor anderen.

2011 buchten 16 Millionen Menschen weltweit eine Kreuzfahrt

Bei der anschließenden Rettung der Passagiere habe die Crew sehr umsichtig gehandelt, sagte Jensen in Hamburg. Bei der Havarie waren 566 Menschen aus ganz Deutschland im Alter von 45 bis 70 Jahren an Bord. Das Unternehmen Costa Kreuzfahrten sicherte den Opfern Entschädigung zu. "Wir nehmen mit jedem einzelnen Gast Kontakt auf", sagte Jensen. Für die siebentägige Kreuzfahrt hatten die Passagiere im Durchschnitt 700 Euro bezahlt. Die Passagiere der "Costa Concordia", die spätere Reisen gebucht haben, erhalten zunächst ihren Reisepreis zurück. Die Reederei bietet ihnen an, noch in diesem Jahr zu einer kostenlosen Kreuzfahrt zu starten. Wer nicht mehr an Bord gehen will, bekommt anstelle der Reise 30 Prozent der Kosten zusätzlich.

Experten rechnen jedoch kaum damit, dass die Havarie sich auf das weltweite Kreuzfahrtgeschäft negativ auswirkt. Der Branchenverband Cruise Lines International Association (CLIA) geht für 2011 von einem Plus von einer Million Passagieren gegenüber 2010 auf 16 Millionen aus. Dieser Trend soll sich fortsetzen. Für eine Analyse in Deutschland sei es noch zu früh, sagte Jensen. Bundesweit ist die Zahl der Kreuzfahrtgäste im Jahr 2000 von knapp 380 000 auf 1,22 Millionen im Jahr 2010 gestiegen. Ähnlich entwickelte sich der Umsatz von knapp 747 Millionen Euro auf mehr als zwei Milliarden. Welche Kosten sich aus der Havarie ergeben, ist noch nicht absehbar. Das Unternehmen hat Rücklagen für solche Fälle gebildet und ist auch versichert.

Während Costa von einem umsichtigen Verhalten der Crew spricht, erheben zwei Ehepaare aus Nortorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde), die bei dem Unglück mit dem Schrecken davonkamen, schwere Vorwürfe. Herbert Rohwedder und Ehefrau Telse, 53, sowie sein Schwager Gerhard Looft, 49, und dessen Frau Birgit, 45, erlebten, dass nur die unteren Dienstgrade - darunter viele Asiaten - versuchten zu helfen. Aber die hätten nur wenig Ahnung gehabt, wie man die Rettungsboote zu Wasser lässt. Rohwedder: "Die Schiffsführung hat versagt. Es herrschte Chaos." Dabei wurden die Männer von ihren Frauen getrennt. Die Frauen durften in ein Rettungsboot, das sich aber nicht losmachen ließ, sodass sie mit Schwimmwesten ins Wasser sprangen und an Land schwammen. Die Männer kamen in ein anderes Boot und waren nach wenigen Minuten in Sicherheit.