Knapp ein Jahr nach dem Einsturz des Stadtarchivs an einer der betroffenen U-Bahn-Baustellen ist das Misstrauen der Kölner Bürger groß.

Köln. Keine Minute dauert die Informationsveranstaltung, da ertönt bereits der erste von vielen Zwischenrufen: „Verbrecher“, schleudert eine Frau den Podiumsteilnehmern entgegen. Im Saal des Kölner Gürzenich sitzen rund 700 aufgebrachte Bürger und verlangen Aufklärung über die fortgesetzten Pfuschereien beim Bau der Kölner U-Bahn. Zwölf Vertreter der Stadt, der Kölner Verkehrs-Betriebe KVB und der am Bau beteiligten Firmen stehen dafür Rede und Antwort. Doch das Misstrauen knapp ein Jahr nach dem Einsturz des Stadtarchivs an einer der betroffenen U-Bahn-Baustellen ist groß. „Das Vertrauen der Menschen in die handelnden Personen geht gegen Null“, ruft ein Bürger in den Saal. „Wie konnte es dazu kommen, dass sich die KVB, gleichzeitig Bauherr und Bauaufsicht, quasi selbst kontrollierte?“, wollen die Bürger wissen. Und: „Warum wurde die U-Bahn überhaupt gebaut, wo sich doch andere oberirdische Routen zu einem Zehntel des Preises angeboten hätten?“ Ein Riesenfehler sei begangen worden, und niemand übernehme dafür die Verantwortung, hält Christian Abraham aus der Südstadt dem Podium vor.

Unglück bewegt Menschen am Waidmarkt noch immer

Noch immer bewegt das Unglück am Waidmarkt die Menschen. Spontan erhebt sich der Saal und hält eine Schweigeminute für die Opfer ab. „Ein Teil unserer Familie hätte bei besseren Kontrollen nicht sterben müssen“, sagt die 17-jährige Tamara Faßbender. Ihr Freund ist der Cousin des beim Einsturz des Archivs ums Leben gekommenen Bäckerlehrlings Kevin. Als KVB-Vorstand Walter Reinarz beginnt, von Aufklärung und der Schuldfrage zu reden, bricht sie in Tränen aus. „Wir wollen Vertrauen zurückgewinnen. Nehmen sie uns beim Wort, dass wir alles dafür tun werden“, sagt Reinarz. Verständnis für die Ängste zeigt auch Jochen Keysberg, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Baufirmen. Doch dass gefälschte Protokolle keinerlei Auswirkung auf die Standfestigkeit von Baugruben haben sollen oder der Beton in der Haltestelle Heumarkt von besserer Qualität als vorgesehen sei, befriedigt kaum Jemanden. „Die Wände stehen alle gerade“, sagt Keysberg und erntet höhnisches Gelächter. „Noch“, schallt es ihm entgegen. „Das Stadtarchiv ist aber eingestürzt“, ruft ein weißhaariger Ingenieur im Saal erbost.

Sorge wegen Rhein-Hochwassers

Bärbel Rossi-Mel macht sich Sorgen wegen des zum Wochenende erwarteten Rhein-Hochwassers. Die Rentnerin wohnt am Heumarkt, und die Stadt erwägt, ab einem Pegel von 6,50 Meter die dortige Baugrube zu fluten. Zu groß könnte wegen des steigenden Grundwasserspiegels der Druck auf die Stützwände werden. Eben jene Wände, in denen teilweise über 80 Prozent der zur Stabilisierung vorgesehenen Stahlbügel nicht verbaut, sondern von Arbeitern an Schrotthändler verkauft worden sein sollen. „Jetzt haben wir Angst, alle wichtigen Papiere haben wir bereits zusammengepackt, falls wir raus müssen“, sagt die Rentnerin. Laut prustet sie los, als Stadtdirektor Guido Kahlen erklärt: „Fluten bedeutet für Sie Sicherheit.“ Beruhigt verlässt am Mittwochabend kaum jemand den Gürzenich. „Ich bin schockiert,“ sagt eine Frau, die ihren Namen lieber nicht sagen will, weil sie selbst bei der Stadt arbeitet. „Die haben nichts im Griff, es wird immer erst im Nachhineinein geprüft und ermittelt.“