Ein Jahr nach dem Einsturz des Stadtarchivs erhebt Kölns Oberbürgermeister schwere Vorwürfe gegen Baufirmen und die Kölner Verkehrsbetriebe.

Köln. Am Jahrestag des Stadtarchiv-Einsturzes hat der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) schwere Vorwürfe gegen die Baufirmen und die Kölner Verkehrsbetriebe erhoben. Wenige Wochen vor dem Einsturz des Archivs am 3. März 2009 sei in der U-Bahn-Baugrube nahe des Gebäudes ein erheblicher Wassereinbruch festgestellt worden, sagte Roters am Mittwoch. Die KVB als Bauherrin und -aufsicht habe die Baufirmen vergeblich zur Abhilfe aufgefordert. Hier hätte der technische Vorstand der KVB handeln müssen: „Wer in dieser Situation zur Tagesordnung übergeht, hat mein Vertrauen verloren“, sagte Roters bei einer Gedenkveranstaltung im Rathaus.

Mit zwei Gedenkminuten hat Köln an den Einsturz des Stadtarchivs vor genau einem Jahr erinnert. Busse und Bahnen standen um 13.58 Uhr vorübergehend still. Zu dieser Uhrzeit war das Historische Stadtarchiv eingestürzt. Zwei junge Anwohner starben in den Trümmern. Dokumente von unschätzbarem Wert wurden verschüttet. Die genaue Ursache des Einsturzes steht noch nicht fest, doch es gilt als sicher, dass das Unglück mit dem skandalträchtigen U-Bahn-Bau in Köln zu tun hatte. Direkt neben dem Archiv befand sich eine große U-Bahn-Baustelle.

Für den Sohn von Schriftsteller Heinrich Böll, Rene Böll, trägt die Stadt Köln die Hauptschuld am Einsturz des Stadtarchivs. Sie habe den Bau der U-Bahn in Auftrag gegeben und organisiert, ihn jedoch nicht kontrolliert, sagte er dem „Deutschlandradio Kultur“ am Mittwoch. Bislang habe aber niemand die Verantwortung für das Geschehen übernommen. Zusammen mit anderen Kölner Kulturschaffenden überlege er, gegen die Stadt notfalls auch gerichtlich vorzugehen. Noch immer habe er keinen Überblick darüber, wie viel durch den Einsturz aus dem Nachlass seines Vaters verloren gegangen sei.

„Es sind wohl einige Teile gefunden worden, aber was konkret gefunden worden ist, wissen wir gar nicht“, erklärte Böll. Das Stadtarchiv sei derzeit vor allem damit beschäftigt, das Material zu retten. „Notfalls werden wir klagen. Wir werden natürlich versuchen, uns außergerichtlich zu einigen, aber bisher ist niemand von der Stadt auf uns zugekommen“, sagte der Sohn des Schriftstellers. Aus Sicht Bölls ist der Einsturz des Stadtarchivs eine „absolute Katastrophe“ für die Böll-Forschung - selbst wenn das Material wiedergefunden werde. Ein großer Teil des Nachlasses war seinen Angaben zufolge erst rund drei Wochen vor dem Einsturz an das Stadtarchiv übergeben worden. Darunter seien 400 Manuskripte, mehrere tausend Briefe, 6.000 bis 8.000 Fotos und Dokumente der gesamten Familiengeschichte gewesen. „Es wird ja Jahrzehnte dauern, die Sachen wieder zusammenzuführen“, sagte er in dem Interview. Ein Glücksfall sei aber gewesen, dass ein großer Teil der Manuskripte seines Vaters im Heinrich-Böll-Archiv ausgelagert gewesen sei.

Die Sicherungsarbeiten an einer gefährdeten U- Bahn-Baustelle in der Kölner Innenstadt wurden unterdessen abgeschlossen. Die Zwischendecke, die der Grube Stabilität verleihen soll, sei am Mittwoch fertig geworden, teilten Stadt und Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) mit. Wenn der Beton ausgehärtet ist, sei die Baustelle auch gegen höheres Hochwasser geschützt. Eine Flutung der Grube sei nun nicht mehr nötig. Unterdessen sei der Grundwasserstand weiter gesunken. In den Betonwänden fehlen über 80 Prozent der stabilisierenden Eisenbügel. Der Schacht drohte einzubrechen, wenn das Rhein-Hochwasser und damit das Grundwasser stark gestiegen wären.