Kreuzfahrtexperte Helge H. Grammerstorf über die Sicherheit von Seereisen

Hamburg. Über mögliche Ursachen und die Folgen des Unglücks der "Costa Concordia" sprach das Abendblatt mit Helge H. Grammerstorf.

Hamburger Abendblatt:

Hat Sie das Unglück der "Costa Concordia" überrascht?

Helge H. Grammerstorf:

Selbstverständlich. Denn es ist seit Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen, dass ein solch großes Schiff evakuiert werden musste. Passagierschiffe sind seit der "Titanic" in viele wasserdichte Abschnitte aufgeteilt, sodass sie auch nach einer Havarie schwimmfähig bleiben. Die Schotten müssen aber auch geschlossen werden.

Ist es möglich, dass der Strom ausfällt und ein Schiff nicht mehr steuerbar ist?

Grammerstorf:

An sich nicht, weil mehrfach vorgesorgt ist. Fällt die Hauptstromversorgung aus, springt die Notstromversorgung an. Ihre Generatoren sind an einem anderen Platz an Bord untergebracht, sodass sie voraussichtlich nicht beschädigt werden, falls im Maschinenraum etwas passiert. Fällt die Notversorgung aus, gibt es Batterien, die eine Notbeleuchtung und die Steuerung aufrechterhalten. Aber die absolute Sicherheit gibt es eben nicht.

Die "Costa Concordia" war sehr dicht an der Küste. Ist es üblich, bei Kreuzfahrten aus touristischen Gründen nahe an Sehenswürdigkeiten heranzufahren?

Grammerstorf:

Ich würde keinem Kapitän raten, so etwas zu machen.

Der Kapitän der "Costa Concordia" soll zu früh von Bord gegangen sein. Ist das in jedem Fall unangemessen und macht sich ein Kapitän in diesem Fall strafbar?

Grammerstorf:

Der Kapitän geht immer als Letzter von Bord. Das ist nicht nur Vorschrift, sondern eine Verpflichtung. Wer als Kapitän sein Schiff verlässt, muss überzeugt sein, dass alle anderen in Sicherheit sind.

Bei dem Unglück soll die Crew das Aussetzen der Rettungsboote so lange verzögert haben, bis sie wegen der Schräglage nicht mehr zu gebrauchen waren ...

Grammerstorf:

... weil das Verlassen eines Schiffes immer die allerletzte Maßnahme ist. An Bord ist es bei den meisten Unglücksfällen am sichersten. Alle Kreuzfahrtschiffe sind so ausgestattet, dass die Boote auf einer Seite zusammen mit den Rettungsinseln für fast alle Menschen an Bord ausreichen.

Sind Kreuzfahrtschiffe mit mehr als 4000 Menschen an Bord nicht zu groß, um im Notfall rasch helfen zu können?

Grammerstorf:

Diese Diskussion wird einsetzen. Denn die Hilfsmittel, also Boote, Hubschrauber oder Rettungspersonal, die bei einem Unfall rasch vor Ort sein können, sind begrenzt. Je mehr Menschen in Gefahr geraten, desto komplizierter wird die Rettung.

Wie wird sich der Unfall auf den Boom im Kreuzfahrtgeschäft auswirken?

Grammerstorf:

Das hängt davon ab, wie gut es gelingt, deutlich zu machen, wie sicher die Schiffe sind und wie effizient das Eingreifen der Mannschaft im Notfall ist. Dass die Menschen an Bord es als Katastrophe empfanden, als sich die "Costa Concordia" um 90 Grad neigte, ist verständlich. Dennoch konnten fast alle gerettet werden. Dies legt nahe, dass die Maßnahmen insgesamt effizient waren, wenn auch die ruhige See und das nahe Land dies begünstigt haben.